2. Prozesstag: Alexander M. sagt aus

Der zweite Prozesstag am 17. Februar 2022 gegen Alexander M. vor dem Landgericht Frankfurt wurde durch Richterin Distler eröffnet. Distler gab das Wort an den Angeklagten M., welcher bereits angekündigt hatte, sich einzulassen.

Der zweite Prozesstag am 17. Februar 2022 gegen Alexander M. vor dem Landgericht Frankfurt wurde durch Richterin Distler eröffnet. Distler gab das Wort an den Angeklagten M., welcher bereits angekündigt hatte, sich einzulassen. Zu Beginn bat M. bei der Presse um Entschuldigung für seine Entgleisung mit dem „Stinkefinger“ in Richtung der Kameras am Vortag. Anschließend verlas er seine vorformulierte Einlassung.

M. erklärt zu Beginn, er habe in keinem einzigen Fall eine Straftat begangen. Seit Jahrzehnten sei er im Internet aktiv und nehme an zahlreichen Diskussionsforen teil. Dazu mache er aber keine weiteren Angaben. In besagten Internetsphären habe er verschiedene Leute kennengelernt, mit denen er sich angefreundet und getroffen habe und mit denen er telefoniert und gechattet hätte.

Er berichtet von einer Einladung zu einer Chatgruppe. Ihm sei gesagt worden, dass er dort gebraucht werde und dass die Teilnahme auch für ihn von Vorteil sei. Welche Vorteile er dadurch erlangt hätte, lässt er offen. Eigenen Angaben zufolge habe er sich dort zurückgehalten und nur mitgelesen. Angemeldet gewesen sei er unter einem Pseudonym. Er beschreibt die Teilnehmenden der Gruppe als intelligent und arrogant. In der Chatgruppe sei politisch diskutiert worden. M. behauptet, dass der „NSU 2.0“ von dort aus koordiniert worden sei. Es habe ein Aggressionspotential gegeben und er sei sich sicher, dass dort Polizist*innen „anwesend waren“ – auch wenn er es nicht beweisen könne.

In der Gruppe sei auch gegen Seda Başay-Yıldız gehetzt worden. Auf Nachfrage, was sie falsch gemacht habe, verweist M. auf den Skandal rechtsextremer Polizisten und den Rücktritt eines hessischen Polizeipräsidenten. Weiter versucht M. von sich zu behaupten, dass er Insiderwissen der hessischen Polizei habe, da er von dem Selbstmord eines Beamten wisse. M. betonte sein vermeintliches Insiderwissen mehrmals - mutmaßlich um sich selbst als glaubwürdig darzustellen. Bei dem Beamten handelt es sich um einen damals 36-jährigen Polizisten, welcher im Verdacht stand, Teil rechter Chatgruppen bei der Polizei zu sein. Er töte sich 2019 selbst, indem er mit hoher Geschwindigkeit in der Nähe von Alsfeld (Hessen) mit dem Auto von einer Straße abkam und gegen einen Baum prallte. M. spricht von einem „verhereendem hessischen Polizeiskandal“, welcher durch die Staatsanwaltschaft verschwiegen werde. Dass er der alleinige Täter sei, würde die Staatsanwaltschaft selbst nicht glauben.

Im Forum sei über Aktionen berichtet und zum Nachahmen der Taten aufgerufen worden. M. spricht kryptisch davon, dass ganze Internetseiten abgespeichert und in ein sogenanntes Archiv „gepackt“ worden seien. Nur Mitglieder der Chatgruppe hätten Zugang zu den Daten gehabt. Erneut rekurrierend auf die „Interna“, beantragt M., dass die Beweisaufnahme sich auf diese Infos erstrecken solle. Weiter erklärt der Angeklagte, dass die Schreiben alle in Beamtendeutsch verfasst seien und sich ausschließlich an Personen richten würden, welche schlecht über die Polizei geredet hätten. Als Beispiel führt er den Komiker Jan Böhmermann auf.

Für den Angeklagten sei die Teilnahme im Chat in hohem Maße spannend und lustig gewesen. Der Umgangston „sei unter aller Sau“. Weiter gibt er an, dass sich die Teilnehmenden der Chatgruppe, nachdem er ins Gefängnis kam, gefragt wurde, „welcher Idiot“ M. in das Forum reingelassen habe. In der Gruppe wäre oftmals der Verschwörungsmythos der jüdischen Weltverschwörung, die Schuld am „Zustand Deutschlands“ sei, verbreitet worden. Laut M. hätten die Teilnehmenden verlautbaren lassen, dass die Macht der Juden unterschätzt würde. Auch er sei per E-Mail als „Judensau“ und „V-Mann des Verfassungsschutzes“ beleidigt worden.

Der Angeklagte gibt an, einige Mitglieder des Chats namentlich gekannt und eigenständig Recherchen zu ihnen betrieben zu haben. Es wäre ihm somit möglich, Namen der Beteiligten zu nennen. Dies könne für ihn allerdings nachteilig sein; er wirft die Möglichkeit eines Zeugenschutzprogrammes in den Raum. Zwar sei er Mitglied des sogenannten „Darknet“-Forums gewesen, er habe jedoch keine Straftaten begangen. Als Zeitraum, in dem er Mitglied der Gruppe war, gibt er 2019-2020 an - dann sei er ausgeschlossen worden.

Laut Aussage des Angeklagten, hätten sich vor seiner Festnahme die Ereignisse überschlagen. So habe es zehn gescheiterte Login Versuche in seinem Yandex Account gegeben, welche nicht von ihm stammen können. Zudem habe er festgestellt, dass er observiert werde. Es seien immer dieselben jungen Oberservationskräfte mit ihm in der Bahn gewesen. Auch die Hausdurchsuchung durch das SEK habe ihn nicht überrascht. Jedoch habe er nicht mit einem Haftbefehl, sondern nur mit einer Befragung gerechnet.

Als Berliner habe M. das Bundesland Hessen nie betreten. Dass er derartige Dienstgeheimnisse der hessischen Polizei kenne, sei in der Anklage dadurch gelöst worden, dass ihm Anrufe in den jeweiligen Revieren angedichtet worden seien. Dies sei einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte. Er würde laut Akten seit April 2021 als Beschuldigter geführt. Die Pressekonferenz einen Tag nach seiner Festnahme habe er in der JVA Moabit in Echtzeit verfolgt. Innenminister Beuth sei froh darüber gewesen, dass die hessischen Polizisten frei von Fehlverhalten seien. Weiter verliest der Angeklagte, dass mit ihm ein „nützlicher Idiot“ ermittelt worden sei.

Darauf folgt eine Tirade gegen die Frankfurter (Ober-)Staatsanwaltschaft. Diese sei für M. nicht glaubwürdig, da sie die Anklageschrift gegen ihn bereits vor Prozessbeginn veröffentlicht habe. Dies sei verboten und würde bestraft.

Erneut erklärt M., dass er nicht bei den Polizeistationen angerufen haben könne. Er hätte seinen „Kollegen“ nicht glaubhaft machen können, weshalb er Daten telefonisch und nicht selbst in der Datenbankabfrage. Zudem habe keiner der Beamten, die illegal Daten abgerufen hätten, ansatzweise angegeben, dass sie von einem falschen Polizisten angerufen worden wären. Vielmehr hätten sie von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Angeblich sei munter weiter angerufen worden, während die Drohserie noch lief - dies sei laut M. jedoch ausgeschlossen, da Anrufe zurück verfolgbar wären. Dies sei während der Ermittlungen dennoch nicht geschehen.

Ihm werde das Profil „Elefant im Porzellanladen“ auf Pi-News zugerechnet, allerdings wäre das eine bloße Vermutung. M. bestreitet in seiner Einlassung ausdrücklich ein Profil dort besessen und Daten versendet zu haben. Weiter behauptet M., dass seine Vorstrafen nichts aussagen würden und er wegen politischer Kriminalität nicht vorbestraft sei. Von einer rechtsextremen Gesinnung könne bei ihm nicht die Rede sein. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung und der Auswertung der Computer sei nie etwas Dementsprechendes gefunden worden. Nach der Verlesung dieser Einlassung fordert er die Justizbeamten auf, die Kopien davon auch an die Presse zu verteilen. Die vorsitzende Richterin gibt dem Angeklagten den Tipp, dass er sich nicht um die Presse kümmern solle.

In einem weiteren Statement gibt er Erklärungen zu anderen Tatvorwürfen ab, darunter der Verstoß gegen das Waffengesetz. M. beschreibt die Situation seiner Festnahme aus der Erinnerung und behauptet, die Falschdarstellung seiner Festnahme sei leicht widerlegbar (er soll das SEK mit einer Schreckschusswaffe bedroht haben). Die Anklageschrift sei seiner Auffassung nach durchzogen von falschen Darstellungen. Der Angeklagte weist zudem darauf hin, dass wenige Tage nach seiner Festnahme im Mai 2021 das Frankfurter SEK „aufgelöst“ worden sei.

Die letzte Erklärung bezieht sich auf den Vorwurf des Besitzes von kinder- und jugendpornographischem Material. M. bestreitet, solches besessen zu haben. Er verweist auf ein früheres Verfahren, in dem er für den gleichen Vorwurf freigesprochen worden sei.

Nach seiner Einlassung sagt die Richterin zu M., dass er sich im Prozess zu mäßigen und die Staatsanwaltschaft nicht zu diffamieren habe. Der Angeklagte gibt an, dass er nicht bereit sei, Fragen zu beantworten.

Oberstaatsanwalt Akdogan gibt zwei Erklärungen ab. Er habe M.‘s Verteidiger angerufen und gefragt, ob Angaben zum Verstoß gegen das Waffengesetz und dem Vorwurf des Besitzes von kinder- und jugendpornographischem Material gemacht werden möchten. Dies sei verneint worden. Weiter erklärt Akdogan, dass der Verkehrsunfall des verdächtigen Polizisten, welcher 2019 verstarb, Gegenstand diverser Presseberichterstattungen gewesen sei. Somit sei die Angabe, das Wissen um den Suizid sei exklusives Täterwissen, schlichtweg unzutreffend.

Nebenklagevertreterin von der Behrens macht ebenfalls darauf aufmerksam, dass der von M. thematisierte Rücktritt eines Polizeipräsidenten, nicht zu dem von ihm benannten Zeitpunkt stattfand, sondern zwei Jahre später und aufgrund der Datenabfragen zu İdil Baydar und Janine Wissler. Weiter möchte sie auf die Behauptung M.‘s, in dem Forum sei eine vermeintliche jüdische Weltverschwörung Thema gewesen, eingehen. Die Drohungen des „NSU 2.0“ hätten ganz massive rechte und sexistische Inhalte gehabt. Diese Punkte würden zu der Einstellung des Angeklagten, dass er ein Problem mit Frauen habe, passen. Der Angeklagte entgegnet ohne Wortmeldung, dass er ein Problem mit Frauen „von der Sorte wie sie die sind“ habe. Von der Behrens fährt fort, dass der Angeklagte ganz offenkundig versuche, Lücken in der Anklage auszunutzen. Sie thematisiert die offenen Fragen hinsichtlich der Datenabfragen. Währenddessen spricht der Angeklagte immer wieder gegen die Anwältin, daher lässt die vorsitzende Richterin dies mitsamt dem Zitat M.‘s „Die spinnt doch!“ im Protokoll festhalten.

Bemühte M. sich während seiner Einlassung für einen juristischen Laien eloquent und bewandert darzustellen, ließ er während der Erklärungen seiner Abneigung gegenüber Frauen freien Lauf. Er unterbrach immer wieder Wortbeiträge und musste von seinen Anwälten sowie der vorsitzenden Richterin gebremst werden.

Die Nebenklagevertreterin Pietrzyk gibt in ihrer Erklärung an, dass die Einlassung des Angeklagten sich an manchen Stellen wie ein Handschuh über die Aktenlage schmiege. So lasse die Einlassung jedoch auch ganz erhebliche Stellen der Anklage aus, an denen der Angeklagte keine andere Version parat habe. Auch die Behauptung, die Drohschreiben seien an Kritiker*innen der Polizei gerichtet, stimme nicht, da auch Gerichte Ziel dieser Serie waren, für die das nicht zutreffe.

Zuletzt erklärt M., dass es für heute reiche und er noch Anträge stellen werde. Außerdem betont er, dass die Personalie André M. in der Anklageschrift eine „riesige Rolle“ spielen würde. Er kenne ihn aber nicht und glaube auch nicht, dass André M. ihn kenne. Generell kenne er keine Betroffene bzw. Geschädigte, höchstens aus dem Fernsehen. Damit endet der zweite Prozesstag. Für den nächsten Verhandlungstag am 21. Februar 2022 sind die Zeug*innen Mehmet Daimagüler und Seda Başay-Yıldız geladen.