Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Axel Gerntke zur Gründung einer Gesellschaft für Schieneninfrastruktur

Axel GerntkeVerkehr

In seiner 100. Plenarsitzung am 30. März 2022 diskutierte der Hessische Landtag über die Gründung einer Gesellschaft für Schieneninfrastruktur. Dazu die Rede unseres verkehrspolitischen Sprechers Axel Gerntke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die FDP schlägt vor, eine Landesgesellschaft zu gründen, die sich um Planung, Bau und Betrieb von Eisenbahnstrecken in Hessen kümmert.

Eisenbahn ist eigentlich per Grundgesetz Bundesaufgabe, während sich die Kommunen etwa um Straßenbahnen zu kümmern haben. Aber es ist ja so, dass die Grenzen jetzt teilweise verschwimmen, etwa bei der Regiotram Kassel oder der Regionaltangente West um Frankfurt, wo teils Eisenbahn- und teils Stadtbahnstrecken genutzt werden. Zum anderen haben der Bund und die Deutsche Bahn mit dem Verkehrswegeplan natürlich einen Fokus auf den Fernverkehr und wenig Interesse etwa an der Reaktivierung von Strecken für den hessischen Regionalverkehr.

Also – an der Stelle muss ich die FDP vielleicht ein wenig enttäuschen –, die Gründung einer Stelle in Hessen, die die Kompetenzen für Planung, Bau und Betrieb von Bahnstrecken bündelt, finde ich grundsätzlich gar keine schlechte Idee.

(Beifall DIE LINKE und Freie Demokraten)

Solche Gesellschaften gibt es auch anderswo, etwa in Niedersachsen. Hier in Hessen gibt es die RTW-Planungsgesellschaft, aber natürlich auch den kommunalen Verkehrsverband Hochtaunus, der seit 30 Jahren erfolgreich die Infrastruktur der Taunusbahn betreibt.

Um die FDP etwas zu beruhigen: Natürlich haben wir an dem Gesetzentwurf auch etwas auszusetzen. Aus den Zeilen gerade des Vorblattes trieft natürlich die FDP-typische „Privat vor Staat“-Logik. Warum eine solche Landesgesellschaft zwingend privatrechtlich organisiert sein soll, erschließt sich uns nicht. Im Gegenteil: Die Erfahrung mit GmbHs, etwa dem RMV, zeigen doch, dass es sich um eine demokratiefeindliche Blackbox handelt.

Wir hatten gerade versucht, diese Box etwas auszuleuchten, indem wir mit einer Kleinen Anfrage in Erfahrung bringen wollten, wie es zu der Entscheidung hinsichtlich der Preiserhöhungen im RMV gekommen ist. Ich zitiere einmal aus der Antwort auf unsere Anfrage:

Die Veröffentlichung des Abstimmungsverhaltens im Aufsichtsrat der Verkehrsverbünde würde einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht des § 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 116 Abs. 2 AktG begründen. Eine Beantwortung der Fragen ist daher aus Rechtsgründen ausgeschlossen.

Das mag so sein, spricht aber eben dafür, dass man es so organisieren muss, dass solche Entscheidungen transparent für die Bevölkerung sein müssen.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist bei solchen Konstruktionen offensichtlich nicht der

Fall. Das ist demokratiefeindlich, und jeder versteckt sich hinter dem anderen, wenn dann solche Entscheidungen gefällt werden. Das erschwert die politische Debatte.

Kompetenz beim Land schaffen: ja. Zuständigkeiten bündeln und Kommunen entlasten: ja. Aber es ist für uns fraglich, ob das als GmbH geschehen muss oder nicht besser im Rahmen einer öffentlichen Struktur geschehen sollte.

Meine Damen und Herren, Reaktivierung und Neubau von Bahnstrecken sind nötig. Es ist selbstverständlich, dass das Land große Kapazitäten für den Straßenbau bereithält. Warum also nicht auch für die Schiene? Das ist sehr sinnvoll, damit wir beim Ausbau der Schiene Dampf machen können; denn eines ist für uns unstrittig: Klima- und Verkehrswende erfordern attraktive Alternativen zum eigenen Auto – und das nicht irgendwann, sondern schnell.

Wenn wir die Verkehrswende wollen, brauchen wir die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken, und wir brauchen auch Neubauten, etwa beim Ring um Frankfurt, für den die RTW hoffentlich den Anfang macht.

(Beifall DIE LINKE)

Die Schiene muss das Rückgrat der Verkehrswende sein; denn sie ist viel leistungsstärker als Busse und auch beliebter. Wo immer eine Buslinie auf eine Schienenverbindung umgestellt wird, steigen die Fahrgastzahlen. Wer neu an einen Ort zieht und ein attraktives Bahnangebot für seine Alltagswege vorfindet, wird im Optimalfall gar nicht erst seine Mobilitätsgewohnheiten am Auto ausrichten.

(Zuruf)

  • Deswegen wollen wir es ja ändern. Ich plädiere für denAusbau. – Die Kapazitäten im Ballungsraum und auf den Pendlerstrecken müssen erhöht werden.

(Zuruf)

  • Lassen Sie doch die Vorurteile. Sonst liegen wir jaauch nicht richtig, also bitte. – Auf dem Land muss ein modernes ÖPNV-Angebot aufgebaut werden, das diesen Namen auch verdient. Das heißt, es muss mehr sein als ein Notangebot für Schülerinnen und Schüler wie auch für Seniorinnen und Senioren.

(Beifall DIE LINKE)

Potenzial gibt es genug: In Hessen wurden seit 1960  170 Eisenbahnstrecken stillgelegt. Nicht alle sind reaktivierbar. Manche wurden bebaut, andere führten weit an den Dörfern vorbei. Aber viele wären es eben doch, und notwendig ist eine Wende zur Flächenbahn. Niemand sollte so weit vom nächsten Bahnhof entfernt sein, sondern man muss die Bahnhöfe leicht erreichen können. Das dient unter anderem auch der Anbindung des Fernverkehrs. Was nutzen uns Schnellzüge zwischen den Metropolen, wenn die Zeit auf dem letzten Kilometer wieder verloren geht, weil die Anschlüsse im Nahverkehr so schlecht sind?

Ein visionäres Projekt wäre etwa die Regiotram Mittelhessen: die Idee einer Reaktivierung der stillgelegten Bahnstrecken der Region, und das im Zusammenspiel mit dem Neu- bzw. Wiederaufbau von Straßenbahnen in Gießen, Wetzlar und Marburg. Natürlich gäbe es auch im konventionellen Eisenbahnbetrieb mit relativ wenig Aufwand viel zu schaffen: Der Anschluss der Gersprenztalbahn nach Groß-Bieberau am Rand des Odenwaldes oder die Ohmtalbahn böten sich hier geradezu an.

(Beifall DIE LINKE)

Die Aartalbahn nach Bad Schwalbach und die Kanonenbahn nach Homberg (Efze) würden die beiden letzten Kreisstädte ohne Schienenanschluss anbinden. Es gibt viele Menschen in Hessen, die sich hier ehrenamtlich mit guten Ideen und Taten engagieren. Teilweise haben sich ganze Vereine für ihre Bahnstrecke gegründet, wie bei der Lumdatalbahn. Das zeigt, dass Bahnstrecken auch Herzenssache sind – oder, wie die FDP sagen würde, ein Image- und Standortfaktor für einen Ort.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Das Rad ist groß und kann nicht alleine von den Landkreisen als Aufgabenträgern gedreht werden. Hier muss das Land unterstützen und, wo gewünscht, auch die Federführung übernehmen. An Zuständigkeiten sollte das beim richtigen Willen nicht scheitern.

Wir wollen Hessen, wir wollen Deutschland zum Bahnland machen. Wir wollen Kurzstrecken- und Inlandsflüge durch attraktive Alternativen überflüssig und unrentabel machen.

Wir wollen aber auch den Menschen in der Fläche des Landes eine attraktive Alternative zum Auto anbieten. Wir wollen das nicht nur angesichts der ökologischen und sozialen Herausforderungen, sondern wir müssen es.

Zusammengefasst gilt daher: Ich habe schon Schlimmeres von der FDP gesehen als diesen Gesetzentwurf. Die Bündelung von Kompetenzen für Landes- und Schieneninfrastruktur erscheint sinnvoll. Ob das wirklich eine GmbH sein muss oder nicht, ob es auch bei Hessen Mobil angesiedelt oder anders öffentlich aufgestellt werden könnte, darüber würden wir uns gerne in der Anhörung unterhalten.

Auch hier noch einmal für unsere Freundinnen und Freunde von der FDP – selbst wenn es denn keine GmbH wird und doch öffentlich ist –: Auch im Kapitalismus gibt es öffentliche Unternehmungen, das ist machbar. Das ist noch kein Kommunismus, dazwischen gibt es noch Grauwerte. – Herzlichen Dank.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)