Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Axel Gerntke - Günstige und klimafreundliche Mobilität für alle

Axel GerntkeVerkehr

Auch in seiner 114. Plenarsitzung am 22. September 2022 diskutierte der Hessische Landtag gleich zweimal zur Mobilität in Hessen. Dazu die Rede unseres verkehrspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Tat haben wir die letzten Tage schon sehr lange über unterschiedlichste Aspekte der Verkehrspolitik diskutiert. Gleichwohl hat die FDP noch einmal die Frage nach den Strukturen aufgeworfen. Meiner Ansicht nach hat der Redner, Towarischtsch Naas, nicht zu Unrecht hinterfragt, ob die Strukturen, die wir jetzt haben, noch adäquat sind. Die FDP nennt das „Kleinstaaterei“ und macht auf Tarifgebiete, Übergangsgebiete, Fahrkartenverkauf, Kontrollen usw. aufmerksam. Das hängt alles zusammen. Diese Probleme wären zum großen Teil durch Flatrate-Tickets, aber am allerbesten durch einen Nulltarif zu überwinden. Auch Flatrate- Tickets muss man kontrollieren, um sicherzustellen, dass sie auch entsprechend bezahlt sind. Aber das mag nur eine technische Frage sein.

Relevanter ist die Frage: Wer kann sich das am Ende noch leisten, und sehen wir es als ein Problem an, wenn sich ein Viertel der Bevölkerung das nicht leisten kann? Das muss man klären. Daneben ist die Frage relevant: Wie ist es zu diesen zersplitterten Strukturen gekommen? Diese sind schließlich nicht vom Himmel gefallen, sondern das sind Strukturen, die gesetzmäßig festgelegt sind und die man auch gesetzmäßig verändern könnte, wenn man wollte.

Ich finde, da muss man klären: Wollen wir, dass der ÖPNV eine sozialstaatliche Leistung ist, oder ist er eine Ware, die wir auf dem Markt verkaufen? Das kann man so oder so sehen. Wenn man sagt, man möchte ihn als Ware auf dem Markt verkaufen, dann hat man das Problem, dass man eine Buslinie auf dem Land nicht fahren lassen kann. Man kann sie schon fahren lassen, aber die wenigsten potenziellen Kundinnen und Kunden werden bereit sein, für eine Fahrt die 200 €, die fällig würden, wollte man kostendeckend arbeiten, zu zahlen. Das wurde hier teilweise eingefordert.

Sozialstaatliche Finanzierung hieße nicht, dass die Kosten geringer wären, sondern sie würden von der Gesellschaft getragen. Je höher die Kosten für die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer sind und je unmittelbarer sie an die Nutzerinnen und Nutzer angebunden sind, desto weniger ist es sozialstaatlich organisiert, wenn ich die einzelne Fahrt wirklich kostendeckend haben will.

Das habe ich bei einer Flatrate nicht. Selbst bei einer Flatrate werden die Kosten umgelegt; denn, wenn der eine sich eine Monatskarte für 60 € kauft und zweimal damit fährt, und ein anderer kauft sich eine Monatskarte für 60 € und fährt damit 50-mal, dann zahlt der Zweite relativ natürlich weniger pro Fahrt. Schon bei einer Flatrate ist es so, dass die Kosten nicht mehr 1 : 1 umgelegt werden. Wenn gesagt wird, wir wollen einen gewissen Kostendeckungsgrad über die Nutzerinnen und Nutzer erzeugen und wollen aber gleichzeitig Flatrates, dann ist das ein gewisser innerer Widerspruch, weil natürlich auch die Flatrates schon darauf hinwirken, dass ein Ausgleich, in diesem Fall unter den Nutzerinnen und Nutzern, stattfindet.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sagen, das Ganze soll eine sozialstaatliche Leistung sein. Das hat zur Konsequenz, dass der Ausgleich nicht nur zwischen denen besteht, die den ÖPNV viel, und denen, die den ÖPNV wenig nutzen, sondern dass der Ausgleich auch zwischen denen besteht, die das Angebot nutzen, und denen, die das Angebot gar nicht nutzen. Das hieße, dass alle gesellschaftlichen Gruppen zur Finanzierung herangezogen würden, wie es im Übrigen auch in anderen Bereichen des Verkehrs der Fall ist. Denn wer meint, dass die Kosten, die für den Autoverkehr anfallen, allein über die Kfz-Steuer, die Benzinsteuer usw. abgewickelt würden und dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Bereithaltung der entsprechenden Infrastruktur nicht Diverses zusätzlich zu bezahlen hätten, der irrt im besten Falle – es sei denn, er weiß, was er tut, und behauptet es trotzdem.

Wir sind also insoweit dafür, das Ganze sozialstaatlich zu organisieren. Dass das Ganze aber auseinandergefallen ist und in verschiedenste Sektoren aufgegliedert worden ist, dass die RMVs dann wiederum in GmbHs und in Anbieter und Abnehmer umgewandelt werden, dass das Ganze als Markt organisiert ist, ist nicht zufällig passiert, sondern ist beabsichtigt. Ich erinnere nur an den hessischen Weg in den Wettbewerb von 2003. Das klingt schon wie eine blöde Idee, und sie war es auch. Die war ja auch von Roland Koch.

Das war sozusagen die Art und Weise, wie damit umgegangen wurde. Es gibt da eine Konkurrenz um die Vergabe von Bus- und Bahnlinien. Seitdem geht es mit den Lohn- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten genauso bergab, wie es mit der Versorgung der Bevölkerung mit entsprechenden Verkehrsleistungen bergab geht. Diese Struktur scheint mir in der Tat für eine sozialstaatliche Aufgabe nicht besonders angemessen zu sein. Die muss grundlegend anders organisiert sein. Das hat dann eben auch zur Konsequenz, nicht, dass die Kosten sinken, sondern dass die Kosten nicht primär über die Nutzerinnen und Nutzer – am besten gar nicht –, sondern gesellschaftlich getragen werden. Insoweit bin ich nur über den FDP-Antrag etwas verwundert – –

(Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

– Jetzt sind ja auch ein paar Leute mehr da, und manche hören sogar zu, das ist auch ganz schön. Das ist man vom Parlament nicht immer gewohnt.

(Volker Richter (AfD): Wir hören gut zu!)

Aber je mehr Sie sich bemühen, desto mehr bemühe ich mich auch. Da kann etwas gehen. Es wundert mich bei der FDP trotzdem, dass sie auf der einen Seite die Strukturen, die doch eigentlich völlig in ihrem Sinne sind – nämlich die Totalität des Wettbewerbs, die sie immer weiter ausgeweitet hat –, beklagt und sagt: Das alles ist Kleinstaaterei.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Nein!)

Das ist doch genau Folge Ihrer Wettbewerbsgedanken, die da sozusagen manifest werden und die Sie auch in zahlreichen Regierungsbeteiligungen weiter ausgebaut haben. Aber wenn Sie an der Stelle nicht nur die Liebe zum öffentlichen Nahverkehr im Allgemeinen entdeckt haben, sondern auch die Liebe zu sozialstaatlichen Strukturen, dann kriegen wir da gemeinsam bestimmt ein super Ergebnis hin. Vielleicht fließt das Wasser auch einmal wieder den Rhein hinauf. – Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE)