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Rede

Axel Gerntke - Hessen muss das 49-Euro-Ticket um ein Sozialticket ergänzen

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In seiner 123. Plenarsitzung am 08. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag anlässliches unseres Setzpunktes zu unserem Antrag "Sozialticket in Hessen einführen - Mobilität für Alle garantieren". Dazu die Rede unseres verkehrspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Mit viel Hängen und Würgen wurde sich zwischen dem Bund und den Ländern nunmehr auf das sogenannte Deutschlandticket verständigt. Der politische Wille scheint da zu sein; die Praktiker in den Verkehrsunternehmen haben allerdings noch viele offene Fragen hinsichtlich der Umsetzung, aber auch hinsichtlich der Finanzierung. So, wie es im Moment aussieht, weiß man noch nicht genau, wann das sogenannte Deutschlandticket kommen soll. Vor dem zweiten Quartal 2023 wird es wohl eher nichts.

Ich gebe zu und räume ein: Das 49-€-Ticket, so es denn kommt, bringt für viele Pendlerinnen und Pendler eine Preissenkung. Heute kann man im RMV locker Preise von 100 bis 150 € für eine Monatskarte berappen. Insofern ist da wirklich ein spürbarer Entlastungseffekt für die Mittelschicht.

Wenn ich von Mittelschicht spreche, dann meine ich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ein mittleres Einkommen haben, die 3.000 oder 4.000 € brutto verdienen. Friedrich Merz meine ich damit nicht, sonst hätte ich von „gehobener Mittelschicht“ gesprochen.

Angesichts dessen, dass sich insbesondere Christian Lindner schon festgekrallt hatte und die FDP eine Verlängerung des 9-€-Tickets kategorisch ausgeschlossen hatte, ist das immerhin ein Teilerfolg – wenn das Ticket denn irgendwann kommt. Aber gegebenenfalls ist das ein kurzfristiger Erfolg – man darf das 49-€-Ticket ja nicht so nennen, sondern muss es Deutschlandticket nennen –, weil von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen wurde, dass die 49 € nur ein Einführungspreis sein sollen. Damit ist wohl gemeint, dass der Preis steigen wird. Beim Begriff Einführungspreis würden wir noch mitgehen, aber es wären natürlich eine Dynamisierung nach unten und perspektivisch die Einführung eines Tickets nach dem Motto „freie Fahrt für freie Bürgerinnen und Bürger“ nötig.

(Beifall DIE LINKE)

49 € sind nämlich, das können sich manche vielleicht nicht vorstellen, für viele Menschen viel Geld. 49 € sind für einige Menschen sogar zu viel Geld. Der schon fast revolutionäre Ansatz des 9-€-Tickets war ja, dass es sich ganz viele leisten konnten, die vorher nicht mobil sein konnten. Das ist bei knapp 50 € nicht mehr der Fall.

Der Hartz-IV-Regelsatz sieht derzeit gut 30 € für den ÖPNV und rund 40 € für die gesamte Mobilität vor – wohlgemerkt: für Erwachsene. Von dem Gesamtbetrag für die Mobilität muss auch noch das Fahrrad repariert und gelegentlich eine Reise mit dem Fernbus oder eine Fahrt mit dem Intercity bezahlt werden.

In der Praxis ist es aber doch so, dass bei den derzeitigen explodierenden Lebensmittelkosten ein Teil des Verkehrsbudgets wahrscheinlich für Essen und Trinken draufgeht; denn die Gesamterhöhung des Regelsatzes um etwas über 50 € ist ja eigentlich keine Erhöhung, sondern lediglich eine Anpassung an die Inflation. Außerdem haben die Sozialverbände darauf aufmerksam gemacht, dass der bisherige Regelsatz nicht einmal ansatzweise zum Leben reichte. Die Sozialverbände haben deutlich gemacht: Man bräuchte mehr als 200 € zusätzlich. – Dazu stehen auch wir, DIE LINKE. Der Betrag muss insgesamt erhöht werden.

(Beifall DIE LINKE)

Bei solchen Forderungen bekommen wir natürlich entgegengehalten: Das kann man auf der Landesebene nicht machen. – Deshalb schlagen wir das im Moment auch gar nicht vor. Wir schlagen vielmehr vor, dass man ein 9-€-Ticket einführt, um die entsprechenden Gruppen zu entlasten. 9 € sind für manche zwar immer noch viel Geld, aber für einen deutlich größeren Teil der Bevölkerung wäre ein solches Ticket erschwinglich.

Mittelfristig gesehen, wollen wir zu einer kostenlosen Nutzung des ÖPNV kommen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir knüpfen aber erst einmal an das 9-€-Ticket an. Wenn die FDP aber mit uns zusammen einen Nulltarif beschließen möchte, dann machen wir das gerne mit. Das ist nicht das Problem.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe Freie Demokraten)

Wir reden dabei nicht nur über die 400.000 Menschen in Hessen, die in Arbeitslosengeld-II-Bedarfsgemeinschaften leben. Wir reden auch über die 100.000 Menschen in Wohngeldhaushalten, über die rund 1 Million Schülerinnen, Schüler und Studierenden und über rund 1,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner, wobei klar ist: Die Gruppen überschneiden sich zum Teil, man darf die Zahlen nicht einfach addieren. Gleichwohl ist es eine große Anzahl von Menschen. Wir reden auch über andere sozial benachteiligte Gruppen, etwa über die Empfängerinnen und Empfänger von Pflegegeld oder von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und z. B. über Erwerbslose, die Leistungen aus dem SGB III beziehen.

Für alle diese Gruppen wollen wir zunächst ein 9-€-Ticket einführen. Wenn wir gefragt werden, warum nur für diese Gruppen, nicht für alle: Ein Ticket für alle ist in der Tat auf dem Weg. Wenn die Regierung von vornherein sagen würde, es sollen alle bekommen, dann wären wir gerne dabei. Wir erheben hier eine Zwischenforderung: Ein 9-€-Ticket für die genannten Gruppen.

(Beifall DIE LINKE)

Das Sozialticket sollte über einen Zuschuss des Landes Hessen an die Verkehrsträger zum Ausgleich der damit einhergehenden Mindereinnahmen finanziert werden. Das wäre es wert; denn Mobilität bedeutet Teilhabe am täglichen Leben, und auch Menschen mit geringem Einkommen müssen die Möglichkeit haben, an Kultur teilzuhaben, Bekannte und Verwandte zu besuchen, zur Arbeit zu kommen oder in die Natur zu fahren.

Selbstverständlich ist parallel dazu ein Ausbau der Infrastruktur notwendig. Es war in der Tat so, dass die Züge teilweise überfüllt waren, als es das 9-€-Ticket gab. Die Lösung des Problems kann aber doch nicht darin bestehen, dass man ungefähr 20 % der Bevölkerung von der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel fernhält. Das lehnen wir ab.

(Beifall DIE LINKE)

Man wurde noch vor Kurzem als Träumer belächelt, wenn man solche Vorschläge gemacht hat. Aber auch in der Enquetekommission wurde deutlich, dass die Nutzerfinanzierung des ÖPNV dem Ende zugeht, früher oder später. Zumindest bis zum Auftreten von Corona wurde in Hessen fast die Hälfte der Kosten für den ÖPNV-Betrieb aus Steuermitteln gedeckt. Die Ticketerlöse machen die andere Hälfte aus. Anderswo, z. B. in Berlin, ist der Anteil deutlich geringer: Dort werden 70 % der Betriebskosten aus Steuermitteln finanziert. Das wäre ein einfacher Weg zu günstigen Fahrpreisen: die Erhöhung des Steueranteils an der Finanzierung.

Natürlich wäre da zunächst die Bundesregierung gefragt, die weiterhin, ohne mit der Wimper zu zucken, zweistellige Milliardenbeträge verausgabt, um Diesel, Kerosin und Dienstwagen zu subventionieren.

Steuern sind immer eine gerechte Art der Finanzierung; denn die Starken bezahlen mehr als die Schwachen. So würden die Menschen, die sich die dicken SUVs leisten, auch einen gerechten Beitrag dazu leisten, dass vernünftigeren Menschen ein sehr guter ÖPNV zur Verfügung steht.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Oder ein Tesla!)

  • Oder ein Tesla, ja.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Was ist das für eine Doppelmoral?)

  • Welche Doppelmoral? Ich wüsste nicht, was daran Doppelmoral ist, wenn jemand einen Tesla fährt und finanziell am öffentlichen Nahverkehr beteiligt wird. Das ist es ja, was wir fordern. Das liegt aber nicht an der Automarke.

(Beifall DIE LINKE)

Eine andere Möglichkeit wären Abgaben für die Erschließung durch den ÖPNV, beispielsweise für Unternehmen und Grundstückseigentümer. Die Stadt Wien erhebt z. B. eine U-Bahn-Steuer von 2 € pro Arbeitsplatz pro Woche, die zweckgebunden in den ÖPNV-Ausbau fließt. Das wäre auch eine Möglichkeit.

DIE LINKE will Mobilität für alle gewährleisten und die

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, unabhängig vom Geldbeutel und vom Besitz eines eigenen Autos. Dafür wollen wir die Verkehrsmittel des sogenannten Umweltverbunds möglichst attraktiv machen. Bus-, Bahn-, Radund Fußverkehr müssen oberstes Ziel hessischer Verkehrspolitik sein. Wir brauchen eine Verkehrswende. – Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE – Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Und nicht auf dem Papier!)