Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Axel Gerntke zur Fusionsforschung

Axel GerntkeWissenschaft

In seiner 129. Plenarsitzung am 16. Februar 2023 diskutierte der Hessische Landtag zur Förderung der Fusionsforschung in Hessen. Dazu die Rede unseres wirtschaftspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Immer, wenn auf dem Raumschiff Enterprise die Situation so richtig verfahren war und die Katastrophe nahezu unausweichlich, kam irgendwo Scotty um die Ecke, mit der technischen Lösung aus dem Reich der Fantasie.

(Zuruf)

„Wir müssen nur die Antriebsmatrix neu kalibrieren, ich adaptiere den Schaftbolzen, geben Sie mir zwei Stunden, Captain“, zack, Universum gerettet, Folge zu Ende.

(Zuruf)

Als Deus ex Machina bei antiken Theaterautoren eine beliebte Auflösung für völlig verfahrene Dramen, ist es ebenso beliebt bei der FDP angesichts des menschengemachten Klimawandels und angesichts der damit einhergehenden gesellschaftlichen Mega-Herausforderung für die Energiewende. Das zentralisierte fossil-atomare Stromsystem muss ersetzt werden. Lösung: Kernfusion, ansonsten können wir weitermachen wie bisher. Die FDP verweist gerne auf technologische Lösungen in der Zukunft, um notwendige Veränderungen in der Gegenwart zu vermeiden. Sie nennt das dann Technologieoffenheit. Heute also die Kernfusion.

Das fügt sich in eine lange, althergebrachte Erzählung der Atomkraftlobby der letzten Jahrzehnte ein, wir müssten nur noch ein paar Jahrzehnte mit fossilen Brennstoffen und AKWs überbrücken, und irgendwann in ein paar Jahrzehnten komme endlich die Lösung aller Probleme, die Kernfusion. – Aber spätestens nach Fukushima und angesichts des Klimawandels ist diese Erzählung endgültig hinfällig. Damit sollte vielleicht auch das Fernziel Kernfusion neu auf den Prüfstand gestellt werden.

Natürlich erscheint es oberflächlich erst einmal als erstrebenswerte Vision. Könnten wir die Prozesse der Sonne auf der Erde kontrolliert nachempfinden, könnten wir fast unendlich Energie gewinnen, und das wäre das Ende aller Energieprobleme. Aber die Wahrheit ist eben komplizierter: Millionen Grad heißes Plasma wird in einem Magnetfeld gehalten, um Deuterium und Tritium zu Helium zu verschmelzen. Deuterium ist nicht radioaktiv und kommt in nahezu unbegrenzter Menge in den Ozeanen vor, aber Tritium ist radioaktiv und kommt praktisch nicht natürlich vor und müsste erst einmal in Kernreaktoren erbrütet werden.

Seit Jahrzehnten wird daran geforscht, und allein in den internationalen Forschungsreaktor ITER flossen schon 30 Milliarden € Steuermittel. Nach Jahrzehnten der Forschung wurde 1991 erstmals Energie aus Kernfusion gewonnen, allerdings nur ein Bruchteil der dabei eingesetzten Energie. Dann wurde 2021 vermeldet, dass erstmals fast so viel Energie aus der Kernfusion gewonnen wurde, wie in sie hineingesteckt wurde, und ein Jahr später gab es eben erstmals das hier zitierte winzige Plus.

Es ist fast etwas vergleichbar mit der hessischen Wohnungsbaupolitik. Wir reden also über eine halb tote Schnecke.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)

Auch das ist schon zu Recht von Frau Kinkel ausgeführt worden: Dieses winzige Plus ist ein rein rechnerisches Plus. Wenn man nämlich die real aufgewandte Energie zusammenzählt, dann ist es eben noch kein Plus. Es ist vielleicht der praktische Nachweis, dass es irgendwann einmal möglich ist, das auch anders hinzubekommen – mehr aber auch nicht.

Von der Lösung der Energieprobleme sind wir damit jedenfalls sehr weit entfernt. Ob die Stromgewinnung durch Kernfusion jemals praxisreif wird, ist unklar. Und ob das dann noch in diesem Jahrhundert geschieht, ist eher fraglich.

Ich will gern einmal zwei Wissenschaftsjournalisten aus der „Zeit“ zitieren, die süffisant feststellten:

In den 1960er-Jahren wurde sie zum Ende des 20. Jahrhunderts in Aussicht gestellt, in den 1980ern für etwa 2020, und heute gilt das Jahrzehnt nach 2050 als frühestmöglicher Zeitpunkt. Der Traum von der unerschöpflichen Energie: immer eine Generation entfernt.

Hinzu kommt – auch das ist schon gesagt worden –: Die Kernfusion ist auch nicht risikofrei. Es entsteht natürlich weiterhin radioaktiv belastetes Material, wenn auch nur in geringerem Umfang und mit geringeren Halbwertszeiten, gleichwohl Material, das über mehrere Jahrzehnte, vielleicht auch Jahrhundert eingelagert werden muss.

Aber die größte Gefahr der Kernfusion ist – das ist auch schon gesagt worden –, dass die Kernfusion als Ablenkungsdebatte, als Feigenblatt dient. Wenn man sagt „oberste Priorität“, dann haben Sie den weißen Schimmel noch einmal weiß angemalt. Also, wenn das Priorität hat, dann ist das vorrangig. Das heißt, dass etwas anderes nachrangig sein muss. Wenn wir uns hier über die Frage unterhalten: „In welchem Verhältnis steht das denn zu den jetzt schon vorhandenen Erkenntnissen?“, dann kann es hier eben keine oberste Priorität geben.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Debatte führt dazu, dass wir am Modell zentraler Großkraftwerke festhalten, weil ja irgendwann die Kernfusion kommt. Das bremst dann bei uns aber das, was heute wichtig ist und was mit heutigen Mitteln schon erzeugt werden könnte, nämlich das Stromnetz zu dezentralisieren und die echten erneuerbaren Energien auszubauen.

(Andreas Lichert (AfD): Ja, das ist „der große Sprung nach vorn“! Das ist doch das, was Sie wollen! – Heiterkeit AfD)

Aber zur Beruhigung der FDP: Die Fotovoltaik ist bisher die einzige praxisreife Nutzung der Fusionsenergie. Der Reaktor befindet sich allerdings innerhalb der Sonne.

Angesichts der Klimakatastrophe drängt die Zeit. Wir sollten jetzt die Bemühungen bündeln und uns auf das konzentrieren, was machbar ist,

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind auf der Zielgeraden!) aber nicht gemacht wurde. Das heißt zumindest für hier und für heute: nicht ablenken lassen von der Fusionsforschung, sondern volle Kraft auf die Energiewende, volle Konzentration auf die regenerativen Energien. – Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE)