Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Christiane Böhm - Taten statt nur Worte bei der Istanbul-Konvention!

Christiane BöhmFrauen

In seiner 98. Plenarsitzung am 24. Februar 2022 debattierte der Hessische Landtag auf unseren Antrag zum Thema Gewalt gegen Frauen. Dazu die Rede unserer frauenpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich wolle – und ich will das immer noch – heute über eine Gesellschaft sprechen, die keine Gewalt einsetzt, ganz besonders nicht gegen Frauen und Kinder. Allerdings haben wir heute erfahren, dass es eine neue Dimension eines Krieges in Europa gibt; und Krieg bedeutet immer, dass Frauen und Kinder als Erste darunter leiden. Krieg bedeutet eine Verrohung und Brutalisierung der Gesellschaft, worunter alle leiden werden. Vor diesem Hintergrund lebe ich gerade mit dem Gefühl, dass die Welt eigentlich stillstehen müsste.

Ich werde trotzdem nicht aufhören, Gewalt zur Durchsetzung von Machtstrukturen zu geißeln; und ich werde nicht aufhören, mich dafür einzusetzen, dass eine Gesellschaft entsteht, in der Frauen keine Angst haben müssen vor Gewalt, in der sie keine Angst haben müssen, in einer toxischen Beziehung zu landen, in einer Beziehung, in der ein Mann seine Probleme an Frau und Kindern abreagiert, statt sie zu bewältigen, eine Gesellschaft, in der wir keine Schutzräume für Frauen mehr brauchen, sondern Gewalttätigkeit umfassend geächtet ist und angebliche Zuneigung nicht erzwungen werden kann.

(Beifall DIE LINKE)

Dazu brauchen wir aber andere politische Verhältnisse. Wir brauchen eine tatsächliche Gleichstellung aller Geschlechter, eine Partizipation in allen Lebensbereichen, gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit und keine Unternehmen, die schlechter bezahlen, weil es sich angeblich – in Anführungszeichen – nur um Frauenarbeit handelt, keine steuerliche und familienpolitische Bevorzugung von Alleinverdiener-Ehen; alle Geschlechter sind in allen Berufen und Verantwortungsfeldern gleichermaßen vertreten, und vieles mehr.

Das ist ein langer Weg; ich weiß es. Aber ich dränge Sie, Hessische Landesregierung, diesen Weg zu gehen und tatsächlich deutlich mehr zur Gleichstellung und gegen Gewaltstrukturen zu tun.

Die Große Anfrage zeigt uns auf: Innerhalb von zehn Jahren sind die Anzahl an Gewalttaten an Frauen und Mädchen sowie die häusliche Gewalt um 27 % gestiegen, von 2019 auf 2020, in einem Jahr, schon um 8 %. Das stellt sich in den Regionen sicher unterschiedlich dar. Sicher, es gibt mehr Frauen, die sich Gewalt nicht mehr gefallen lassen und Männer anzeigen. Allerdings gibt es gerade zu Corona-Zeiten immer mehr Männer, die mit Gewalt reagieren.

Lassen Sie uns darauf schauen: Was wird heute schon in Hessen getan, was tut die Hessische Landesregierung entsprechend der Istanbul-Konvention, und was ist notwendig, noch zu veranlassen?

Vor drei Jahren hat Minister Klose hier versprochen, alle Landesaktionspläne entsprechend der Istanbul-Konvention zu überarbeiten. Davon sind wir noch weit entfernt. Allerdings muss ich zugestehen – das ist der Hartnäckigkeit der Wohlfahrtsverbände und der Beratungsstellen zu verdanken –, dass heute bei der Überarbeitung der Pläne begonnen wird, die Fachkräfte daran zu beteiligen. Ich hätte jetzt gesagt, das ist selbstverständlich. Wie kann man denn einen Aktionsplan ohne diejenigen erstellen, die sich dabei auskennen? Aber geschenkt. Das ist immerhin ein erster Schritt.

Noch nicht so toll sieht es mit der Förderung landesweiter Strukturen aus. Allerdings leidet Hessen ganz besonders unter dieser Krankheit, die Projektitis heißt. Gut laufende regionale Projekte müssen sich immer wieder neu erfinden, um weiter gefördert zu werden. Das ist unsinnig und Ressourcenverschwendung. Sinnvolle Maßnahmen müssen dauerhaft gefördert werden.

Allerdings, man höre und staune: Im verabschiedeten Landeshaushalt steht doch tatsächlich ein Betrag von 250.000 € für die Einrichtung einer Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Das haben wir bereits im Haushalt 2020 gefordert.

(Lisa Gnadl (SPD): Wir auch!)

Da kann man nur sagen, links wirkt. Uns wurde aber jahrelang vom Ministerium erklärt, dass eine Koordinierungsstelle auf Landesebene überhaupt nicht erforderlich sei. Aber schön, dass Sie unserer Forderung gefolgt sind.

(Beifall DIE LINKE und Lisa Gnadl (SPD))

Auch wenn es heute mehr Wegweisungen von gewalttätigen Männern aus der gemeinsamen Wohnung gibt – Schutzräume werden leider immer noch weiter notwendig sein. Da sieht es nicht gut aus in Hessen. Die IstanbulKonvention rechnet mit doppelt so vielen Familienzimmern; da nützt Ihnen Ihre veraltete Regelung mit den Betten überhaupt nichts mehr. Schließlich kommen viele Frauen mit Kindern in die Einrichtungen. Sie brauchen einen eigenen Raum für die Familie; alle anderen Vorstellungen sind abenteuerlich und völlig unprofessionell. Schließlich kommt die Familie aus einer äußerst gefährlichen und belastenden Situation.

Es fehlt in vielen Frauenhäusern an Barrierefreiheit, an Plätzen für Frauen mit besonderen Bedürfnissen, an Plätzen für Frauen, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Die hessischen Frauenhäuser haben sich trotzdem vielerorts auf den Weg gemacht, auszubauen, ein zweites Haus zu nutzen, um mehr Zimmer anbieten zu können. Allerdings brauchen sie die Sicherheit, dass nicht nur die Investitionskosten vom Bund getragen werden, sondern auch das Personal finanziert wird. Das ist jetzt gerade eine arge Hängepartie, die Sie den engagierten Frauen zugemutet haben, die oft schon jahrzehntelang im Bereich tätig sind. Sie muten ihnen zu, neben der pädagogischen und sozialarbeiterischen Tätigkeit, oft genug ehrenamtlich mit der Verwaltung und Finanzierung beschäftigt zu sein. Ich bin froh, dass es diese Frauen gibt, und danke ihnen ausdrücklich für ihren Einsatz.

Aber auch hier wirkt links in den Hessischen Landeshaushalt. Die Frauenhäuser waren sehr erfreut, als sie von uns gehört haben, dass sie in diesem Jahr mit mehr Geld rechnen können. Ich fordere Sie aber auf, dauerhaft für genügend finanzielle Mittel zu sorgen, sodass ein Ausbau der Plätze tatsächlich auch auf Dauer möglich ist.

(Lachen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

  • Ich weiß nicht, was so amüsant ist.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beschließen es, und Sie sagen es ihnen!)

  • Ja, wir haben es gefordert, und Sie beschließen es dannirgendwann. Ich finde das gut, damit kann ich leben, Herr Wagner.

(Beifall DIE LINKE)

Damit habe ich überhaupt kein Problem. So funktioniert eine gute Opposition. Wenn Sie das machen, dann freuen wir uns. Allerdings wissen wir: Das sind nicht nur wir alleine. Da steckt der Druck der Frauenhäuser und der engagierten Frauen dahinter. Die haben Ihnen schon ganz viel Feuer gemacht. Das muss ich schon deutlich sagen.

(Beifall DIE LINKE, SPD und Marion Schardt-Sauer (Freie Demokraten)) Ich danke dafür.

Weiterhin wird allerdings zu wenig Personal finanziert. Autonome Frauenhäuser haben herumgefragt und festgestellt, 70 % der Frauenhäuser können nicht einmal die Hälfte der Personalstellen in ihren Frauenhäusern zur Verfügung stellen, die vom Paritätischen gefordert werden, der eine systematische Aufstellung gemacht hatte. Das ist allerdings bei den anderen Häusern auch nicht besser. Hessen braucht eine einzelfallunabhängige, bedarfsgerechte und kostendeckende Finanzierung. Es braucht einen Notdienst rund um die Uhr und eine finanzielle Absicherung, die es möglich macht, Frauen aufzunehmen, die keine Sozialleistungen bekommen oder keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Es müssen aber auch Schutzräume für gewaltbetroffene Männer, trans- und intergeschlechtliche Menschen vorgehalten werden.

Deswegen: Bleiben Sie nicht bei den ersten Schritten des Weges stehen. Schaffen Sie tatsächlich verlässliche und starke Strukturen, sodass Frauen nicht gezwungen sind, sich der patriarchalen Gewalt zu unterwerfen.

Ein zentrales Problem ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Es ist so, dass es für eine Frau mit Kindern aus dem Frauenhaus kaum möglich ist, eine Wohnung zu finden. Da ist es ganz nett, wenn die Hessische Landesregierung ein Projekt „Wohnen nach dem Frauenhaus“ ausruft. Allerdings ist mit zehn bis 15 Wohnungen der Nassauischen Heimstätte für ganz Hessen noch nichts gewonnen.

Bei einer Zahl von 1.200 Frauen, die pro Jahr im Frauenhaus leben, ist da noch viel Luft nach oben. Deswegen ist es notwendig, dass die Hessische Landesregierung dafür sorgt, dass in mehr Wohnungsbaugesellschaften Plätze für Frauen und Kinder bereitgestellt werden. Darmstadt hat das vorgemacht. Nehmen Sie Ihr Mikroprogramm zum Anlass, mehr Kommunen dafür zu gewinnen, dem Darmstädter Beispiel zu folgen.

(Beifall DIE LINKE)

Präventive Strukturen müssen gefördert werden, sodass häusliche Gewalt geächtet wird. Da reicht es nicht aus, ein Projekt für männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund bei jeder Debatte hier im Landtag vorzustellen. Ich denke, das wird es gleich wieder geben. Gewalt gibt es in allen Schichten und Gruppen, da ist Gewaltprävention überall angesagt.

Notwendig ist die Aufmerksamkeit für das Thema in den Strukturen des Landes. Gerade die Arbeit der Polizei ist wichtig. Ich habe erlebt, dass es im Kreis Groß-Gerau gut funktioniert, weil es dort eine hauptamtliche Opferschutzbeauftragte gibt. Das sorgt dafür, dass die Beratungsstellen proaktiv ihre Unterstützung den Frauen anbieten können. Das ist beileibe nicht überall in Hessen der Fall. Das muss auch überall ausgeweitet werden. Wir brauchen genauso gut ausgestattete Interventions- und Beratungsstellen. Auch die Täterarbeit muss wesentlich besser ausgestattet werden. Sie brauchen gute Strukturen.

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Böhm, kommen Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ja. – Ich möchte gerne noch auf unseren anderen Antrag eingehen. Wir haben da eine andere Form von Gewalt in Form der Belästigung vor den Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen. Wir hatten Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, den Sie leider abgelehnt haben. So müssen wir befürchten, dass ab dem 2. März wieder bei pro familia in Frankfurt die Selbstbestimmungsgegnerinnen und -gegner dort belästigen. Ich fordere Sie eindrücklich auf: Sorgen Sie für eine rechtssichere Regelung. So hat es nicht funktioniert. – Danke.

(Beifall DIE LINKE und SPD)