Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Axel Gerntke - Schwarzgrünes Nahmobilitätsgesetz ist kein Beitrag zur Verkehrswende

Axel GerntkeVerkehr

In seiner 128. Plenarsitzung am 15. Februar 2023 diskutierte der Hessische Landtag den schwarzgrünen Entwurf eines Nahmobilitätsgesetzes. Dazu die Rede unseres verkehrspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Unter dem sperrigen Wort Nahmobilität fasst die Landesregierung seit einiger Zeit Fuß- und Radverkehr zu einer Einheit zusammen. Ich will das Positive gleich vorweg sagen: In dem Gesetzentwurf steht eigentlich nichts Falsches drin: Radwegenetze sollen durchgängig sein, das Ministerium berät Kommunen bei der Parkraumbewirtschaftung – das ist prima –, das Land Hessen ergreift geeignete Maßnahmen, um Dienststellen fahrradfreundlicher zu gestalten – ja, bitte. Also alles nett,

(Katy Walther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Al-

les Peanuts!)

schadet nix, nützt allerdings auch nicht richtig was.

(Katy Walther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, nützt nix!)

70.000 Hessinnen und Hessen sowie die Verbände, die das Volksbegehren auf den Weg brachten, hatten ein konkretes Ziel, ein Verkehrswendegesetz.

(Beifall DIE LINKE)

Das sollte klare Kriterien an die Mobilitätsangebote und den Klimaschutz anlegen, mit klar definierten und messbaren Mindeststandards, z. B. die planmäßige Sicherung von Schul- und Kindergartenwegen, eine Zentralisierung der Planung der Radschnellwege, mindestens ein Stundentakt im ÖPNV auch auf dem Land, und das von 5 bis 23 Uhr. Doch gerade der öffentliche Personennahverkehr kommt in diesem schwarz-grünen Gesetzentwurf einfach überhaupt nicht mehr vor. Dabei wäre er der zentrale Baustein, der entsprechend gefördert werden müsste.

(Beifall DIE LINKE)

Ich kann mich in vielen Punkten der Kritik der FDP anschließen,

(René Rock (Freie Demokraten): Ui! – Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

allerdings kann man zur Frage, dass hier von Autos keine Rede ist, sagen: Was habt ihr denn dagegen? Das tut doch nichts. Die individuelle Freiheit des Autofahrers wird durch dieses Gesetz doch in gar keiner Art und Weise beschnitten. Es mag sein, dass dein Auto deine individuelle Freiheit ist, aber die individuelle Freiheit von anderen Menschen wird möglicherweise durch dieses Auto beschnitten, deswegen muss man das schon ein bisschen in Relation zueinander setzen.

Dabei wäre eine Verkehrswende wirklich überfällig. Es ist nicht so, als hätten wir noch Jahrzehnte Zeit für den Klimaschutz. Während aber Autobahnen und der Flughafen fleißig ausgebaut werden, bekommen Bus und Bahn weiterhin chronisch zu wenig Geld. Die Folgen sind schlechte Fahrplantakte, fehlende Verbindungen und nach wie vor zu hohe Fahrpreise. Es ist, wie gesagt, immer noch so, dass, selbst wenn das Sozialticket kommt, wenn das sogenannte Deutschlandticket kommt und selbst wenn es so wäre, dass es bei 49 € bleibt, gerade die 20 % der Bevölkerung, von denen vorhin schon gesprochen wurde, die sich kein Auto leisten können, vielleicht auch das Problem haben, dass sie sich noch nicht einmal 49 € oder 31 € werden leisten können.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben eine klare Vorstellung von einer sozial-ökologischen Verkehrswende. Der Ausgangspunkt ist dabei eben der Anspruch aller Menschen auf eine alltagstaugliche Mobilität, auf soziale Teilhabe, ob in Stadt oder Land, mit viel Geld oder ohne Geld. Die darf dann auch nicht vom Besitz eines Autos abhängig sein. Nur so können die Klimaziele im Verkehrssektor erreicht und mehr Platz in den Städten durch die Menschen genutzt werden. Dafür muss man nicht auf große technische Innovationen aus Fantasialand, auf Flugtaxis, die Kernfusion oder das Perpetuum mobile warten, sondern die Ziele wären prinzipiell mit heutigem Wissen und technischen Möglichkeiten erreichbar. Es bedarf aber natürlich einer entsprechenden Finanzierung, um diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu stemmen. Dafür gibt es Ideen genug: Nutznießerabgaben für Gewerbe, Arbeitgeberbeiträge zugunsten des ÖPNV und natürlich auch ein gerechtes Steuersystem, das Konzerne und Vermögen endlich gerecht beitragen lässt.

(Beifall DIE LINKE)

Dann ließen sich Fahrpreise absenken, die auch mit 49 € für viele noch ausgrenzend wirken, zumal schon wieder weitere Verteuerungen drohen. Diese Verteuerungen sind genau der falsche Weg. Es ist klar, dass das das ganze Haus vielleicht nicht so sehr beeindruckt. Als Landtagsabgeordneter kann man schließlich umsonst fahren. Für Menschen jedoch, die sich das nicht leisten können, sind auch 49 € ein Problem.

(Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Es gibt auch Menschen im Niedriglohnsektor, die die Grenze gerade überschreiten, die das 31-€-Ticket deshalb nicht bekommen und für die das ein großes Problem ist.

(Beifall DIE LINKE)

Man kann ja gern in anderen Sphären leben; aber sich zumindest in eine solche Situation hineinzuversetzen, das sollte allen Abgeordneten abverlangt werden.

Wer Bus und Bahn attraktiv machen will, muss zudem auch die Nutzung angenehm machen. Bisher ist es doch so: Wer mit dem Auto in die Stadt fährt, sieht meistens das freundliche Gesicht, die gute Stube und die bunten Willkommensschilder. Wenn man hingegen mit der Bahn ankommt, trifft man auf ein vernageltes Bahnhofsgebäude, Graffiti unterschiedlicher Qualität und eine Unterführung mit unerfreulichem Aroma.

Auch der Rad- und Fußverkehr muss attraktiver gemacht werden. Zu Fuß Gehenden wird heute stets gerade so viel Platz zugestanden, wie die Autos übrig lassen. Wenn da noch etwas übrig bleibt, bekommt es vielleicht der Radverkehr.

Warum drehen wir das nicht um? 2,5 m sind nach den aktuellen Regeln der Technik die Mindestgehwegbreite. Das wäre die Grundlage. Dann käme ein baulich getrennter Radweg. Wenn dann noch etwas übrig bleibt, dann eben für den Pkw-Verkehr. Das wäre einmal ein anderes Herangehen.

Ich fand es sehr zutreffend, was Herr Dr. Naas gesagt hat. Offenkundiges Ziel des Gesetzentwurfs ist es, das Volksbegehren Verkehrswende endgültig abzumoderieren, pünktlich zum Wahlkampf.

(Beifall Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Über 70.000 Hessinnen und Hessen haben unterschrieben. Damit wurde das Quorum erreicht. Aber der Landesregierung fiel kurz nach der Einreichung auf, dass das Volksbegehren leider aus formalen Gründen verfassungswidrig ist.

CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN feierten bei der Vorstellung dieses Entwurfs vor der Presse diesen als einen gemeinsamen Erfolg der Zivilgesellschaft und der Politik. Das haben wir heute auch noch einmal hören müssen. Damit wollen Sie sich das Label des Volksbegehrens anheften und suggerieren, dass es damit doch ein gutes Ende gefunden habe.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Peinlich gescheitert!)

Das Verkehrswendebündnis hat dieser Darstellung widersprochen. Herr Dr. Naas hat mir leider schon alle schönen Zitate vorweggenommen.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Ich hätte noch mehr gehabt!)

Eines habe ich hier noch. Eine Presseerklärung von PRO BAHN wurde nicht vorgelesen. Da heißt es:

Somit muss der Pressemitteilung der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom

10.02.2023 widersprochen werden, es hätte „einen konstruktiven Austausch mit den Vertrauensleuten des Volksbegehrens“ gegeben. Auch die hier genannten „sehr wertvolle(n) Impulse der Initiative“ finden sich im Gesetzentwurf nicht wieder.

(Beifall DIE LINKE)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, eine Reform des Mobilitätsgesetzes in Land und Bund wäre fällig, ausgehend von einer verkehrsübergreifenden Betrachtung mit klaren Kriterien, Regulierungen und messbaren Zielen etwa für ein Mindestangebot an Mobilität und für die Qualität der Infrastruktur. Einhergehen müsste das mit einem echten Landesklimaschutzgesetz, das einen klaren CO2-Abbaupfad auch für den Verkehrssektor festschreibt. Noch viel wichtiger als Gesetzestexte wäre allerdings der politische Wille zu wirklicher Veränderung, also der grundsätzliche Wille, zu schauen, wie etwas geht, aber nicht, warum es nicht geht.

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Herr Gerntke, kommen Sie bitte zum Schluss.

Axel Gerntke (DIE LINKE):

Aber solange in Hessen manche Buslinie selbst mitten im Ballungsraum nur im Stundentakt fährt, solange in Hessen Radrouten über Feldwege und Buckelpisten ohne Winterdienst führen, solange gleichzeitig Wälder für neue Autobahnen abgeholzt werden, so lange ist von einem solchen politischen Willen zur Veränderung leider nichts zu spüren. (Beifall DIE LINKE)

Wie Jutta Rippegather es am Samstag im „FR“-Kommentar freundlich formulierte: „Es schadet nicht, hilft aber auch nicht viel.“ Ein für diese Koalition typischer Kompromiss. – Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE)