29. Prozesstag: Plädoyers der Verteidigung und des Angeklagten

NSU 2.0

Am heutigen Verhandlungstag im „NSU 2.0“-Prozess gegen Alexander M. wurde an die Plädoyer-Verlesungen der Staatsanwaltschaft (StA) und Nebenklagevertreterin von der Behrens Anfang der Woche angeknüpft. Es begann Nebenklage-Vertreterin Kristin Pietrzyk mit einer Bezugnahme auf das Plädoyer der Staatsanwaltschaft.

Die StA habe in ihrem Plädoyer festgestellt, dass von der Drohserie mehrheitlich Frauen betroffen waren, „weil sie Frauen waren“. Dieser Aussage widerspricht die Nebenklageanwältin. Sie ordnet die Bedrohung der betroffenen Personen durch die Drohbrief-Absender mit deren politischen Positionierung, ihrer Präsenz in der Öffentlichkeit ein sowie der antidemokratischen Haltung des Täters ein. Pietrzyk beschreibt, wie ihre Mandantin Martina Renner sich „schön gesagt gerade macht“ – gegen Rechtsextremismus und andere menschenfeindliche Einstellungen. Renner sei eine sprechfähige, medial präsente Frau mit hoher Außenwirkung - genauso wie andere Personen, die im Zeugenstand während des mittlerweile über einem halben Jahr andauernden Prozesses gehört wurden. Das Ziel der Drohschreiben sei Einschüchterung gewesen. Die bedrohten Personen sollen sich nach Ansicht der Täter aus der Öffentlichkeit zurückziehen und etwa das Land zu verlassen.

Die menschenfeindliche Ideologie der Drohschreiben habe NS-Bezüge aufgewiesen und könnte laut der Nebenklage klar mit zeitlicher Nähe zu Äußerungen und öffentlichen Auftritten in Verbindung gebracht werden. So würden sich die Betroffenen zumeist gegen extrem rechte Akteur:innen und Strukturen positionieren oder beispielsweise auch die fehlende und mangelhafte Aufklärung zu rechten Netzwerken innerhalb der Polizei ankreiden. Aufgrund der Tatsache, dass einige betroffenen Frauen der „NSU 2.0“-Drohserie auch über ihre Kinder angegriffen wurden, sieht Pietrzyk den Tatbestand der besonders schweren Nötigung erfüllt. Während die Anwältin ihr Plädoyer vorträgt, wird sie mehrmals durch den Angeklagten M. unterbrochen, dieser zeigte ihr eine Scheibenwischer-Geste.

Anschließend tragen die Verteidiger des Angeklagten M. ihre Plädoyers vor. Rechtsanwalt Baumann kritisiert in seinem Vortrag die fehlende Auseinandersetzung der StA mit den „Missständen in [..] Teilen der Frankfurter Polizei“. Baumann beschreibt seinen Eindruck, dass die Anklage im hiesigen Verfahren eine Erleichterung für den hessischen Innenminister darstelle. Die Sorge um das Ansehen der Behörden habe im Vordergrund gestanden. So habe die Anklage gegen die rassistische Chatgruppe vom ersten Frankfurter Polizeirevier drei Jahre auf sich warten lassen. Weiter kritisiert er den Dienstgruppenleiter der besagten Beamt*innen, dieser habe fast väterlich über den für das 1. Drohschreiben verdächtigten S. geschwärmt. Auch die strenge Befragung durch die Staatsanwältin eines kritischen Zeugens, welcher die Aufklärung im Fall „NSU 2.0“ maßgeblich vorangetrieben habe, merkt Baumann an. Die Verteidigung beendet ihre Plädoyers mit der Frage, ob sich die StA als Hilfsorgan der Polizei sehe.

Bevor der Angeklagte M. sein Plädoyer hält, wird zwischen Senat und ihm diskutiert, ob er es im Sitzen halten dürfe oder nicht. Schließlich plädiert er im Gerichtssaal auf seine Unschuld – er streitet jede Tatbeteiligung ab, da er keine Drohmails verschickt habe. Er sei Mitglied einer Chatgruppe gewesen, in der Drohbriefe koordiniert worden seien. Dort sei er im September 2020 rausgeflogen und habe noch zu einzelnen Mitgliedern Kontakt gehalten. Weiter relativiert der Angeklagte in seinem Plädoyer die Gefahr der Drohschreiben – der „NSU 2.0“ sei Rumtrollerei auf hohem Niveau gewesen. Auch die in den Schreiben enthaltenen Drohungen seien nicht ernst gemeint gewesen. Während seiner Zusammenarbeit mit der Polizei sei Alexander M. laut eigener Angaben mächtig in die Pfanne gehauen worden. Er führt aus, dass an den ihm vorgeworfenen Taten mindestens ein weiterer Täter beteiligt gewesen sein müsse. Nach Beendigung seines Plädoyers wird der voraussichtlich letzte Verhandlungstag für den 17. November bekannt gegeben.