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Rede

Axel Gerntke - 9-Euro-Ticket muss wiedereingeführt werden

Axel GerntkeVerkehr

In seiner 114. Plenarsitzung am 22. September 2022 diskutierte der Hessische Landtag u.a. auf Antrag der LINKEN eine Aktuelle Stunde zum 9-Euro-Ticket. Dazu die Rede unseres verkehrspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, sehr geehrte Verbliebene der Regierungskoalition!

(Minister Tarek Al-Wazir: Na ja, schau einmal in Richtung der SPD-Fraktion!)

– Es scheinen sich alle nicht so sehr für das Thema zu interessieren. Das ist schade. Denn eigentlich ist das ein wichtiges Thema.

Die Möglichkeit der Nutzung des 9-€-Tickets sollte eigentlich verlängert werden. Aber die Situation ist die, dass es alle möglichen Planungen und alle möglichen Erklärungen gibt, dass aber erst einmal eine Lücke entstanden ist. Denn das 9-€-Ticket ist ausgelaufen. Es ist keine Nachfolgeregelung in Sicht. Es gibt zwar allgemeine Erklärungen und nallgemeine Päckchen, die geschnürt wurden, es gibt aber nichts Konkretes. Das nützt den Menschen, die den öffentlichen Personennahverkehr nutzen wollen, natürlich wenig.

(Beifall DIE LINKE)

Schauen wir zurück. Es sind rund 50 Millionen Tickets, die neben den Abonnements zusätzlich verkauft wurden. Das heißt, das Ticket wurde massiv genutzt. Sicherlich wurde es nicht nur dafür genutzt, zur Arbeit zu kommen, sondern es wurde auch in den Ferien genutzt. Das ist sicherlich eine untypische Nutzung. Wenn man sich das über das ganze Jahr anschauen würde, würde sich das verändern. Schon die ersten Auswertungen des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen zeigen, dass auf der einen Seite das Ziel erreicht worden ist, dass mehr Menschen diese Mobilität nutzen. Auf der anderen Seite gibt es auch einen Teil, der tatsächlich von der Nutzung des Pkw zur Nutzung des ÖPNV gewechselt hat. Man muss noch genauer untersuchen, wie groß dieser Teil ist. Insoweit wurden die beiden Ziele, nämlich mehr klimaschonender Verkehr und gleichzeitig der Zugang zur Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen, ein Stück weit erreicht.

Das wurde durch die drastische Preissenkung erreicht. Deswegen stellen wir in Punkt 2 unseres Antrags fest, dass die Preissenkung der richtige Weg ist und die Preiserhöhung, wie man sie zwischenzeitlich im Rhein-Main-Verkehrsverbund leider hat zur Kenntnis nehmen müssen, nicht der richtige Weg ist.

(Beifall DIE LINKE)

Weiterhin wollen wir festgestellt wissen, dass, wenn die Züge voll sind, das kein Problem ist. Vielmehr ist das Ausdruck einer höheren Nutzung. Das ist gut so. Wir wollen unser Leben in vollen Zügen genießen. Aber wir wollen es natürlich nicht in überfüllten Zügen genießen. Ich erinnere mich, dass ich noch vor der Einführung des 9-€-Tickets im Wirtschaftsausschuss gefragt habe, was die Landesregierung zu tun gedenkt, damit wir nicht in die Situation geraten, dass die Leute hinterher sagen: Oh Gott, wir hatten drei Monate lang Chaos, das war ganz schlimm, wir fahren nie wieder mit dem öffentlichen Personennahverkehr. – Da wurde ich mit der Aussage beschieden, das sei die Aufgabe der Verkehrsverbünde. Wenn die Landesregierung nicht einmal das als Auftrag annimmt, so etwas zu verhindern, dann weiß ich es auch nicht.

(Zuruf)

– Es ist gut, dass wir uns einmal gegenseitig recht geben.

(Minister Tarek Al-Wazir: Es stimmt, dass Sie das auch nicht wissen!)

– Ich weiß das wirklich auch nicht. Da bin ich ratlos. Es hätte kurzfristige Möglichkeiten gegeben. Sie wären sicherlich nicht zur Lösung aller Probleme tauglich gewesen. Nur das einmal als Stichwort: Da stehen die Leute in der 2. Klasse wie die Heringe. In der 1. Klasse sind noch zwölf Plätze frei. Da hätte man die 1. Klasse öffnen können. Das hätte die Situation etwas entspannt.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn es heißt, wir wollen die 1. Klasse abschaffen, kann ich sagen: Das müssen wir nicht unbedingt tun. Wir können auch die 2. Klasse abschaffen. Das ist nicht mein Problem. Wichtig wäre, dass die Züge allen zur Verfügung stehen.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)

Klar ist aber auch, dass natürlich gerade den Menschen, die auf dem Land wohnen, auch das schönste 9-€-Ticket wenig oder gar nichts nutzt, weil der Bus nicht fährt. Umgekehrt nutzen den Menschen die schönsten Busse nichts, wenn sie sich das Ticket nicht leisten können. Wir wehren uns mit unserem Antrag dagegen, das gegeneinander auszuspielen. Man muss das eine tun und darf das andere nicht lassen.

Das gilt hinsichtlich der Hardwarekapazitäten. Das gilt aber natürlich auch hinsichtlich des Personals. Es ist unstrittig, dass das im öffentlichen Personennahverkehr tätige Personal einer riesigen Belastung in den drei Monaten ausgesetzt war, in denen es das 9-€-Ticket gab. Sie waren aber auch schon davor einer riesigen Belastung ausgesetzt gewesen. Denn nach den neoliberalen Kriterien wurde das alles immer voll auf Kante genäht. Es soll immer möglichst billig und möglichst effizient sein. Irgendwann wird es aber so effizient, dass das zulasten der Menschen geht. Dann funktioniert es nicht mehr.

Das heißt, wir brauchen einen Ausbau des Personennahverkehrs. Das betrifft die Strecken, die Züge, die Busse und die Bahnen. Wir brauchen natürlich auch einen entsprechenden Personalaufbau.

(Beifall DIE LINKE)

Heute Morgen habe ich von Herrn Rock gehört, die Gültigkeit des 9-€-Tickets sei verlängert worden. Wir würden lügen, weil wir das Entlastungspaket immer so schlechtmachen würden. Die Gültigkeit des 9-€-Tickets sei verlängert worden. Ich weiß nicht, ob ihr daran gezogen habt. Ich kann jedenfalls im Moment noch kein wirksames 9-€-Ticket erkennen.

Aber es ist klar, dass etwas passieren muss. Das hieße, dass allein für die dauerhafte Verlängerung pro Jahr 10 Milliarden € aufgewendet werden müssten. Darin sind die zusätzlichen Investitionen nicht enthalten, die wir sowohl für das Personal als auch für die Hardware brauchen. Das wären einfach nur die Mehrkosten, die durch das Ticket entstehen.

Wir werden natürlich gefragt, wie wir denn die zweistelligen Milliarden-Euro-Beträge, die das pro Jahr ausmachen würde, realisieren wollen. Da wären durchaus Bundesratsinitiativen für Steuerreformen am Platz. Die Übergewinnsteuer wurde von uns hier schon mehrfach eingefordert. Da gibt es immer wieder vermeintliche Gegenargumente: Man wisse nicht genau, wie man sie erheben solle. Das sei alles so kompliziert.

In anderen Ländern wird das gemacht. Aber wenn das den hiesigen Finanzminister überfordert, würde ich sagen, dass wir einfach die Vermögensteuer wieder einführen. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer würde auch gehen, wenn die Einführung der Übergewinnsteuer nicht zu machen ist.

Wenn für andere Fragen von einer Nacht auf die andere mal eben 100 Milliarden € auf den Tisch gelegt werden, finde ich, könnte man sich hier für den ÖPNV auch Gedanken machen.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn das alles nicht reichen sollte, kann man sich auch noch einmal überlegen, wer im Moment alles am öffentlichen Personennahverkehr partizipiert. Viele sind Pendlerinnen und Pendler, die zur Arbeit müssen. Es ist nicht nur eine Aufgabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zur Arbeit zu gelangen, sondern daran haben auch die Arbeitgeber Interesse. Insoweit wäre es vielleicht auch ganz geschmeidig, wenn einmal darüber nachgedacht würde, die Arbeitgeber zur Finanzierung solcher Tickets entsprechend mit heranzuziehen.

Arbeitgebervertreter haben uns im Ausschuss mitgeteilt, dass sie eigentlich überhaupt nicht meinten, dass die Wirtschaft hieran irgendwie beteiligt werden müsse, weil die Wirtschaft ja schon Steuern zahle. – Das finde ich ein super Argument, damit müssten wir eigentlich morgen den Nulltarif einführen; denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und alle Menschen in der Republik zahlen ja spätestens über die indirekten Steuern auch alle Steuern.

Ich weiß jetzt nicht genau, ob die Arbeitgeberseite uns da gleich den Nulltarif anempfehlen wollte; aber ich würde jedenfalls dafür plädieren, dass, wenn verschiedene Seiten in der Republik daran partizipieren, wenn der ÖPNV ausgebaut wird, auch verschiedene Seiten in der Republik entsprechend zur Finanzierung herangezogen werden: Darauf zielt unser Antrag, den ich bitte entsprechend zu beschließen.

Vielleicht noch ein Satz zum Antrag der Union, zu sagen, der Bund solle das Geld zur Verfügung stellen: Da sind wir, wie gesagt, schwer dafür, das kann man erst einmal so wollen. Aber dieses Spiel, dass jeder die Verantwortung beim anderen sucht, ist vielleicht nicht so originell. Primär müssen wir uns an den Bund wenden, aber gleichzeitig müssen wir eben einen Plan B haben, was passiert, wenn politisch nicht durchsetzbar ist, dass er es voll finanziert, welche zusätzlichen Finanzmittel wir aktivieren könnten. Dazu haben wir ein paar Vorschläge gemacht. Zum Antrag der AfD. Ich hatte kurz überlegt, ob wir beantragen sollen, das einzeln abzustimmen; dann könnte man siebenmal mit Nein stimmen. Ich habe noch nie einen Antrag gesehen, in dem so komprimiert so etwas Falsches drinsteht. Aber insoweit kann man es dann auch am Stück ablehnen. – Schönen Dank.

(Beifall DIE LINKE)