11. Prozesstag: Aussage der Polizeioberkommissarin U.

NSU 2.0

An diesem Verhandlungstag wird als einzige Zeugin Polizeioberkommissarin U. vom hessischen Landeskriminalamt vernommen. Die mittlerweile in Bad Schwalbach tätige Beamtin war Teil einer Arbeitsgruppe innerhalb der Ermittlungsgruppe zum NSU 2.0-Komplex, welche mit der Sicherung und Auswertung digitaler Asservate betraut war. U. war zwischen 2019 und September 2021 Teil der Sonderermittlungsgruppe. An direkten Ermittlungen basierend auf den Ergebnissen ihrer Auswertungen war sie laut ihrer Aussage nicht beteiligt, da diese Aufgaben von einer weiteren Arbeitsgruppe übernommen wurden.

U. schildert zunächst ihre Arbeit innerhalb der Arbeitsgruppe. Zur Auswertung der gesicherten digitalen Asservate, die Alexander M. zugeordnet werden, erstellte U. eine Liste mit Suchbegriffen. Diese entnahm sie Formulierungen aus den vorliegenden NSU 2.0-Drohschreiben, um diese anschließend mithilfe eines gesonderten Computerprogramms mit Beweismitteln abzugleichen, darunter Textdateien auf M. beschlagnahmten Computer und Kommentare auf der extrem rechten Webseite PI-News. U. sagt, dass nach dieser ersten Durchforstung der Dateien eine manuelle Sichtung der entsprechenden Funde durch die Ermittlungsbeamt*innen notwendig war. Danach erläutert die Polizeioberkommissarin, welche anderen Datensätze sie bei der Auswertung von M. Computern fanden. Diese Auswertung ergab, dass eine veröffentlichte Todesdrohung gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız anhand von Nutzungsdaten, beispielsweise sein Nutzername, eindeutig von M. Computer stammt. U. schildert auch, wie sie Nutzernamen M. zuordnen konnte, da unter dem gleichen Nutzernamen Kommentare bei PI-News und in Schachforen verfasst wurden. Es habe auch eine Überschneidung zu einem Account bei Google gegeben.

Danach schildert U., wie sie anhand der gefundenen Daten vermutet, dass M. vorgegangen sein könnte. Hierbei wiederholte sie im Wesentlichen die Anklage der Staatsanwaltschaft, die eine Beteiligung von Polizeibeamt*innen an der Drohschreibenserie ausschließt. Laut U. habe M. viele Informationen durch Google erlangt. So seien etwa schon 2017 Daten zur Linken-Abgeordneten Anne Helm gesammelt worden. Aufgrund einiger festgestellter Texte und Videos auf dem Computer, die sich mit Manipulation beschäftigen, legt die Beamtin nahe, dass M. “social engineering” betrieben habe, also unter der Vorgabe falscher Tatsachen versuchte, an die Daten zu gelangen. Hierzu soll M. sich durch (kostenlose) Rufnummerdienstleistungen behördenähnliche Rufnummern erstellt, um durch Anrufe auf Polizeiwachen, bei Versandhandelsunternehmen wie Otto und Energieversorgungsunternehmen wie Vattenfall an private Datensätze der Betroffenen zu gelangen. U. erklärt, dass eine entsprechende Liste mit Notizen auf M, Computer sichergestellt wurde. Die Notizen beinhalteten unter anderem Hinweise wie falsche Namen, die nicht mehr verwendet werden sollten, neben der entsprechenden Kontaktadresse. Anschließend weist U. darauf hin, dass auf dem Computer der Tor-Browser, welcher anonymes Surfen im Internet ermöglicht, sowie verschlüsselte Dateien gefunden wurden, die bis heute ungeöffnet sind. Hieraus schließt U. eine Verschleierungsabsicht bei M.. Ein persönlicher Kontakt zu Verfassern anderer rechter Drohschreibenserien, etwa André Maaß in Berlin, sei nicht anhand der Daten festzustellen. Da der Angeklagte M. während der Verhandlung dazwischenredete, wurde ihm von der Richterin ein Ordnungsgeld angedroht.

Die Vernehmung der Beamtin musste schließlich frühzeitig beendet werden, da entsprechende Beweismittelbände zum Sachverhalt weder der Nebenklage, noch M. Rechtsanwälten vorlagen. Diese werden nachgereicht. Bei der nächsten Vernehmung von Polizeioberkommissarin U. wird die Auswertung eines E-Mail Accounts beim russischen Anbieter Yandex, der M. zugeordnet wird, im Mittelpunkt stehen. Von dieser Adresse wurden einige der Drohschreiben versendet.