Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Axel Gerntke – Viele sagen, der Markt regelt es und wir sagen, der Markt regelt es nicht

Axel GerntkeWirtschaft und Arbeit

In seiner 140. Plenarsitzung am 19. Juli 2023 diskutierte der Hessische Landtag über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD in Zweiter Lesung zur gemeinsamen Bewältigung der Herausforderungen der Veränderungen für Wirtschaft und Arbeit in Hessen (Transformationsfondsgesetz). Dazu die Rede unseres Parlamentarischen Geschäftsführers und wirtschaftspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!

In der Tat stehen wir vor immensen Herausforderungen. Die Umstellung der Wirtschaft auf eine soziale und ökologisch nachhaltige Wirtschaft drängt. Ein umfassender Umbau ist notwendig. Wichtig ist: Dabei dürfen die Beschäftigten nicht auf der Strecke bleiben. Viele Arbeitsplätze müssen erhalten bleiben. Aber es werden auch Arbeitsplätze wegfallen, und es müssen daher auch neue geschaffen werden,

(Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten)) und zwar welche mit guten Arbeitsbedingungen, und so schnell, dass der Klimawandel noch gebremst werden kann. Das ist eine Herkulesaufgabe.

Seit Jahrzehnten müssen wir uns anhören: Das regelt der Markt. – Nur sehen wir: Der Markt hat es nicht geregelt. Die soziale Spaltung nimmt zu. Armut ist ein wachsendes Problem. Selbst Durchschnittsverdienende ächzen unter der Preisexplosion,

(Andreas Lichert (AfD): Sie ächzen vor allem unter der Steuer- und Abgabenlast!)

und der Klimawandel beschleunigt sich – alles unter den Bedingungen des Marktes. Gleichzeitig verlassen sich immer noch einige darauf, dass Wachstum und Profitstreben irgendwie automatisch zu einer besseren Welt führen werden, nach dem Motto: Der Markt regelt es. – Wir sagen: Der Markt regelt es nicht. So wird das nichts.

Meine Damen und Herren, die Praxis zeigt doch, dass sich die Unternehmen eben nicht von alleine umbauen. Solange ihre bisherige Produktionsweise profitabel ist, so lange machen sie weiter wie bisher.

Wenn es irgendwann nicht mehr geht, das sehen wir ja auch, dann machen Unternehmen dicht. Das erleben wir; und die Konsequenz ist Erwerbslosigkeit. Jetzt muss wieder der Zwischenruf von Herrn Dr Naas kommen: Wir haben doch Fachkräftemangel. – 178.620 registrierte Erwerbslose allein in Hessen sprechen aber eine andere Sprache.

(Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten): Also kein Fachkräftemangel?)

– Wir haben über 150.000 Erwerbslose registriert; und da sind noch nicht einmal diejenigen dabei, die sozusagen in den Blindzahlen drin sind. Und da sagen Sie: Ja, wir haben Fachkräftemangel. – Vielleicht sollte man sich darum einmal kümmern.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Das scheint nicht zu passen! – Anhaltende Zurufe Freie Demokraten)

Offensichtlich fehlen die richtigen politischen Vorgaben. Der Staat muss den Umbau in der Tat lenken. Darum hat DIE LINKE gemeinsam mit den Gewerkschaften schon seit Längerem einen hessischen Transformationsfonds gefordert. Selbst im grünen Wahlprogramm findet sich jetzt ein solcher. Nun hat die SPD, um noch einmal die Chronologie darzulegen, einen Gesetzentwurf vorgelegt und damit – das begrüßen wir außerordentlich – die Diskussion befördert.

(Tobias Eckert (SPD): Weit zuvor!)

Wir benötigen konkrete politische Ziele und Zwischenziele, z. B. hinsichtlich der Frage: Wie sollen sich CO2-Emissionen entwickeln? Davon abgeleitet, geht es dann z. B. um Vorstellungen, wie sich die Gesellschaft in den nächsten Jahren entwickeln soll. Das muss dann auf einzelne Sektoren heruntergebrochen werden. Wir brauchen gleichzeitig Ziele im Hinblick darauf, wie sich die Arbeit und die Arbeitsbedingungen entwickeln sollen; denn nur mit Zielen lassen sich auch Fortschritte messen.

Das will ich jetzt nur an einem Beispiel festmachen, an dem Gebäudesektor. Ich glaube schon, dass wir eine Vorstellung davon haben müssen, wie viele Gebäude im Jahr 2030 oder 2040 energetisch saniert sein müssen, welcher Energieverbrauch in der Produktion erforderlich ist, welche Energieeinsparung in der Konsumtion damit verbunden sein kann und wie wir es hinbekommen können, dass die CO2-Emissionen unterm Strich drastisch verringert werden und zugleich Wohnraum wieder bezahlbarer wird. Das wird dazu führen, dass die Unternehmen der Bauwirtschaft anders produzieren, als dies bisher der Fall ist. Das muss mit Unternehmen und Beschäftigten gemeinsam diskutiert und entwickelt werden. Dazu braucht es einen Bewusstseinswandel, sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Beschäftigten. Das wird nur funktionieren, wenn die Beschäftigten in diesen Transformationsprozess entsprechend einbezogen werden; sonst wird er scheitern.

Insoweit begrüßen wir auch den in § 4 des Gesetzentwurfs der SPD enthaltenen Vorschlag zur Regionalität und zu den Beteiligungsstrukturen. Aber ich sage gleichzeitig: Wir brauchen mehr. Wir brauchen den Ausbau der Mitbestimmung auf allen Ebenen, auf der betrieblichen Ebene, der Unternehmensebene, bei den Konzernen; aber auch in den jeweiligen Branchen brauchen wir Wirtschafts- und Sozialräte mit wirklichen Mitbestimmungsmöglichkeiten.

(Beifall DIE LINKE)

Entscheidend ist letztlich, welche Aufgaben ein Transformationsfonds wahrnehmen soll.

(Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Schaut man sich hierzu den Entwurf der SPD an, dann geht es um Beteiligungs- und Beratungsprozesse, um Unterstützung, Moderation sowie gegebenenfalls um Förderung unter bestimmten ökologischen und sozialen Bedingungen, wie z. B. Tarifbindungen.

(Anhaltende Zurufe Freie Demokraten)

  • Meine lieben Freunde von der FDP, wenn Sie denn Zwischenrufe machen, dann machen Sie es doch so laut, dass man darauf wenigstens reagieren kann. Dieses Gemurmel ist doch nichts. Damit kommen Sie doch nicht über die Rampe.

(Beifall DIE LINKE – Stephan Grüger (SPD): Das war etwas mit Sozialismus!)

  • Ich ahnte schon, dass es irgendetwas mit Sozialismus ist; denn es ist immer so: Wenn man einen schlauen Gedanken äußert, dann kommt ja immer: „Sozialismus“.

(Zurufe Freie Demokraten)

Ich höre des Öfteren: Wir sind ja für die Tarifbindung, aber wir können doch nicht die armen Unternehmen, die keine Tarife haben, einfach von so einer Förderung ausschließen. – Ich habe in diesem Haus aber noch keine Antwort darauf gehört, wie denn, bitte, zu mehr Tarifbindung gekommen werden soll. Wenn das nicht nur ein allgemeiner Appell oder ein Bekenntnis sein soll, sondern wenn die Geschichte mit der Tarifbindung wirklich ernst gemeint ist, dann würde ich vorschlagen, dass dazu auch einmal aus den Reihen der Regierung oder der Opposition, hier rechts in diesem Hause, ein ganz konkreter Vorschlag kommt.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Das haben wir doch gerade!)

Aber, Spoiler, darüber können wir morgen noch sprechen.

(Beifall DIE LINKE – Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Was bietet ihr? – Christiane Böhm (DIE LINKE): Bürokratieabbau!)

Von den Funktionen des Transformationsfonds, die ich eben genannt habe, halten wir einige für richtig und notwendig. Wir sind allerdings der Auffassung, dass 200 Millionen € doch eine relativ niedliche Summe sind. Gemessen an den Anforderungen und davon ausgehend, dass Hessen ein Bruttoinlandsprodukt von 320 Milliarden € im Jahr hat, sind 200 Millionen € doch eher Portokasse, würde ich einmal sagen.

(Stephan Grüger (SPD): Man muss es halt irgendwie aus dem Haushalt zusammenkratzen!)

Der DGB hat in seiner Erklärung vorgerechnet, dass man, wenn man das mit den Transformationsfonds vergleichen würde, die man im Saarland oder in Bremen hat, rund 20 bis 40 Milliarden € bräuchte. Wenn ich die 3 Milliarden € in Bremen bis zum Jahr 2027 hochrechne, dann käme ich sogar auf rund 70 bis 80 Milliarden €. Die 200 Millionen € pro Jahr, die im heutigen SPD-Entwurf enthalten sind, kommen zustande, zum einen weil sich die SPD mit ihrer eigenen Schuldenbremse ausgebremst hat, zum anderen weil sie die Aufgaben eines solchen Fonds unterdimensioniert.

Die Funktionen, die in dem Gesetzentwurf dem Fonds beigemessen werden, reichen aus unserer Sicht nicht aus. Es muss nicht nur darum gehen, Unternehmen unter bestimmten Bedingungen zu fördern. Ich denke, man muss auch dem Missverständnis entgegentreten, der Fonds sei in erster Linie dafür da, um der VhU einen Gefallen zu tun,

(Stephan Grüger (SPD): Was? Hört, hört!)

sondern es muss darum gehen, sich an Unternehmen zu beteiligen, zeitweise oder auch längerfristig, und zwar nicht nur, wenn sie kurz vor der Pleite stehen, wie bei der Lufthansa. Das Wichtigste dabei ist: Wir wollen staatliche Beteiligung einbringen, um mitzureden und mitzugestalten. Die Rechte des Staats als Anteilseigner müssen genutzt werden, statt sich als stiller Teilhaber die Hände in Unschuld zu waschen. So könnten Umbrüche gelenkt und gesellschaftlich sowie ökologisch sinnvoll ausgestaltet werden, statt sie dem Zufall und kurzfristigen Profitprinzipien zu überlassen.

Da wir gefragt wurden, warum wir denn kein Änderungsgesetz einbringen würden: Es wäre kein Problem, zu sagen: „Wir streichen § 121 HGO“. Es wäre kein Problem, den Satz reinzuschreiben, der Staat könne sich an Unternehmen beteiligen; und es wäre auch kein Problem, die Summe von 200 Millionen € durch 4 Milliarden € zu ersetzen. Das können wir in zehn Minuten vorlegen. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist leider der, dass der Gesetzentwurf der SPD hier abgelehnt werden wird und dass unsere Änderungsvorschläge, würden wir sie denn schriftlich einreichen, auch abgelehnt werden würden. Wenn es hier politisch tatsächlich einmal den Willen geben sollte, entsprechende Veränderungen zu machen, dann sind wir gern bereit, auch diese schwierige Arbeit, die gerade eingefordert wurde, zu leisten.

(Tobias Eckert (SPD): Wir machen sie trotzdem!)

Klar ist für den Umbau der Wirtschaft eine Menge Geld notwendig, aber

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Jetzt kommt es!)

im Land ist auch eine Menge Geld vorhanden. Das können wir nicht aus dem laufenden Haushalt bestreiten. Das ist völlig klar. Das heißt, das Aussetzen der Schuldenbremse wäre eine Lösung. Dazu bedürfte es im Moment noch nicht einmal der Verfassungsänderung; denn die drohende Klimakatastrophe ist eindeutig eine Notsituation im Sinne von Art. 141 HV. Es geht um Jahrhundertaufgaben. Die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft darf nicht zulasten der Menschen mit niedrigem und durchschnittlichem Einkommen gehen. Gleichzeitig muss man natürlich fragen, wer das am Ende bezahlt. Die Schließung von ContinentalStandorten wird mit dem Strukturwandel begründet. Die Beschäftigten verlieren ihre Existenzgrundlage, und die Aktionäre freuen sich über eine Dividende. In so einer Situation brauchen wir einen handlungsfähigen Staat nötiger denn je.

(Beifall DIE LINKE)

Aber, wie gesagt – –

Vizepräsident Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn:

Sie schauen bitte auf die Uhrzeit, Herr Kollege?

(Axel Gerntke (DIE LINKE): Wie meinen?)

– Sie schauen bitte auf die Uhrzeit.

Axel Gerntke (DIE LINKE):

Ja.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Es ist 17:36 Uhr.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE und SPD)

Vizepräsident Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn:

Herr Kollege, solche Diskussionen mag das Präsidium überhaupt nicht; und es wird alles auf Ihre Redezeit angerechnet, die schon 25 Sekunden überzogen ist.

Axel Gerntke (DIE LINKE):

Dann wünsche ich dem Auditorium alles Gute. Wir werden uns enthalten, da wir einem Placebo nicht zustimmen können; aber wir sehen den guten Willen durchaus. Insoweit werden wir, wenn es dann ernst wird, ein gutes Gesetz vorlegen.

(Beifall DIE LINKE)