Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Axel Gerntke - Schlechte Arbeitsbedingungen verursachen Fachkräftemangel

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In seiner 123. Plenarsitzung am 08. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag anlässliches des Setzpunktes der Fraktion der FDP zu ihrem Antrag "Arbeits- und Fachkräftemangel bedroht Wohlstand Hessens: Duale Ausbildung zukunftsfähig aufstellen - Zuwanderung vereinfachen". Dazu die Rede unseres wirtschafts- und arbeitspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Die FDP kümmert sich um Arbeitskräfte und Fachkräfte: Das ist so erfreulich wie erstaunlich. Jahrzehntelang haben wir in den Gewerkschaften uns für eine Ausbildungsplatzumlage engagiert,

(Beifall Stephan Grüger (SPD)) einerseits, damit die jungen Menschen die Möglichkeit haben, eine vernünftige Ausbildung zu bekommen, aber eben auch, weil es arbeitsmarktpolitisch sinnvoll gewesen wäre. Die FDP hat uns beschieden, dass es der Markt ja wohl schon regeln werde. Jetzt ist der Jammer groß, und der Markt hat es offensichtlich nicht geregelt.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Und die FDP auch nicht!)

  • Ja, und die FDP auch nicht. Gut, aber das behauptet nochnicht einmal die FDP, dass sie das kann.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)

Es scheint hier absoluter Konsens zu sein, dass wir Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel haben. Ich würde natürlich auch sagen, dass das in manchen Branchen so ist, keine Frage. Das wird in den nächsten Jahren sicherlich auch nicht besser. Aber teilweise fehlt auch einfach nur der Wille, die Menschen zu vernünftigen Konditionen einzustellen. Die Ursache des Fachkräftemangels sind teilweise auch schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne. Zum Teil verdienen ausgebildete Fachkräfte in einigen Branchen – z. B. in der Gastronomie – so schlecht, dass es für sie lukrativer ist, in anderen Bereichen vielleicht als ungelernte Helferin oder Helfer tätig zu werden.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Sagen Sie auch noch etwas zu dem Antrag?)

  • So viel Substanzielles steht da zwar nicht drin, aber ichsage noch etwas zu dem Antrag.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Auch in der Pflege ist der Fachkräftemangel ein hausgemachtes Problem: Arbeitsverdichtung, ungeregelte Arbeitsbedingungen, Pausenzeiten, niedrige Bezahlung – all das belastet die Beschäftigten. Wir haben eigentlich keinen Fachkräftemangel in der Pflege; denn wir haben sehr viele Menschen, die ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger sind, die aber sagen: Unter diesen Bedingungen kann ich es nicht, und unter diesen Bedingungen will ich es nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Ein knappes Drittel derjenigen, die im Pflegebereich ausgebildet werden, bricht die Ausbildung vorzeitig ab, und die übergroße Mehrzahl der Beschäftigten arbeitet nur in Teilzeit, und zwar deswegen, weil die Belastung so hoch ist, dass sie es einfach nicht anders können.

Woher kommt das? Wir können ja einmal ein bisschen zurückdenken. Erinnern wir uns an die Agenda 2010. Damals hieß es, Deutschland brauche einen Niedriglohnsektor, und der wurde auch geschaffen: Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, Abschaffung der Arbeitslosenhilfe. Man wolle Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenführen, aber nicht auf dem Niveau der Sozialhilfe – so hieß es damals im SPD-Wahlprogramm. Man kann sagen, die SPD hat auch Wort gehalten: Sie hat es zusammengeführt, und zwar nicht auf dem Niveau der Sozialhilfe, sondern unterhalb des Niveaus der damaligen Sozialhilfe. Alle anderen haben mitgemacht und eher noch gedrängt.

Jetzt soll – ich würde nicht sagen – eine Abkehr kommen. Das Bürgergeldkonzept, das ursprünglich da war, war ja auch schon keine Abkehr. Aber selbst die kleinsten Pflänzchen, die es etwas anders hätten machen wollen, sind dann von der Union wieder rausgerissen worden, sodass man sagen kann: Es bleibt auch bei diesem Niedriglohnsektor. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Leute eben nicht willens und in der Lage sind, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Dabei geht es nicht nur um die Drangsalierung der Erwerbslosen, sondern es geht eben darum, einen gesamten Niedriglohnsektor zu schaffen.

Das Zweite ist dann auch beliebt – darauf gehe ich gleich noch näher ein –: Man holt sich dann eben die Leute von außen. Wenn es für Deutsche nicht mehr zumutbar ist, holt man sich eben andere. Aber dazu komme ich noch genauer.

Zur Qualität der Ausbildung. Warum interessieren sich junge Menschen heute weniger für Ausbildung und die Frage nach der Qualität der Ausbildung? Darin liegt wohl auch die Antwort. Laut „Ausbildungsreport 2022“ der DGB-Jugend liegt die Zufriedenheit der Auszubildenden mit ihrer Ausbildung im Schnitt bei knapp drei Viertel. Etwa bei angehenden Hotelfachleuten liegt sie bei etwas über der Hälfte. Weniger als zwei Drittel aller Azubis würden ihren Ausbildungsbetrieb weiterempfehlen.

Natürlich ist es auch die Attraktivität der später ausgeübten Berufe und der entsprechenden Beschäftigungsverhältnisse. Zum Beispiel verdienen Erzieherinnen und Erzieher in ihrem anspruchsvollen Job bei einer Lohnsteuerklasse I um die 2.000 € netto.

Das sind Berufseinsteiger für einen Job, der mit ziemlicher Sicherheit irgendwann krank macht. Wenn die Arbeitsbedingungen so schlecht sind und die Betreuungsschlüssel auf dem Papier schon unzureichend und in der Realität katastrophal sind, dann muss man sich nicht wundern, dass, wenn man denn einmal eine Fachkraft findet, man diese dann auch schnell wieder loswird. Dieses Problem haben wir in vielen Ausbildungsberufen. Da helfen auch keine Werbekampagnen, dass die jungen Menschen nicht studieren, sondern lieber in solche Ausbildungsverhältnisse gehen sollen. Es ist vielmehr eine rationale Entscheidung der Betroffenen, warum sie so handeln, wie sie handeln.

Bei der Frage der Wertschätzung geht es nicht allein um die Wertschätzung der Ausbildungsberufe. Darum geht es auch. Aber Wertschätzung drückt sich im Kapitalismus nun einmal hauptsächlich über Geld aus und nicht über warme Worte und Sonntagsreden.

(Beifall DIE LINKE – Dr. Frank Grobe (AfD): Denken Sie an Nordkorea!)

Wenn man Berufe aufwerten möchte, dann muss man sie auch ordentlich bezahlen. – Was die dämliche Bemerkung mit Nordkorea damit zu tun haben soll, ist mir völlig unklar.

Was die Ausländerämter angeht: Natürlich sollen die gut arbeiten. Hierfür ist auch entsprechendes Personal einzustellen. Das hieße dann aber auch „effektiver Sozialstaat“ anstelle des Mythos vom schlanken Staat, der uns jahrelang auch von der FDP gepredigt worden ist.

Das Ganze ist ein Gebot der Menschlichkeit. Wenn der Kollateralnutzen ist, dass die Leute auch arbeiten, dann ist das gut und richtig; aber es ist zuerst einmal ein Gebot der Menschlichkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Die Idee eines Punktesystems erweckt bei uns eher den Eindruck, als würden die hoch qualifizierten Menschen in Indien in den Startlöchern stehen und nur darum betteln, doch jetzt endlich einmal in Deutschland arbeiten zu dürfen. Aber dem ist leider nicht so, sondern viele andere Länder sind wesentlich attraktiver. Hier in Deutschland ginge es vielleicht schon einmal in die richtige Richtung, wenn man sagen würde: verbesserte Löhne, verbesserte Arbeitsbedingungen und ein bisschen weniger Rassismus. (Beifall DIE LINKE – Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Oder viel weniger Rassismus!)

– Viel weniger. Ich habe in die andere Richtung geschaut: Da wäre ein bisschen weniger auch schon ein Erfolg.

Keine Frage: Die Menschen, die zu uns kommen, sind willkommen, sie sollen arbeiten dürfen und können einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten. Dazu muss man sie dann aber auch aus- und weiterbilden.

DIE LINKE sagt Ja zur Einwanderungspolitik, die auf Solidarität zwischen den Beschäftigten fußt. Das erfordert eine starke Tarifbindung, einen regulierten Arbeitsmarkt. Nur so schaffen wir gute Arbeit für alle.

(Beifall DIE LINKE)

Die Einwanderungspolitik nur unter dem Aspekt der ökonomischen Nützlichkeit für den Arbeitsmarkt zu betrachten, lehnen wir ab. Quoten, Kontingente und Punktsysteme sind Instrumente einer solchen selektiven Einwanderungspolitik.

Ich will auch noch einmal darauf aufmerksam machen: Wir haben hier im Land heutzutage 2,4 Millionen registrierte Arbeitslose; die reale Zahl liegt wahrscheinlich noch rund 1 Million höher. Auch da müssen wir uns darum kümmern, wie diese Menschen qualifiziert und weitergebildet werden können.

(Beifall DIE LINKE)

Es lohnt sich auch, den Blick noch einmal auf Hessen zu richten. Vor einigen Tagen erschien der neue Berufsausbildungsbericht 2022. Der DGB rief daraufhin eine Krise auf dem hessischen Ausbildungsmarkt aus, und zwar zu Recht. Im Bericht konnte man lesen:

Im Berichtsjahr 2021 ging das Stellenangebot der Betriebe in Hessen … gegenüber dem Vorjahr um 1 % zurück, während auf Bundesebene ein leichtes Plus von 2 % verzeichnet wurde.

Zwar verbessert sich die Angebots- und Nachfragesituation zugunsten der Jugendlichen – im Bundesschnitt liegt sie bei 99 %, hier in Hessen aber nur bei 93 % –, aber der Abstand zwischen dem Bundesschnitt und dem Land wird größer und nicht kleiner. Da gibt es also für die Landesregierung noch einiges zu tun, damit jeder interessierte Jugendliche seine Wunschausbildung bekommen kann. Das ist vor allem im Interesse der Jugendlichen, aber auch im Interesse der Unternehmen. Das Land könnte etwa die Tatsache, dass ein Betrieb ausbildet, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge höher gewichten.

(Beifall DIE LINKE)

Aber es gibt auch noch mutigere Ansätze, etwa eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie, um die Attraktivität und Qualität der dualen Ausbildung zu verbessern – wie es der DGB auch fordert –,

Präsidentin Astrid Wallmann:

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.

Axel Gerntke (DIE LINKE):

ein Gesamtkonzept aus systematischem Übergangsmanagement zwischen Schule und Beruf, qualitative und finanzielle Ausbildungsförderung der Betriebe durch eine Umlage und eine bedarfsabhängige außerbetriebliche Ausbildung als Auffangnetz. Letztendlich brauchen wir eine Anti-Hartz-IV-Politik, eine grundlegende Wende auf dem Arbeitsmarkt. – Meine Damen und Herren, herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)