Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Axel Gerntke - Deutschlandticket ist für viele Menschen schlichtweg zu teuer

Axel GerntkeVerkehr

In seiner 119. Plenarsitzung am 16. November 2022 diskutierte der Hessische Landtag zur Einführung des Deutschlandtickets. Dazu die Rede unseres verkehrspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Im schwarzgrünen Entschließungsantrag erklären Sie, dass die verschiedenen Landestickets für Schüler, Senioren und Landesbedienstete eine Vereinfachung herbeigeführt hätten. Ich sage schon: Solange es keine anderen preiswerten Tickets gibt, waren das sicherlich Verbesserungen; aber dass das eine Vereinfachung ist, kann ich wirklich überhaupt nicht erkennen.

Sie schreiben dann weiter, für die eine Hälfte der Hessinnen und Hessen sei damit ein preiswerter Zugang ermöglicht. „Preiswert“ mag dahingestellt sein, aber man unterstellt, dass es stimmt. Dann heißt es eben im Umkehrschluss, dass für die andere Hälfte der Hessinnen und Hessen ein solcher Zugang nicht möglich war.

(Beifall DIE LINKE)

Nun feiern Sie das Deutschlandticket und schreiben, es sei auf einem guten Weg. Aber Sie sind auf halber Strecke stehen geblieben; und das ist schlecht, gerade im öffentlichen Personennahverkehr – auch wenn man das in Hessen durchaus gewohnt ist.

Im Einzelnen – auch nicht ganz untypisch für Hessen –: Es kommt zu spät. Wir hatten das 9-€-Ticket, und wir wussten, dass wir das 9-€-Ticket haben. Wir wussten auch, wie lange es gilt. Es wäre eigentlich kein Problem gewesen, sich rechtzeitig Gedanken zu machen, um einen tatsächlichen Anschluss hinzubekommen. Aber mit den Anschlüssen klappt es in der hessischen Verkehrspolitik ja nicht immer gut.

Zweitens. Es ist immer noch zu teuer – für diverse Personengruppen. Ich sage nur: Hartz-IV-Regelsatz. 40 € sind im Monat für Mobilität vorgesehen. Diese 40 € geben die Leute aber nicht für Mobilität aus; denn wir alle wissen, dass der Hartz-IV-Regelsatz viel zu niedrig bemessen ist. Alle Sozialverbände sagen, er müsste außerhalb der jetzt geplanten Anpassung mindestens um 200 € höher liegen. Das heißt, die Menschen verbrauchen das, was hier für Mobilität vorgesehen ist, für Lebensmittel, damit sie nicht hungern müssen. Das heißt dann eben, 49 € sind für diese Personengruppe zu hoch.

(Beifall DIE LINKE)

Wahrscheinlich haben Sie deswegen auch selbst in Ihrem Antrag geschrieben, dass es eine Entlastung sein könne – kann es aber eben auch nicht. Es kommt darauf an, wen es gerade trifft. Das sind nicht nur die Menschen im Hartz-IV-Regelbezug, sondern wir haben auch Menschen im Niedriglohnsektor. Die Union glaubt sogar, die haben nicht mehr als die Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher. Sie haben jedenfalls extrem wenig. Auch für die sind 49 € einfach zu viel.

Nun haben wir in den Zeiten des 9-€-Tickets festgestellt, die Züge waren voll. Das hat vielen nicht gefallen. Teilweise waren sie auch überfüllt. Das war in der Tat nicht erfreulich. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Man kann natürlich sagen: Die, die im Niedriglohn sind, und die, die Hartz IV beziehen, sollen nicht mehr damit fahren, dann werden die Züge leerer. – Das ist eine Form der Lösung. Das ist aber nicht unsere Form der Lösung; denn wir finden, dass eben alle Menschen am ÖPNV partizipieren sollten.

(Beifall DIE LINKE)

Nicht zum Schluss: Das Deutschlandticket heißt wohl „Deutschlandticket“ und nicht „49-€-Ticket“, weil Sie selbst wissen, dass der Preis mittelfristig nicht zu halten sein wird – jedenfalls mit den Rahmenbedingungen, die Sie bisher definiert haben. Das verschärft dann die vorher genannten Probleme noch einmal mehr.

Dann soll der Landtag feststellen, dass die Qualität und die Quantität des Nahverkehrs gesteigert werden sollten. Das ist gut, richtig und sehr vernünftig; und ja, selbstverständlich brauchen wir dafür zusätzliche Bundesmittel.

Ich lese daraus: Die Fraktion der GRÜNEN im Hessischen Landtag beschwert sich über die GRÜNEN im Bundestag, dass die Regierung, in der sie bekanntlich vertreten sind, nicht hinreichend Bundesmittel zur Verfügung stellt – zu Recht. Die Frankfurter GRÜNEN beschweren sich bei der Bundesregierung, dass der Riederwaldtunnel gebaut werden soll und dass das Milliarden verschlingt – auch zu Recht.

In der Tat, wenn man Autobahnen baut, dann fehlen die Mittel für den ÖPNV. Das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Natürlich kann man sagen: „Ja, das wollen wir alles machen; wir wollen die Autobahn weiter ausbauen, dann haben wir nicht mehr genügend Mittel für den ÖPNV“ – alles gut. Aber dann erzählen Sie uns doch bitte nicht etwas von der Verkehrswende, weil das dann die pure Heuchelei ist. Ich kann es leider nicht anders sagen.

(Beifall DIE LINKE)

So richtig es ist, dass wir zusätzliche Bundesmittel brauchen, glaube ich auch, dass es vielen Menschen in der Republik doch eher auf den Keks geht, wenn sich die verschiedenen politischen Ebenen die Verantwortung immer nur hin- und herschieben. Da erwarte ich von der Hessischen Landesregierung und von der hessischen Landespolitik etwas mehr Kreativität.

Wir haben in der Enquetekommission Mobilität z. B. über Vorschläge diskutiert, zusätzlich eine Arbeitgeberabgabe für den öffentlichen Nahverkehr zu erheben. In der Enquetekommission wurde uns berichtet, dass das aus juristischer Sicht durchaus möglich und machbar wäre. Es bedarf nur des politischen Willens. Das ist das eine. Das andere ist hier schon mehrfach zu Recht angemahnt worden: Zusätzliche Landesmittel wären eben ebenfalls nötig. Das geschieht aber nicht. Offensichtlich mangelt es am politischen Willen.

Wir brauchen letztlich einen Ausbau des öffentlichen Personennah- und Personenfernverkehrs. Wir brauchen kurzfristig ein 9-€-Ticket. Wir brauchen mittelfristig einen Nulltarif.

(Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Natürlich brauchen wir dafür mehr Bundesmittel – keine Frage. Wenn wir von einer Zeitenwende reden, dann ist es möglich, von einem Tag auf den anderen 100 Milliarden € zu mobilisieren. Wenn wir von einer Verkehrswende reden, dann gibt es offensichtlich nichts, was in diese Richtung geht.

Worüber wir auch einmal diskutieren könnten – das wird in letzter Zeit auch gerne gemacht –, ist das Schonvermögen. Wir haben viele Milliardäre im Land, und ihr Vermögen wird geschont. Warum nicht einfach eine einmalige Vermögensabgabe? Auch darüber könnte man zusätzliche Bundesmittel realisieren.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn wir an einem Bundesverkehrswegeplan des letzten Jahrtausends festhalten, wird es eben nichts mit der Zeitenwende. Aber wir haben die Möglichkeit, auch hier einen Kurswechsel einzuleiten, wenn das Ganze politisch gewollt wird. Mein Eindruck ist aber, dass die Verkehrspolitik sowohl auf bundespolitischer Ebene als auch hier in Hessen wirklich nur im Schneckengang vorangeht. Deswegen habe ich eher den Eindruck, das Motto müsste heißen: Von Hessen lernen heißt kriechen lernen. – Schönen Dank.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)