Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Beamtenbesoldung: "Was wir bei der Anhörung erleben konnten, sprengt alles Dagewesene"

Hermann Schaus

Zur zweiten Lesung des Entwurfs für ein Gesetz zur Erhöhung der Beamtenbesoldung um 1% und zum Änderungsantrag der LINKEN (4,4%)

Zur zweiten Lesung des Gesetzes zur Erhöhung der Beamtenbesoldung um 1% und zum Änderungsantrag der LINKEN (4,4%):

 

Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Am 30. Juni hatten wir im Innenausschuss eine umfangreiche Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Koalition und zu unserem Änderungsantrag. Meine Damen und Herren, in den letzten acht Jahren habe ich schon einige Anhörungen zu Gesetzentwürfen erlebt, bei denen die Landesregierung und die jeweiligen Koalitionsfraktionen schlecht weggekommen sind. Was wir aber bei dieser Anhörung erleben konnten, das sprengt alles Dagewesene.

Vorweg eine eindeutige Zahl: 39 von 40 schriftlichen Stellungnahmen haben sich gegen die Koalitionsvorlage mit der 1-%-Erhöhung ausgesprochen. Bisher habe ich es nicht erlebt, dass Sachverständige, Juristen, Verwaltungsrichter, Vertreter der Polizei, der Gerichte, des Justizvollzugs, Professoren von Hochschulen sowie alle Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften und Berufsverbände, die Hauptpersonalräte und sogar die Vertreter der Städte und Landkreise einen Gesetzentwurf so niederschmetternd zerrissen haben.

Mehr als die Hälfte der Sachverständigen hat sich explizit für den Änderungsantrag der LINKEN, für eine 4,4-%-Erhöhung, ausgesprochen.

(Beifall bei der LINKEN)

Viele Weitere haben gesagt, unsere Änderung gehe in die richtige Richtung. Meine Damen und Herren von der Koalition, darüber sollten Sie in der Tat einmal nachdenken.

CDU und GRÜNE unterschätzen nämlich offenbar noch immer, was sie bei den Beamtinnen und Beamten derzeit anrichten. Die Wut und Verbitterung ist nämlich weiterhin riesengroß. Die Beamten gehen Ihnen in Hessen von der Fahne – das ist die Realität. Meine Damen und Herren von der CDU und den GRÜNEN, ich weiß, Sie wollen mir nicht glauben, oder Sie wollen es sich selbst nicht eingestehen, aber dieses Gesetz ist der Demoti-Wahnsinn.

Deshalb lasse ich einfach einige zu Wort kommen, die in der mündlichen Anhörung gesprochen haben, die vielen Sachverständigen, Personalräte, Gewerkschaften, Wissenschaftler und auch die Vertreter der Städte und Landkreise – diejenigen also, die Ihnen "einseitige Zersetzung des Dienstverhältnisses" vorwerfen, die Ihnen "Dreistigkeit" vorwerfen und das Gesetz als "Affront" und "Besoldungsdiktat" verstehen, die Ihnen sagten, die Dienstfähigkeit sei nicht mehr gewährleistet, weil das Personal verstärkt in andere Bundesländer abwandert. All jene Abgeordneten, die in dieser eindrucksvollen Anhörung nicht dabei waren, sollten nun besonders gut zuhören.

Ich zitiere die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Hessen, Frau Kailing. Sie sagte: Hessen ist das einzige Bundesland, das die Tarifergebnisse der Jahre 2015 und 2016 nicht übertragen hat, und Hessen ist auch das einzige Bundesland, das auch heute noch eine 42-Stunden-Woche hat. ... Die Beamtinnen und Beamten sind nicht für den Landeshaushalt verantwortlich, und die Beamtinnen und Beamten sind auch nicht für das Missmanagement ... verantwortlich.

Meine Damen und Herren, recht hat sie.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes Hessen, Herr Schmitt, sagte: Da ist es eben nach wie vor die Wirkung eines Gesamtpakets, das Sie da in der Landesregierung und in den Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geschnürt haben. ... Sie beschneiden die Beihilfe, verpassten uns im vergangenen Jahr eine Nullrunde, verpassen uns jetzt eine Minusrunde, selbst wenn man eine geringe durchschnittliche Inflationsrate zugrunde legt.

(Holger Bellino (CDU): 1%!)

Meine Damen und Herren, ich finde, er hat recht.

Der Vorsitzende der GdP Hessen, Herr Grün, wies auf einen aktuellen Vergleich der Besoldung in den Bundesländern hin. – Herr Bauer, hören Sie zu. Zitat: Im Vergleich liegt Hessen – wie Sie richtig festgestellt haben – auf dem vorletzten Platz, knapp hinter Berlin.

(Alexander Bauer (CDU): Auf Stundenbasis!)

Recht hat er. Herr Bauer, daran gibt es auch nichts schönzureden, wirklich nicht.

Der Landesvorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Herr Volz, verwies auf die Stimmung in Ämtern und Dienststellen. Zitat: Diese Stimmung ist auf dem Nullpunkt, aufgrund dieser Vorhaben, für 2015 0% und für das Jahr 2016 1%. ... Das Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen in den Ämtern und Dienststellen ist massiv beschädigt.

Recht hat er.

Der Vorsitzende des Hessischen Philologenverbandes, Herr Hartmann, sagte: Nach unserer Auffassung stellt der Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ... einen weiteren Affront gegen die hessischen Beamtinnen und Beamten dar. ... Der Hessische Philologenverband tritt dafür ein, das Besoldungsdiktat umgehend zu beenden.

Recht hat auch er, meine Damen und Herren.

Herr Zeichner vom Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium erklärte: Die Absicht der Koalition, die Haushaltskonsolidierung zur Erfüllung der "Schuldenbremse" ausschließlich zulasten der Beamtinnen und Beamten durchzuführen und die Beamtenbesoldung dauerhaft von der allgemeinen Tarifentwicklung abzukoppeln, stößt bei uns auf unseren heftigen Protest.

Ich finde, er hat recht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Vorsitzende des Hauptpersonalrats der Polizei, Herr Mohrherr, forderte: ... die Übernahme des Tarifergebnisses von 4,4%; auch die Nullrunde des letzten Jahres muss ausgeglichen werden; die Wiedereinführung der Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage sowie die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche. Er sagte außerdem: Vor dem Hintergrund der immer komplexer werdenden gefahrengeneigten polizeilichen Tätigkeiten ... verstehen wir es nicht mehr, warum das Dienst- und Treueverhältnis hier einseitig zersetzt wird.

Ich betone: "zersetzt wird". – Recht hat er, der Vorsitzende des Personalrats aller Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, auf die Sie von der Koalition sich stets so sehr berufen.

Nun könnten Sie sagen: Logisch, dass diese Leute so reden; das sind ja die Interessenvertreter der Beschäftigten. – In der Tat, das sind sie. Im Gegensatz zur Landesregierung und zu den Fraktionen der CDU und der GRÜNEN achten die Vertreterinnen und Vertreter in der Tat auf die Interessen der Beamtinnen und Beamten in Hessen.

Besonders nachdenklich sollten Sie aber die Stellungnahmen der Kommunalen Spitzenverbände machen; denn von denen werden ja auch Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von der CDU und den GRÜNEN vertreten. Die Kommunalen Spitzenverbände warnen nämlich ebenfalls davor, dass der öffentliche Dienst seine Qualität, wenn nicht sogar seine Handlungsfähigkeit verlieren könnte. So sagte Herr Ruder für den Landkreistag: Wir haben aus unseren Landkreisen, insbesondere aus denen, in denen bzw. in deren Nähe Bundesbehörden ihren Sitz haben oder die an andere Bundesländer mit einer lukrativeren Beamtenbesoldung angrenzen, mitgeteilt bekommen, dass dort eine deutliche Tendenz der Abwanderung kommunaler Beamtinnen und Beamter in jene Behörden und Körperschaften festgestellt worden ist.

Recht hat er.

Frau Dr. Baum erklärte für den Städtetag: Auch wir für die hessischen Städte erachten eine Besoldungs- und Versorgungsanpassung in Höhe von 1% als zu niedrig. ... Viele wandern ab in andere
Bundesländer, zu Bundesbehörden. Unsere Kommunen verlieren damit qualifiziertes Personal.

Da müssten Sie, finde ich, doch einmal ernsthaft nachdenken, wenn Ihnen die Städte und Landkreise so etwas zurückmelden, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen.

Noch krasser formulierte es Herr Brumm, Personalratsvorsitzender der Feuerwehr in Frankfurt: Im Jahre 2015 haben wir 26 [von 48] Kolleginnen und Kollegen an andere Feuerwehren im gesamten Bundesgebiet verloren. Es fehlt uns also mehr als ein Lehrgang. Ein Ausbildungsgang pro Kollegin und Kollege kostet die Frankfurter Feuerwehr rund 180.000 €.

Sein Vorgesetzter, Feuerwehrchef Prof. Ries, wurde noch präziser – ich zitiere –: Ich mache mir große Sorgen, dass wir ab 2018 bis 2020 in eine Phase geraten, in der wir Funktionsstellen nicht mehr besetzen können. ... Wir werden daher, wenn das so weitergeht, innerhalb von drei, vier Jahren über 100 Einsatzkräfte verlieren. Das macht eine Feuerwache aus. Das wäre kritisch.

Warum alle Beamtenvertretungen gegen den Gesetzentwurf angehen, wurde vom Leiter des ver.di-Landesbezirks Hessen, Herrn Bothner, auf den Punkt gebracht: Welchen Blick hat denn die Hessische Landesregierung auf die Beamtinnen und Beamten, wenn der Ministerpräsident feststellt, dass er überhaupt nicht nachvollziehen kann, warum Feuerwehrleute aus dem Rhein-Main-Gebiet nach Bayern abwandern, weil sie dort mehr Geld verdienen? Welchen Blick hatte er? Glaubt er denn tatsächlich, dass Lobesschreiben zu Weihnachten eine Familie satt machen?

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Herr Schaus, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich zitiere aus den Ausführungen von Herrn Bothner weiter: Natürlich freuen wir uns darüber, dass die Fraktion DIE LINKE einen Änderungsantrag eingebracht hat, der noch einmal klar und deutlich zum Ausdruck bringt, dass es eine Erhöhung um 4,4% zu geben hat.

Ich finde, Herr Bothner hat recht.

Weil wir der Meinung sind, dass Sie sich das mit Ihrer Gesetzesvorlage noch einmal überlegen sollten, beantragen wir hiermit die dritte Lesung des Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)