Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Christiane Böhm - Auch eine erweiterte Landarztquote löst kein Problem des ländlichen Raums

Christiane BöhmGesundheit

In seiner 94. Plenarsitzung am 2. Februar 2022 diskutierte der Hessische Landtag zur zweiten Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung zur Einführung von Studierendenquoten für Landarztpraxen und den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, klar ist: Wir haben einen Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten, aber auch an Fachpraxen gerade in den ländlichen Regionen in Hessen. Damit haben wir auch einen Mangel bei der wohnortnahen Versorgung unserer Bevölkerung. Wir dürften uns da in der Diagnose weitgehend einig sein. Nicht einig sind wir uns hinsichtlich der Frage, wie man das therapieren kann. Da liegen wir doch relativ weit auseinander.

Um es gleich von Anfang an zu sagen: Eine Landarztquote überzeugt uns weiterhin nicht, auch wenn sie um den öffentlichen Gesundheitsdienst und durch die Internistinnen und Internisten ein bisschen aufgepeppt wurde. Der Mangel an Ärztinnen und Ärzten besteht jetzt.

(Beifall DIE LINKE)

Er wird ohne entscheidende Maßnahmen jedes Jahr schlimmer werden. Für genau dieses Problem liefert Ihr Gesetzentwurf keine Lösung. Die ersten über die Landarztquote gebundenen Ärztinnen und Ärzte werden die medizinischen Fakultäten um das Jahr 2035 verlassen. Bis dahin werden weitere Hunderte Praxen in Hessen geschlossen worden sein. Das hat Ihnen die Kassenärztliche Vereinigung Hessen mit vielen Hunderten Tabellen und Berechnungen dargelegt.

Wenn wir jetzt nicht sofort wirksame Maßnahmen ergreifen, werden die wenigen Absolventinnen und Absolventen der Landarztquote ganz allein auf weiter Flur stehen. Wir brauchen hier und jetzt wirksame Maßnahmen. Das fordern wir von Ihnen, von Schwarz-Grün.

(Beifall DIE LINKE)

Sie haben die wesentlichen Punkte in den letzten Jahren völlig ignoriert. Es ist fast genau fünf Jahre her, dass im März 2017 der Masterplan Medizinstudium 2020 vorgestellt wurde. Mit diesem wurde den Ländern der Auftrag erteilt, die Allgemeinmedizin im Rahmen der medizinischen Ausbildung stärker in den Fokus zu rücken.

Die Forderung ist vollkommen richtig. Ja, das werden Sie auch im Rahmen dieses Gesetzentwurfes verankern. Aber warum erfolgt das erst jetzt? Noch im vergangenen Jahr, als wir zu dem Vorgängergesetzentwurf der SPD-Fraktion angehört haben, haben sich die Universitätskliniken bitter darüber beschwert, dass es extrem schwierig sei, vom Land die notwendige Unterstützung und finanzielle Absicherung für die entsprechenden Schwerpunktcurricula zu erhalten. In der Konsequenz stimmen die medizinischen Hochschulen nun notgedrungen der Landarztquote zu, die sie eigentlich nicht für sehr sinnvoll halten, damit die Schwerpunktcurricula tatsächlich eingerichtet werden können.

Das heißt doch nichts anderes, als dass die Landesregierung fünf Jahre gebraucht hat, um zu verstehen, dass die Allgemeinmedizin dringend eine Stärkung im Studium und in der Ausbildung braucht. Die Universitäten in Frankfurt, Gießen und Marburg haben sich in der Ausarbeitung der Curricula aus eigenem Antrieb engagiert und Konzepte vorgelegt. Ich danke ihnen ausdrücklich für diese Beharrlichkeit und hoffe, dass es eine gute und einvernehmliche Verordnung zu diesem Gesetz geben wird, damit diese Arbeit sinnvoll weitergeführt werden kann.

Es ist aber wirklich ein Trauerspiel, dass das jetzt erst im Huckepack der Landarztquote erfolgt. Das ist im Prinzip auch der einzige wirklich wichtige Punkt des Gesetzentwurfs, dem ich mit Freude zustimmen würde. Das ist aber wirklich nur ein Teil der Therapie, die für mehr Ärztinnen

 

und Ärzte gerade in den ländlichen Regionen sorgen soll. Da muss deutlich mehr passieren.

(Beifall DIE LINKE)

Wir erwarten Maßnahmen der Landesregierung, die den ländlichen Raum deutlich stärken und die gesundheitliche Versorgung aller Menschen in Hessen garantieren. Dafür sind gewisse strukturelle Veränderungen auf verschiedenen Ebenen erforderlich. Einerseits geht es um die medizinischen Fragen. Aber es geht auch um die vielfältigen Herausforderungen einer zeitgemäßen Entwicklung der ländlichen Räume.

Denn die ländlichen Räume haben durchaus eine hohe Attraktivität, auch für junge Menschen, wenn die Voraussetzungen stimmen. Dafür braucht man aber eine öffentliche Infrastruktur, die auch dem Verhalten und der Entwicklung der jungen Menschen Rechnung trägt. Dazu braucht man die Digitalisierung und Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Man braucht Mobilität mit dem Rad und mit dem öffentlichen Nahverkehr. Man braucht wohnortnahe Versorgungsstrukturen wie bedarfsgerechte Kindertagesbetreuung und einiges mehr. Das brauchen wir flächendeckend.

Neben dieser Stärkung des ländlichen Raums muss man sich auch der Tatsache stellen, dass die Zeit der klassischen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte schlichtweg vorbei ist. Junge Medizinerinnen und Mediziner wollen in multiprofessionellen Teams arbeiten. Sie wollen das unter anderem, weil der wissenschaftliche Fortschritt und die Herausforderungen der täglichen Behandlungen das von Ihnen verlangen.

Sie brauchen andere Arbeitszeitmodelle zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie wollen sich im Sinne eines lebenslangen Lernens weiterentwickeln. Zum Beispiel wollen sie neben der Praxis auch noch in der Forschung arbeiten. Sie scheuen die hohen bürokratischen Hürden und die finanziellen Risiken. Es ist durchaus nicht für alle möglich, sie zu schultern.

Kurzum: Die Zeit der Einzelpraxis läuft langsam ab, und zwar insbesondere im ländlichen Raum. Sie können mich jetzt fragen, ob das schlimm ist. Man muss manchmal Dinge auch abwerfen können. Es böte gerade für den ländlichen Raum enorme Chancen, wenn die Landesregierung bereit wäre, die Strukturen für eine solche Entwicklung tatsächlich ernsthaft anzugehen. Ein Schlüsselwort dazu lautet Sektorenfreiheit.

Meine Fraktion hat genau zu diesen Fragen bereits im Jahr 2020 ein umfassendes Papier vorgelegt, unseren „Gesundheitsplan für Hessen“. Anders als der Krankenhausplan aus demselben Jahr stellen wir uns darin den strukturellen Herausforderungen unseres Gesundheitssystems. Wir müssen aufhören, die stationäre und ambulante Versorgung im besten Fall nebeneinander, aber oft auch gegeneinander zu denken. Diese Zeiten sind wirklich vorbei. Wir brauchen eine regionale Gesundheitsplanung von unten, die ambulante und stationäre Versorgung zusammenbringt und Wohnortnähe garantiert.

(Beifall DIE LINKE)

Im Ergebnis brauchen wir ein Mehrebenensystem der medizinischen Versorgung. Dabei müssen nicht zuallererst die maximalversorgenden Kliniken in den Großstädten im Fokus stehen, sondern die wohnortnahen Versorgungsangebote gerade im ländlichen Raum. Wir brauchen flächendeckend ambulante Gesundheitszentren und nicht, wie von Schwarz-Grün vorgesehen, höchstens einmal eines pro Kreis. Damit könnten wir den Bedürfnissen junger Ärztinnen und Ärzte entsprechen und weitere Angebote bündeln.

Neben den Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern sollten dort auch Psychotherapeutinnen, Psychotherapeuten, Psychologinnen und Psychologen, Heilmittelerbringende und Menschen in kleinen Laboren arbeiten. Räume für gelegentliche fachärztliche Sprechstunden wären vorzuhalten, die vertraglich gebunden würden. Nicht jede Fachärztin muss rund um die Uhr und ausschließlich im ländlichen Raum tätig sein.

Ambulante Gesundheitszentren könnten zudem Anlaufpunkte für sämtliche Fragen rund um die Pflege und die Rehabilitation sein. Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege, Pflege und Rehabilitation nach einem Krankenhausaufenthalt könnten wohnortnah in ambulanten Gesundheitszentren oder in kleinen Kliniken, die als intersektorale Gesundheitszentren dienen würden, abgesichert werden. So könnte die Ambulantisierung wirklich gelingen.

Weitere soziale Beratungsangebote könnten angedockt werden. Für uns ist aber ganz wichtig: Solche ambulanten Gesundheitszentren gehören in öffentliche oder genossenschaftliche Trägerschaft. Der Ausverkauf der öffentlichen Bedarfsvorsorge an die Profitlogiken großer Gesundheitskonzerne muss wirklich ein Ende haben.

(Beifall DIE LINKE)

So ein ambulantes und kommunales Gesundheitszentrum wäre ein attraktiver Arbeitgeber. Es wäre ein sozialer Verbindungsknoten im ländlichen Raum. Wir bräuchten keine Krücken wie die Landarztquote, mit der junge Menschen mit einer sechsstelligen Strafandrohung zur freundlichen Mitwirkung genötigt werden.

Doch leider fehlt Ihnen der Mut für einen solchen Schritt. Sie sind nicht einmal in der Lage und bereit, den von vielen Playern im Gesundheitssystem geforderten Krankenhausgipfel zu veranstalten, der gerade die Sektorenfreiheit sowie die Planung der Standorte und deren Angebote zum Thema haben müsste.

Warum kriegt Hessen nicht das hin, was Thüringen vor einigen Jahren schon erfolgreich absolviert hat? Ist das Mutlosigkeit, mangelnde Entschlussfreude oder die Weigerung, sich tatsächlich der Aufgabe einer Krankenhausplanung zu stellen?

Ich schätze, dass das alles zusammenkommt, und kann nur sagen: Herr Klose, machen Sie endlich Ihren Job. Sorgen Sie für eine gute flächendeckende Gesundheitsversorgung in Hessen. Planen Sie gemeinsam mit den Beteiligten. Nutzen Sie den Krankenhausstrukturfonds nicht weiter zum Schließen kleiner Kliniken im ländlichen Raum. Nutzen Sie ihn für eine vorwärtsweisende Entwicklung. Ihre Einfallslosigkeit zeigt sich eben auch im Beharren auf dieser wirkungslosen Landarztquote.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Frau Böhm, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ja. – Es gibt auch in anderen Bereichen ein sicherlich beschämendes Gerangel um Miniprojekte wie etwa den Medibus, bei dem man jedes Mal wieder um seine Finanzierung bangen muss. Es gibt auch anderes, das den Lückenbüßer spielen muss.

Ihr Gesetzentwurf ist eine Scheinlösung. Es ist bedauerlich, dass Sie es wieder einmal damit bewenden lassen. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)