Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024
Rede
Christiane Böhm – Das Krankenhaussterben stoppen, die Landesregierung muss endlich handeln
In seiner 144. Plenarsitzung am 21. September 2023 diskutierte der Hessische Landtag über den Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Gesundheitsplanung in Hessen jetzt auf den Weg bringen – bedrohte Krankenhäuser retten“. Dazu die Rede unserer Sprecherin für psychische Gesundheit Christiane Böhm.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste!
Was haben die Orte Dillenburg, Melsungen, Kassel, Biedenkopf und Bad Soden gemeinsam? Sie folgen den Entwicklungen in Lindenfels, Bad Schwalbach und Dieburg. Kliniken wurden geschlossen, Abteilungen wie die Geburtshilfe zugemacht, Insolvenzen angemeldet. Das droht auch in Hofheim, wo sich gerade eine Bürgerinitiative gegründet und eine Petition eingereicht hat.
Das ist erst die Spitze des Eisbergs. 70 % der Kliniken sind defizitär. Die Kommunen zahlen jährlich teilweise zweistellige Millionenbeträge als Zuschüsse, und trotzdem sind Insolvenzen an der Tagesordnung. In diesem Jahr haben bundesweit bereits 50 Standorte Insolvenz angemeldet.
Den Krankenhäusern geht es wirtschaftlich so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht. Die Prognose ist düster. Weitere Insolvenzen sind absehbar, in den nächsten Monaten werden weitere hinzukommen, auch in Hessen. Wir haben es gerade in Biedenkopf gesehen, diese Woche wurde Insolvenz angemeldet. Die Landesregierung darf hier nicht länger tatenlos zuschauen.
(Beifall DIE LINKE)
Deshalb hat die Krankenhausgesellschaft, unterstützt von der Gewerkschaft ver.di, für den gestrigen Tag zu einer Demonstration unter dem Motto „Alarmstufe Rot: Krankenhäuser in Not!“ aufgerufen. Ich bedanke mich bei allen Organisatorinnen und Organisatoren für diese kämpferische Veranstaltung. – Sie hören richtig.
(Beifall DIE LINKE)
Die Hessische Krankenhausgesellschaft hat eine wirklich kämpferische Veranstaltung auf den Römerberg gebracht. Mehr als 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und Beschäftigte aus Krankenhäusern in allen Ecken Hessens haben teilgenommen.
Da ich leider nicht das ganze Plakat zeigen kann, will ich Ihnen zumindest einen Ausschnitt zeigen – auch für das Präsidium. Darauf steht: „Nur Bund und Land können das Krankenhaussterben verhindern!“
(Die Rednerin zeigt ein Plakat.)
Die Hessische Krankenhausgesellschaft hat den Kampf gegen den eiskalten Strukturwandel ausgerufen. Der Schulterschluss zwischen Beschäftigten und Klinikleitungen hat gestern begonnen, die Verhältnisse buchstäblich zum Tanzen zu bringen.
Schauen Sie sich die Videos an. Andreas Hieke vom hr hat die Veranstaltung moderiert und fasste am Schluss zusammen, dass die Finanzmisere der Kliniken kein hausgemachtes, sondern ein systemisches Problem ist. Ich freue mich sehr darauf, wenn diese Aktion demnächst nach Wiesbaden kommt, um auch hier den Druck auf die künftige Landesregierung auszuüben.
Es wurden mehrere Gründe genannt, warum die finanzielle Situation der Kliniken heute so mies ist. Aktuell sind es die nicht refinanzierten Personal-, Energie-, aber auch sonstigen Sachkosten, die den Kliniken sprichwörtlich die Luft abdrehen. Für die Energiekosten ist zwar für den Herbst eine späte – sehr späte – und nur teilweise Kompensation angekündigt. Die Personal- und Sachkosten werden allerdings erst bei der Vereinbarung des Landesbasisfallwertes in die Verhandlungen eingebracht.
Als LINKE und als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter stehen wir dafür, dass der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes in allen Kliniken Standard ist, und das nicht nur für Pflegekräfte und ärztliches Personal, sondern wirklich für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
(Beifall DIE LINKE)
Ein zweites Thema sind die Investitionszuwendungen der Länder. Da muss sich auch Hessen nicht loben. Ich habe hier einmal die Klatsche von ver.di mitgebracht, die gestern hier auch deutlich gemacht hat, was allerdings alle Rednerinnen und Redner gesagt haben:
(Die Rednerin hält eine Klatsche hoch.)
Es reicht nicht, einmalig und viel zu spät die gesetzlich vorgeschriebenen Investitionskosten der Kliniken zu tragen. Der Investitionsbedarf der Kliniken ist enorm – gerade in Bezug auf Digitalisierung, Umgang mit dem hohen Dokumentationsaufwand und energetische Sanierungen. DIE LINKE hat das im Übrigen bei jeder Haushaltsberatung beantragt, und es wurde abgelehnt.
(Beifall DIE LINKE)
Gestern wurde auch nicht so sehr über den Fachkräftemangel geklagt – das hat mich sogar fast etwas gewundert –, sondern es wurde eher über die Blockade der Beschäftigten durch die überbordende Bürokratie geklagt. Das passt sehr gut zu dem vorhergehenden Diskussionspunkt. Wenn jede Maßnahme von drei Prüferinnen und Prüfern kontrolliert werden muss, fehlen natürlich Fachkräfte. Denn diese könnten auch wirklich die Arbeit leisten.
Ein neues Highlight ist das Krankenhaustransparenzgesetz. Bürokratieaufbau ist nicht das einzige Ziel des Gesetzes. Es wird zu weniger Qualität, zu mehr Auswahl von Patientinnen und Patienten führen, Kliniken können es sich nur noch leisten, die jungen und unproblematischen Patientinnen und Patienten aufzunehmen. Wer nimmt dann die älteren, multimorbiden – gerade dann, wenn demnächst die ländlichen Kliniken geschlossen worden sind? Nein, das darf nicht passieren. Ich fordere Sie auf, darauf hinzuwirken, dass dieses Gesetz grundsätzlich überarbeitet wird.
(Beifall DIE LINKE)
Die gestrige Kritik richtet sich massiv gegen die Politik der Bundesregierung. An den Bundeshaushalt wurde vonseiten des Bundesministeriums für Gesundheit gar kein Antrag gestellt, um den Übergang zu finanzieren, bis das Eckpunktepapier zu einer Krankenhausreform tatsächlich umgesetzt werden kann.
Selbst wenn diese Reform eine positive Perspektive bieten würde – als LINKE sehen wir da wesentlich mehr Schatten als Licht –, dauert das drei bis fünf Jahre. Bis dahin sind viele Kliniken bankrott. Das ist Absicht. Keine finanzielle Unterstützung jetzt zu geben bedeutet weniger Kliniken, die dann finanziert werden müssen. Das sagt Herr Lauterbach auch sehr deutlich.
Allerdings haben wir doch jetzt schon zu wenige Kinderkliniken, zu wenige Plätze in der Psychiatrie; bei Krankheitswellen fehlen insbesondere Intensivbetten und muss der Rettungsdienst quer durch die Republik fahren. Das bedeutet dann, dass es keine wohnortnahe Versorgung der Menschen gibt. Das darf nicht sein. Gesundheitsversorgung ist Teil der Daseinsvorsorge und muss überall in guter Qualität erreichbar sein.
(Beifall DIE LINKE)
In dieser Situation wird der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums um ein Drittel gekürzt. Das heißt, es gibt kein Geld für die Krankenkassen oder deutlich zu wenig. Es gibt kein Geld für den Ausgleich der Defizite der Kliniken, damit sie überhaupt die Reform erleben können. Damit werden alle Kliniken mit Defiziten, deren Träger nicht in der Lage sind, zweistellige Millionenbeträge beizusteuern, in die Insolvenz getrieben – wie jetzt in Biedenkopf, was ich schon erwähnt habe. Da ist allerdings nicht nur das Krankenhaus, sondern auch die Altenpflege betroffen. Davon abgesehen, soll sogar der Bundeszuschuss für die Pflegeversicherung um 1 Milliarde € auf null gestrichen werden. Allein der Rüstungshaushalt wird von der Bundesregierung erhöht. Das ist wirklich ein Skandal.
(Beifall DIE LINKE)
Meine Frage an die Ampelparteien ist: Sehen Sie nicht, dass Sie mit Ihrer Politik auf Bundesebene gerade dieser Rechtsaußenpartei vollkommen in die Hand spielen? Sie sorgen mit Ihrem Zugehen auf rechtsextremistische Positionen dafür, dass die Umfrageergebnisse von denen in die Höhe gehen. Sie gefährden nicht nur die soziale Sicherheit in diesem Land, die sowieso schon brüchig ist, sondern auch den Rest des sozialen Zusammenhalts. Stampfen Sie diesen Bundeshaushalt ein, nehmen Sie das Wachstumschancengesetz gleich mit, und machen Sie eine soziale Politik für die Mehrheit der Menschen in diesem Land. (Beifall DIE LINKE)
Aber zurück zur Krankenhausreform. Dass diese nicht erfolgreich sein wird, erkennt man schon daran, dass die Bundesregierung sich nicht traut, die Fallpauschalen abzuschaffen. Das bisschen Vorhaltepauschalen bedeutet eigentlich, dass man einknickt. Der Druck auf die Wirtschaftlichkeit bleibt bestehen. Fehlanreize bleiben bestehen. Was wir brauchen, ist stattdessen eine vernünftige Gesundheitsplanung. Ich befürchte, dass ich mich hiermit in diesem Landtag wiederhole – und das mindestens seit 2020, als wir unseren Gesundheitsplan vorgelegt haben.
Es ist dringend erforderlich, jetzt einen Planungsprozess für das gesamte Land anzustoßen. Das muss eine der ersten Aufgaben der Landesregierung sein, und zwar bevor das endgültige Gesetz vorliegt. Wir haben zwar einen Krankenhausplan, eine Art Telefonbuch der Krankenhäuser, der jetzt fortgeschrieben werden soll. Allerdings fehlt die Analyse: Wo brauchen wir welche Kliniken? Wie ist die Bevölkerungsentwicklung? Wo häufen sich Erkrankungen? Welche Bedarfe ergeben sich aus einer zurückgehenden Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte?
Im zweiten Schritt müssen diese Analysen, für die ausreichend statistisches Material vorhanden ist, den Gesundheitskonferenzen zur Verfügung gestellt und für eine regionale Versorgung aufbereitet werden. In den Regionen ist es total wichtig, Absprachen zu treffen, damit sich die Kliniken nicht gegenseitig kannibalisieren.
Aber warum sollte eigentlich an der Gesundheit gespart werden? Ich bin durchaus der Meinung, dass man ökonomisch arbeiten soll, hohe Profite der Pharmaunternehmen zurückdrängen, überdimensionierten Honorar- und Gewinnvorstellungen eine Grenze setzen und den Drang zu Eingriffen, nur um die Einnahmen der Klinik zu erhöhen, verhindern muss. Aber das kriegen Sie doch nur hin, wenn Sie das Selbstkostenprinzip einsetzen: Die Kliniken bekommen das Geld, das sie im Jahr verbraucht haben.
Präsidentin Astrid Wallmann:
Frau Böhm, bitte kommen Sie zum Schluss.
Christiane Böhm (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss, ich bin schon gleich da. – Investitionen werden vollständig finanziert. Gesundheit und, ich will auch sagen, Frieden sind unsere höchsten Güter. Diese gilt es zu bewahren – am besten mit einer guten Vorsorge und mit einer guten Versorgung. – Ich bedanke mich.
(Beifall DIE LINKE)