17. Prozesstag: Fragen der vorsitzenden Richterin an den Angeklagten

Nach zweiwöchiger Pause beginnt der Prozess gegen Alexander M. mit Fragen der vorsitzenden Richterin Distler an den Angeklagten. Er wird erneut zu dem Forum befragt, das er in seiner Einlassung zu Beginn des Prozesses erwähnte. M. umreißt die Abläufe im besagten Forum. Es seien Links und Neuigkeiten zu Nachrichten und ähnlichem in einen Ordner gepackt worden. Dieser sei verschlüsselt und per Link zugänglich gewesen. Er habe durch ein im Forum befindliches Passwort darauf zugreifen können, nach Benutzung sei der Ordner mehrfach überschrieben worden. Aus dem Forum sei M. im September 2020 geflogen, da es dort Machtkämpfe gegeben habe. Die Geschichte gab M. nun bereits mehrmals vor Gericht preis, auch diesmal gibt er an, dass er den „Chef der Gruppe“ kenne und auch Namen nennen könne – möchte er jedoch auch nach erneuter Nachfrage nicht. Er habe nach dem Rauswurf keinen Kontakt zu den Personen unterhalten, sondern lediglich in der Presse weiter zum Thema recherchiert.

Als sei es eine Nebensächlichkeit, schiebt der Angeklagte ein, dass auch das „Thema Juden“ im Forum diskutiert worden sei; mutmaßlich aus dem Forum rezitiert er „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“. Weiter gibt er in seinen schlecht verständlichen Ausführungen an, dass seine Wohnung bereits des Öfteren durchsucht worden und nichts zu Rechtsextremismus gefunden worden sei. Seine Observierung durch die Polizei habe er erstmalig Anfang Mai 2021 bemerkt, da ihm eine Person aufgefallen sei, welche ihn an der Bahnstation beobachte. Dort sei ihm klargeworden, dass es zu einer Hausdurchsuchung bei ihm kommen werde – dass gegen ihn ein Haftbefehl laufe, habe er nicht einkalkuliert. Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft betont M. erneut, dass er die Passwörter zu den Kryptocontainern auf seinem Computer nicht herausgeben werde.

In einer Erklärung gibt der Angeklagte an, er schließe sich den Beweisanträgen der Nebenklage vom 5. Mai 2022 an und lehne die entgegengesetzte Version der Staatsanwaltschaft, er habe sich als Polizist ausgegeben, ab. Er könne nirgendwo angerufen haben, dies würden auch die Nebenklägerinnen Başay-Yıldız, Renner und Wissler für unwahrscheinlich halten. Weiter geht er auf den defekten Computer auf dem 1. Revier ein, von dem die Daten abgerufen wurden. Dieser sei an dem Abend nach der Durchsuchung bei Johannes S. ausgefallen, als sich die Beamt:innen der Dienstgruppe 3 um den Leiter F. zusammengesetzt hätten, um mutmaßlich die Geschehnisse des 2. August 2018 zu rekonstruieren. Alexander M. erklärt dazu, dass diese Vertuschung kein Zufall sein könne. Während M. seine Erklärung verliest und die Staatsanwaltschaft bzw. deren Ermittlungen kritisiert, macht diese sich sichtbar über die Ausführungen des Angeklagten lustig und verdreht die Augen. Zudem weist Alexander M. darauf hin, dass es möglich sei, SMS oder E-Mails zeitversetzt zu versenden. Dafür gebe es Anleitungen im Internet. Durch die Polizei sei dieser Möglichkeit in den Ermittlungen jedoch nicht nachgegangen worden. Zuletzt stellt M. die These auf, dass auch die Polizist:innen aus Frankfurt als Anrufer:innen bei der Polizei in Frage kämen, da sie alle Kennwörter für die Abfragen kennen und so die angerufenen Personen auf dem Revier keinen Verdacht schöpfen würden.

Die erste Zeugin an diesem Tag ist die Polizistin T. vom BKA aus Wiesbaden, die mit den Komplexen um Johannes S., der Polizistin D., dem Verfahren um die Bedrohungslage von Baydar und der Datenabfrage durch einen Polizisten auf dem 3. Revier in Wiesbaden befasst war.

Wortkarg berichtet die Beamtin über die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) von Johannes S. und die Hausdurchsuchung bei ihm. Die TKÜ sei geschaltet worden, da es mehrere Indizien gegeben habe, dass er die Faxe gesendet haben könnte. Überwacht worden seien zwei Mobilfunkanschlüsse, zwei E-Mail-Adressen sowie der Festnetz- bzw. Internetanschluss. Er habe wenig telefoniert, mit seiner Ehefrau und Mutter. Zudem sei er in einer Dönerbude observiert worden, während ein Drohfax bei Başay-Yıldız eingegangen sei. Dieses Indiz und die Auswertung seiner Mobilfunkdaten hätten dagegengesprochen, dass er das Fax versendet habe. Sein Internetverhalten habe keine Auffälligkeiten gezeigt. Weiter könne die Zeugin nichts sagen, da sie nicht in der Auswertung der Ermittlungen tätig gewesen sei. Ihre Ausführungen zeigen, dass sie den Beamten S. für entlastet hielt und die Ermittlungsthese mehrerer Täter:innen nicht verfolgt wurde.

Die Nebenklagevertreterin von der Behrens erfragt bei der Zeugin, ob die Durchsuchung, an der sie mitgewirkt habe, die erste beim Tatverdächtigen Johannes S. gewesen sei. Im Gesamtkomplex sei die Hausdurchsuchung am 25.6.2019 die zweite gewesen. Es habe im Oktober 2018 erstmalig eine Durchsuchung bei S. gegeben. Auf eine Frage der Vorsitzenden Richterin gibt die Zeugin das gängige Narrativ vieler Zeug:innen wieder: auf dem 1. Revier habe sich eine Person am Dienstcomputer eingeloggt, das Kennwort sei dort offen zugänglich gewesen. Dabei handele es sich um eine gängige Praxis. Bei vielen weiteren Fragen zu den Ermittlungen, beispielsweise zu den Bedrohungen gegen İdil Baydar oder die Befragung der zum Abfragezeitpunkt am PC eingeloggten Polizistin Miriam D., kann sich die Zeugin an wenig bis nichts erinnern. Zu den Ermittlungen gibt sie an, dass geprüft worden sei, ob Abfragen über Polizeicomputer und über die Stadt Frankfurt und das Bundeskraftfahrzeugamt getätigt wurden. Es habe keine unberechtigten Anfragen gegeben, jedoch sei festgestellt worden, dass die Daten nicht gesperrt gewesen seien und 200 Personen aus dem Einwohnermeldeamt (Stadt) Zugriff gehabt hätten.

Zur Frage von der Behrens zu möglicher früher Akteneinsicht der verdächtigen Polizeibeamtin D. wisse die Zeugin aufgrund fehlender Zuständigkeit nichts. Die Nebenklageanwältin merkt an, dass über Akteneinsicht die Adresse Başay-Yıldız in Umlauf gekommen sein könnte. Zu den von ihr geführten Ermittlungen kann die Zeugin im Prozess kaum etwas angeben. Nahezu alle Fragen bleiben aufgrund Nicht-Zuständigkeit unbeantwortet. Sie wird entlassen.

Anschließend merkt von der Behrens an, dass die Zeugin indirekt die Thesen der Nebenklage bestätigt habe, Johannes S. sei im Juni 2019 möglicherweise auf die Hausdurchsuchung anlässlich der Drohschreiben vorbereitet gewesen. Aufgrund der Durchsuchung wegen rassistischer Gruppenchats des 1. Reviers bei seiner Kollegin Miriam D. im vorherigen Jahr, der Durchsuchung bei S. aus demselben Grund sowie dem Wissen um Polizeiarbeit bezüglich Observation habe der Tatverdächtige S. sich auf eine weitere Hausdurchsuchung vorbereiten können. Demnach spreche nichts dagegen, dass er von da an vorsichtig geworden sei und für das Versenden des Faxes am 2. August 2018 verantwortlich sein könnte. Er wusste bereits zu Beginn über die Ermittlungen bezüglich der Drohschreiben Bescheid und konnte sein Verhalten als erfahrener Polizist dementsprechend anpassen. So habe er beispielsweise auf seinem neu gekauften iPad keinen TOR-Browser installiert.

Vor der Pause verliest die Vorsitzende Richterin Distler, bezugnehmend auf den von der Zeugin vorher erwähnten Personenkreis von 200 Leuten, einen Vermerk bezüglich Ermittlungen zur Verfahrenssoftware der Stadt Frankfurt. Darin werden alle Bearbeiter:innen aufgezählt, welche mit Vorgängen betreffend Başay-Yıldız beschäftigt waren, etwa Mitarbeiter:innen des Ordnungsamts oder der Stadtverwaltung. Die Sperrung der Daten habe sich bei der Stadt lediglich auf telefonische Abfragen bezogen, Başay-Yıldız habe weiterhin Post wegen Parkverstößen an ihre Adresse erhalten.

Der letzte Zeuge des Tages ist der ehemalige Digitalforensiker Mario R., welcher mit den digitalen Asservaten beschäftigt war. Im Mai 2021 war er während der dreitägigen Hausdurchsuchung in der Wohnung des Angeklagten mit der Sicherung der IT-Asservate befasst. Er beschreibt, dass es den Plan gegeben habe, M. in seiner Wohnung zu überwältigen, um so an den eingeschalteten PC zu gelangen. Ziel war es, einer Sperrung des Computers oder den Ruhezustand zu umgehen, weswegen der Computer sofort gesichert worden sei. Genauso auch USB-Sticks, SIM-Karten, weitere Handys und zwei Computer. Ausführlich beschreibt er seine Arbeit anhand der Untersuchung der aufgefundenen pagefile.sys. Im Zuge der Befragung des Zeugen kommt es zum Streit zwischen dem Staatsanwalt Akdogan und dem Angeklagten sowie dessen Verteidigern. Akdogan kündigte erneut an, er würde ein Bußgeld gegen M. verhängen, da dieser immer reinreden würde.

Im weiteren Verlauf der Befragung möchte Nebenklagevertreterin Pietrzyk wissen, ob die Auswertungen des Computers mit den Drohschreiben in Verbindung gebracht werden könnten oder ob diese abgeglichen worden seien. Daraufhin verweist R. auf nachfolgende Zeug:innen. Weiter wird er zu Videokassetten von M. sowie möglichen Passwörtern für verschlüsselte Dateien, dem Yandex Mail Account und Hinweisen zu Chatgruppen oder Foren als auch dem TOR-Browser befragt.

Damit endet der heutige Prozesstag, die Fortführung findet am 02. Juni 2022 statt.