14. Prozesstag: Vernehmung von (ehemaligen) Polizist:innen des 1. Revieres

NSU 2.0

Am 28. April 2022 waren im „NSU 2.0“-Prozess gegen Alexander M. (ehemalige) Polizist*innen vom ersten Revier in Frankfurt geladen.

Zu Beginn wird der Beamte Tim W. befragt. Er war am Tag der Datenabfrage von Seda Başay-Yıldız gemeinsam mit Johannes S. im Streifendienst unterwegs. Zum genauen Zeitpunkt der Datenabfrage sei er mit besagtem Kollegen an der Hauptwache im Einsatz gewesen. Dies wird durch das Gericht versuchsweise anhand eines Protokollzettels nachvollzogen, welchen die Beamt*innen händisch ausfüllen und an ihren Vorgesetzten weitergeben. Dieser werde aus der Erinnerung ausgefüllt und könne deshalb auch falsch eingetragen worden sein.

Bezüglich der Einlogdaten an den Wachcomputern gibt der Zeuge an, dass es ein Vertrauensverhältnis zwischen den jeweiligen Kolleg*innen gegeben habe, da das Prozedere des An- und Abmeldens sehr lange gebraucht habe. Daher habe man die Passwörter der anderen Mitarbeiter*innen gewusst. Zu Telefonabfragen gibt W. an, dass die Wache teilweise durch Streifenpolzist*innen aber auch die Stadtpolizei angerufen werden würde. Es habe ein vereinbartes Kennwort gegeben, durch das überprüft werden konnte, ob die Person befugt sei, die angefragten Informationen zu erhalten. Würden Polizeibeamte anrufen, welche beispielsweise aus einem anderen Bundesland stammen und Abfragen tätigen, würde die Dienststelle sowie der Name auf Anweisung in einer Exceltabelle eingetragen. Diese habe es bereits am 2.8.2018 gegeben und jeder Beamte habe darauf Zugriff gehabt.

Der Name Başay-Yıldız sei ihm zum damaligen Zeitpunkt kein Begriff gewesen. Den Namen Sami A., ein Klient der Rechtsanwältin, habe er vor seiner Zeugenvernehmung bezüglich der illegalen Datenabfrage mal gehört. Dass der Name ihrer Tochter im Polizeisystem abgefragt wurde, sei ungewöhnlich, da ja ein Kind in diesem Alter noch keine Straftaten begehen könnte. Dies hätte laut ihm direkt auffallen sollen.  Am Tag der Datenabfrage sei er mit seiner Dienstgruppe abends bei einer Feierlichkeit „hier im Gerichtskomplex“ gewesen. Ob die Staatsanwaltschaft gastgebend gewesen sei, beantwortet W. mit: „kann sein“, es sei „fast öffentlich“ eingeladen worden. Auf die Frage zu seinem Verhältnis zu Johannes S. antwortet er: „Wir sind keine privaten Freunde, wir waren halt gute Kollegen“. Er habe ihn das letzte Mal vor drei Jahren telefonisch kontaktiert. Zu dem Zeitpunkt sei S. 3,5 Jahre, er 2,5 Jahre auf dem ersten Revier tätig gewesen. Manchmal sei es bei prägnanten Prozessen am Gerichtsgebäude (Objektschutz) zu Einsätzen gekommen.

Über seine bevorstehende Zeugenaussage habe er sich telefonisch mit den Kolleg*innen Di. und H. ausgetauscht. Er beschreibt das Verhältnis zwischen den Beamt*innen als gut; man habe sich gegenseitig auf Hochzeiten eingeladen, zusammen Playstation gespielt oder sei gemeinsam in den Urlaub gefahren. Die Chemie habe zwischen allen gestimmt, bei außerdienstlichen Tätigkeiten habe man sich auch danach über den Dienst ausgetauscht. Er sei auch Teil einer anderen Chatgruppe („Susie, homies & friends“) gewesen, in denen „unterirdische Sachen“ geschrieben worden seien – diese bezeichnet er als „schwarzen Humor“. Alle seien daran beteiligt gewesen, er habe auch mal das ein oder andere Bild oder Video gepostet. Seine Kolleg*innen seien ihm nicht antisemitisch, rassistisch oder NS-verherrlichend aufgefallen. In der Summe sei dies drüber, es gäbe aber Millionen solcher Gruppen und er sei sich sicher, dass da „ziemlich viel Mist“ gepostet werden würde. Die Nebenklagevertreterin von der Behrens und die Vorsitzende Richterin diskutieren darüber, ob von der Behrens dem Zeugen Posting vorhalten dürfe, welche offenkundig rassistisch bzw. antisemitisch seien. Von der Behrens: „Er weiß genau wie er das bewertet, benennt es aber nicht so“ – der Zeuge gibt auf die Frage, ob die Chatgruppe noch schwarzer Humor sei, an, dass es „etwas drüber sei“. Er habe ein Bild mit Adolf Hitler und einem Fußballer, welcher ein Trikot hochhält, gepostet auf dem „für meinen Führer“ steht. Die Richterin lässt keine weiteren Fragen zu der Chatgruppe zu. Der Zeuge gibt an, dass er eine Schulung zu Zeugenvernehmungen für Polizeibeamte seit Jahren gerne besuchen würde, aber keinen Platz erhalte.

Der zweite Zeuge ist der seit 2019 pensionierte Dienstgruppenleiter des ersten Reviers Michael F. Gleich zu Beginn stellt er klar, dass er so gut wie gar nichts mehr wisse. Er sei für Dienstgeschäfte der Dienstgruppe verantwortlich gewesen. Am Tag der Abfrage (2.8.) sei er mit Frau Di. und Frau Da. auf der Wache gewesen. Auch in einem der Chats sei er Mitglied gewesen. Für ihn sei es wichtig gewesen zu wissen, wer zu spät komme und Geburtstag habe. Die rassistische Chatgruppe sei ihm nicht bekannt gewesen, es seien „immer coole Kerle“ gewesen. Auf die Frage zu einem Bild auf dem S. als „Owi-Nazi“ (Ordnungswidrigkeiten) betitelt wird, gibt er ebenfalls an, dass dies schwarzer Humor sei. Er habe sicher auch mal etwas Lustiges gepostet. Von der Behrens zählt auf, dass dort u.a. menschenverachtende und rassistische Bilder gepostet wurden.

Die Namen Başay-Yıldız und Sami A. hätten ihm nichts gesagt. Auf die Frage, ob er die Abfrage getätigt habe, lacht er und sagt, er dürfe zu Abfragen nichts sagen; dazu brauche er eine Aussagegenehmigung. Nach der Durchsuchung des ersten Reviers im September 2018 haben sich einige Kolleg*innen zusammengesetzt und versucht zu rekonstruieren was passiert sei. Es sei ein Schaden für die ganze Polizei. Zu einem am Tag der Durchsuchung kaputt gegangenen Dienstcomputer, wisse er nichts.

Die Beamtin Viola Di. sei am Tag der Abfrage ebenfalls auf dem Revier gewesen und habe alle Streifenwägen an die Hauptwache geschickt. Zu Abläufen auf dem Revier müsse sie eine Aussagegenehmigung einholen. Wie auch ihre beiden Vorgänger im Zeugenstand könne sie sich an wenig erinnern. Den Fall Sami A. habe sie über die Medien verfolgt, in ihrer früheren Aussage steht, dass dies ein „interessantes Thema“ für sie gewesen sei. Von wem sie Fragen, die per Telefon reinkommen, beantworten würde, könne sie nicht beantworten – dies sei ein sehr sensibles Thema und sie brauche eine Aussagegenehmigung. Ob sie die Abfrage gemacht hätte, könnte sie zumindest nicht erinnern. Da die Antwort etwas unbestimmt sei, wird der Zeugin am Richterinnentisch die Abfragestruktur vorgehalten. Die Zeugin gibt an, dass sie die Struktur als ungewöhnlich empfindet. Wenn man etwas über eine Person rausfinden wolle, würde man eine Sache eingeben. Sie könne sich nicht vorstellen, dass so eine Abfrage (telefonisch) von außen komme, da man dann stutzig hätte werden müssen. Die Abfrage habe sechs Minuten gedauert, wenn jemand so viel erfragen würde, wäre ihr das aufgefallen. Auch Di. berichtet von einem Zusammenkommen nach der Durchsuchung am Revier. Die Abfragen seien seit dem Geschehen „ein Dauerthema“ und würden sie nicht in Ruhe lassen. Die Verhältnisse auf dem ersten Revier beschreibt sie als sehr gut und familiär.

Auch der Polizeibeamte David H. habe keine Erinnerungen an den Tag Anfang August 2018, er habe lediglich nachträglich herausfinden können, dass er zum Zeitpunkt der Abfrage eine Anzeige aufgenommen habe. Başay-Yıldız und Sami A. habe er nicht gekannt, Indymedia meine er als linke Seite zu kennen. Zu Abläufen auf dem Revier könne er nichts sagen, da ihm untersagt sei, etwas zu Verfahrens- und Arbeitsweisen preis zu geben. Die Nebenklage beschwert sich über die stets angegebenen Aussagegenehmigungen, da ein Interesse des Landes oder des Bundes gefährdet sein müsste, um sich darauf zu berufen. H. gibt wie alle Beamten an, dass die Passwörter bekannt gewesen seien und sich jeder hätte einloggen können. Er wisse nichts von dem kaputten Rechner am Tag der Durchsuchung. In der „kleinen Chatgruppe“ („Itiotentreff“) sei er nicht gewesen und wisse nicht mehr, was alles genau in der anderen geschickt wurde. Er wird darauf hingewiesen, dass er keine Aussage treffen muss, um sich selbst nicht zu belasten.

Der letzte Zeuge ist der Polizist G., welcher sich ebenfalls schlecht an den 2.8. erinnern könne. An den Einsatz an der Hauptwache könne er sich erinnern, jedoch wisse er nicht mehr, was er auf der Wache getan habe. Auf die Frage, ob er die Abfrage getätigt habe, entgegnet er „würde sagen nein“. Ihm sei gesagt worden, dass die Abfrage sehr lang gewesen sei. Başay-Yıldız und Sami A. hätten ihm nichts gesagt. Er bestätigt die Existenz der Chatgruppe „Susie, homies & friends“, in der Spaßbilder und Videos geteilt worden seien, jedoch nichts Internes besprochen wurde. Die Gruppe „Itiotentreff“ sei laut seines Kenntnisstandes nur bis 2016 aktiv gewesen. Zudem erwähnt er eine Gruppe für dienstliche Interna. Auf das Bild, welches auf einer Torte eines Polterabends den Kollegen S. als Ordnungswidrigkeiten-Fanatiker in Naziuniform zeige, erläutert er, dass es nichts mit Nazis zu tun habe, sondern S. eben im „extremen Sinne Ordnungswidrigkeiten verfolge“. Er hätte sogar extra die Nazisymbole auf dem gemalten Bild weggelassen, „um niemanden vor den Kopf zu stoßen“. Mit S. sei er nicht eng befreundet gewesen, er habe sich generell wenig an Aktivitäten beteiligt.

Damit endet der Prozesstag, der nächste findet am 5. Mai statt.