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Rede

Antrag der LINKEN „Abschaffung des § 129 a“

Marjana Schott
Marjana SchottFrauen

Rede Marjana Schott am 24. November 2017 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute Morgen steht in Gießen eine Frauenärztin vor Gericht, weil sie Frauen die Möglichkeit gibt, sich über einen Schwangerschaftsabbruch zu informieren. Auf Ihrer Webseite kann man ein Formular aufrufen, mit dem man Informationen per Mail anfordern kann. Schon das wird als strafbar angesehen. Immer noch gibt es den § 219 a im Strafgesetzbuch. Er stellt unter Strafe, wenn jemand wegen eines Vermögensvorteils oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt. Den Ärztinnen und Ärzten droht damit eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe.

Um sich strafbar im Sinne dieses Paragrafen zu machen, soll schon die Auflistung des Schwangerschaftsabbruchs als eine medizinische Dienstleistung einer Arztpraxis oder Klinik genügen. Da der Abbruch von der Krankenkasse oder der Patientin bezahlt wird, sieht die herrschende juristische Meinung die Voraussetzung "des Vermögensvorteils wegen" als erfüllt an.Ungewollt schwangere Frauen können sich daher nicht im Internet darüber informieren, ob und welche Ärztinnen oder Ärzte in ihrer Nähe einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Ihr Recht auf freie Arztwahl wird faktisch komplett ausgehebelt.

Wenn Frauen einen Arzt oder eine Ärztin im Internet suchen, geraten sie stattdessen auf die Seiten sogenannter Lebensschützer, wo sie mit Bildern zerstückelter Föten und der Androhung lebenslanger Traumata konfrontiert werden. Gerne wird dort auch die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen mit dem Holocaust verglichen – eine durch nichts zu rechtfertigende Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen.Der besagte Paragraf wurde 1933 von den Nationalsozialisten im Strafrecht gesetzlich verankert. Er diente damals dazu, jüdische und kommunistische Ärztinnen und Ärzte zu kriminalisieren. Gleichzeitig sah der § 218 StGB vor, dass Schwangerschaftsabbrüche mit Zuchthaus oder Gefängnis zu bestrafen waren, ab 1943 teilweise sogar mit dem Tod.Das Schattendasein des § 219 a erleichterte es, dass er die verschiedenen Reformdebatten zu den strafrechtlichen Regelungen von Schwangerschaftsabbrüchen überdauerte.

Er blieb selbst dann in Kraft, als 1976 entschieden wurde, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen straffrei sind. Damit besteht heute die widersprüchliche Rechtslage, dass Ärztinnen und Ärzte zwar unter den in § 218 StGB geregelten Bedingungen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, jedoch diese Leistung nicht öffentlich anbieten dürfen.

Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht gesehen, als es 2006 erklärte: „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“ Stärkere Aufmerksamkeit bekommt diese paradoxe Gesetzeslage nun durch aktive Abtreibungsgegnerinnen und -gegner, die die Ärztinnen und Ärzte vermehrt anzeigen, wenn sie auf ihren Webseiten Schwangerschaftsabbrüche anführen. Die Anzahl der Anzeigen steigt, 2016 waren es bereits 35 erfasste Fälle. Auf diese Weise entsteht zunehmend ein Klima, das die Ärztinnen und Ärzte, Beratungsstellen und Schwangeren verunsichert. Schwangere in Notsituationen benötigen Zugang zu medizinischer Beratung und einer Auswahl an Ärztinnen und Ärzten, die sie unterstützen können. Informationen sind hierbei der erste und wichtigste Schritt.Die Gießener Staatsanwaltschaft betont die Notwendigkeit des Paragraphen 219 a.

Dieser soll verhindern, dass „der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird“. Für die betroffene Frauenärztin ist dies eine absurde Vorstellung. Sie sagt: „Es ist doch niemand für Abtreibungen“. Weder ich noch die Frauen, die zu mir kommen.“
Es gebe aber nun mal Situationen, in denen eine Frau eine Abtreibung brauche. „Es ist doch meine verdammte Pflicht, diese Frauen medizinisch zu versorgen.“Für eine gute Versorgung und gute Information ist es dringend erforderlich, mindestens in einem Teil die widersprüchliche Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch zu ändern. Die Information von Ärztinnen und Ärzten muss straffrei gestellt, der § 219 a ersatzlos abgeschafft werden. Hierzu fordern wir Sie mit unserem Antrag auf und hoffen, Sie dazu zu gewinnen.

Nicht nur hier im Landtag, sondern auch im Bundestag – hier bringt DIE LINKE einen Gesetzesantrag ein – wäre dazu spielend eine Mehrheit zu gewinnen, wenn die vier Parteien, die ihre Unterstützung bereits erklärt haben, miteinander stimmen würden. Alleine heute finden in Gießen und Frankfurt zwei Demonstrationen zur Unterstützung der Frauenärztin statt, 72.000 Unterschriften wurden unter eine Petition gesammelt, es gibt viele Solidaritätserklärungen von Frauenverbänden, von Pro Familia, von etwa 100 Ärztinnen und Ärzte, die eine Solidaritätserklärung unterstützen, und vieles mehr. Schließen Sie sich an!