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Rede

Christiane Böhm zur Sozialpolitik im Landeshaushalt 2022

Christiane BöhmHaushalt und FinanzenSoziales

In seiner 91. Plenarsitzung am 09. Dezember 2021 diskutierte der Hessische Landtag zum Landeshaushalt 2022. Dazu die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Ja, es ist schon ziemlich gespenstisch, über einen Haushalt zu debattieren, der bereits vor dem Beschluss Makulatur ist. Allerdings bin ich mir sicher, dass die Änderungsanträge von Schwarz-Grün keine wesentlichen Impulse für einen sozialeren Haushalt setzen werden. Deswegen werde ich zu einigen wenigen Themen sprechen. Ich möchte es nicht so wie meine Vorrednerinnen und Vorredner machen. Sie haben zu allem und jedem etwas gesagt. Ich denke, das ist ein Problem, das wir bei der gesamten Haushaltsführung haben.

Lisa Gnadl hat es kurz angesprochen. Die große Kritik, die es gerade von vielen sozialen Verbänden und von Selbsthilfeorganisationen an dem Entwurf des hessischen Landeshaushalts hinsichtlich des Sozialen gibt, ist, dass es wirklich eine Grunderkrankung gibt. Sie heißt Projektitis. Sie haben mich eindeutig aufgefordert, das im Landtag noch einmal deutlich zu sagen. Es ist wirklich unmöglich, damit zu arbeiten. Sie befinden sich ständig in der Situation, neue Projekte auflegen zu müssen, die nach kurzer Zeit wieder in die Schublade geschoben werden. Dann wird wieder an einem neuen Projekt gearbeitet.

Ich finde, so kann man keine Haushaltsführung machen, und so kann man keine Sozialpolitik entwickeln. Da entwickeln wirklich alle Träger der sozialen Einrichtungen Unmut. Da werden Personal, Zeit und Geld verschleudert.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Lassen Sie mich zu drei Themen des Haushaltsentwurfs etwas sagen. Ich möchte gerne mit den kommunalisierten Hilfen beginnen. Die Landesregierung hat sich vieler sozialer Aufgaben entledigt, indem sie den Kommunen einen festgelegten Betrag gibt. Mit dem Anspruch, die – ich zitiere – „Infrastruktur der sozialen Daseinsvorsorge“ zu fördern, erhöhen Sie den Haushaltsansatz um keinen Cent.

Das geht seit vier Jahren so. Das geschieht, obwohl Sie selbst davon ausgehen, dass sich die Nutzung der sozialen Hilfen deutlich erhöhen wird. Allerdings ist eine höhere Inanspruchnahme nicht möglich, wenn es kein Angebot gibt. Die Infrastruktur steht also nicht zur Verfügung. Denn da gibt es keinen Markt, der es schon regeln wird.

Menschen in Krisensituationen, in sozialen Notsituationen, suchen gerade in Zeiten des Arbeitsplatzabbaus, der zunehmenden prekären Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, der Miet- und Energieschulden Unterstützung. Verbraucherzentrale, Wohlfahrtsverbände, Beratungsstellen und Selbsthilfeorganisationen sind aktuell sehr stark gefordert. Sonst war es immer möglich und meist auch nötig, sofort beraten zu werden. Jetzt gibt es dort richtiggehende Wartelisten.

Die kommunalisierten Mittel bleiben auf dem Niveau des Vorjahres, obwohl auch Gehälter steigen, obwohl Betriebskosten steigen und obwohl die Herausforderungen steigen. Ich fordere von der Landesregierung, dass sie ihr soziales Sparkonzept endlich einmal beendet.

(Beifall DIE LINKE)

Dass das nicht funktioniert, möchte ich am Thema Gewalt gegen Frauen und Kinder darstellen. Sie sind teilweise kurz darauf eingegangen, aber ich möchte es noch einmal deutlich machen. Die Frauenhäuser sind voll. Frauen mit Kindern müssen abgewiesen werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind vor allem damit beschäftigt, einen Platz in einer anderen Stadt oder eine andere Lösung zu finden. Es ist jedem klar bzw. es muss jedem klar sein, dass die Kapazitäten erweitert werden müssen. Es gibt jetzt eine Ausschreibung auf der Bundesebene für Investitionskosten. Die ist sicherlich nur teilweise hilfreich.

Zum Beispiel wurde der Antrag einer Kommune abgelehnt, weil das kommunale Wohnungsunternehmen, das jetzt ein neues Frauenhaus bauen wollte, nicht gemeinnützig ist – schön. Warum ist es nicht gemeinnützig? Schließlich wurde die Gemeinnützigkeit für Wohnungsbaugesellschaften Ende der Achtzigerjahre abgeschafft.

Das Hauptproblem für die Träger der Frauenhäuser ist allerdings, dass sie keinerlei Zusagen vonseiten des Landes erhalten, dass sie in einem erweiterten Frauenhaus auch die Personal- und Betriebskosten finanziert bekommen. Bitte schön, sagen Sie mir einmal: Wie kann man denn von meist ehrenamtlich arbeitenden Vorständen in den Frauenhäusern verlangen, dass sie eine Erweiterung, eine Sanierung mit Barrierefreiheit, ein neues Haus auf den Weg bringen, wenn es überhaupt keine Zusage vonseiten des Landes gibt, die Kosten anschließend auch zu finanzieren?

Im Haushalt steht nichts dazu drin. Das ist nicht nur eine Enttäuschung für die Engagierten gegen häusliche Gewalt, das ist eine Gefährdung für Frauen und deren Kinder. Wenn es keinen Schutz gibt, dann sind sie den gewalttätigen Partnern ausgeliefert. Im schlimmsten Fall überlebt die Frau das nicht, wie beispielsweise in meinem Landkreis, wo die Frau, bevor sie Schutz gefunden hat, von ihrem Ehemann ermordet wurde.

Ich erwarte von dieser Landesregierung, dass sie noch heute den Frauenhäusern die Sicherheit für eine Erweiterung gibt und die Finanzierung des Betriebs zusagt.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Ich habe einmal zufällig die Website eines Frauenhausvereins geöffnet. Was lese ich dort? Ich zitiere:

Wir brauchen kein Mitleid, sondern Mittel. Öffentliche Zuschüsse reichen nicht aus. Helfen Sie mit, dass die Einrichtung erhalten bleibt. Denn die Gewalt bleibt ja, und damit die Not der Frauen und Kinder, die nicht wissen, wie sie sich selbst helfen können.

Dazu passt, dass ein neues Frauenhaus im Odenwald gebaut wurde, das 1 Million € gekostet hat. Immerhin hat sich ein gnädiger Minister bereit erklärt, aus seiner Schatulle 5.000 € dazuzugeben. Somit liegt der Landesanteil bei 0,5 % der Investitionskosten.

Entgegen der Verpflichtung der Istanbul-Konvention sorgt das Land nicht für genügend Frauenhausplätze. Darüber hinaus ist es notwendig, insgesamt die Finanzierung der Frauenhäuser auf neue Beine zu stellen. Es muss eine pauschale Finanzierung geben, auch wenn einmal ein Platz nicht besetzt ist oder eine Frau keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat und trotzdem aufgenommen wird. Da müssen die Fixkosten für Personal und Betrieb dringend weitergezahlt werden. Es gibt die Forderungen der Frauenhäuser. Bitte entsprechen Sie diesen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Ich bedanke mich bei den wunderbaren und über allen Maßen engagierten Frauen, die haupt- und ehrenamtlich in den Frauenhäusern und in den Beratungsstellen gegen sexualisierte Gewalt Frauen und Kinder schützen und ihnen die Perspektive auf eine gewaltfreie Zukunft geben. Überziehen Sie es nicht, Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Grün. Es ist nicht mehr möglich, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch stärker auszubeuten. Sie haben es nämlich satt, ständig für Spenden betteln zu gehen, um ihren eigenen Arbeitsplatz zu finanzieren. Sie haben auch wirklich eine Wertschätzung verdient.

Nicht ohne Grund sind die Frauenhäuser so voll. Frauen, die gerne ausziehen wollen, bekommen keine bezahlbare Wohnung. Mein Kollege Axel Gerntke ist vorhin schon auf die Frage des bezahlbaren Wohnraums eingegangen. Das gilt nicht mehr nur für das Rhein-Main-Gebiet, sondern auch gerade im ländlichen Raum berichten uns die Frauenhausmitarbeiterinnen, dass sie keine Wohnungen für Frauen und Kinder finden und sie teilweise jahrelang danach suchen müssen.

Das ist nicht die einzige Gruppe, die in sozialen Einrichtungen ist und keine Chance hat, aus diesen auszuziehen. Es darf in diesem reichen Land nicht passieren, dass Familien mit Kindern in miserablen Notunterkünften untergebracht werden. Es darf nicht sein, dass jemand nicht aus dem betreuten Wohnen ausziehen kann und der Nächste nicht wieder einziehen kann, nur weil es keinen bezahlbaren Wohnraum gibt. Hier werden auch finanzielle und soziale Mittel verschleudert.

Wir erwarten von den Kommunen, dass sie mit den Kommunen zusammen Wohnungssicherungsstellen aufbauen und damit Wohnungslosigkeit verhindern. Wir erwarten den Aufbau und die Förderung von regionalen Wohnraumhilfen. Deswegen haben wir ein landesweites Programm in unseren Haushaltsanträgen gefordert. Wir erwarten, dass dies auch umgesetzt wird.

(Beifall DIE LINKE)

Dass immer mehr Menschen in Hessen wohnungs- und obdachlos sind, ist ein Skandal. Es ist klar, nicht nur im großstädtischen Bereich ist die Hilfe für wohnungslose Menschen auszubauen. Dafür muss mit den Wohlfahrtsverbänden und den Kommunen ein Programm für wohnungslose Menschen aufgebaut werden – mit niedrigschwelligen aufsuchenden Angeboten, aber auch mit Konzepten wie Housing First. Das muss in jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt möglich sein.

Das Land soll für die Housing-First-Projekte Personal finanzieren, sodass die Menschen, die in diese Wohnung einziehen, auch eine Betreuung erwarten können. Wir haben gehört, dass ein Konzept erarbeitet wird, und erwarten kurzfristig die versprochene Initiative des Sozial- und Wirtschaftsministeriums zu diesem Thema. Es sind jetzt schon einige Wohlfahrtsverbände in Hessen aktiv zu diesem Thema auch mit Wohnraumhilfen, finanzieren aber diese Unterstützung im Moment aus eigenen Mitteln. Hier ist das Land gefragt.

Steigende Energiepreise führen bei Menschen im Sozialleistungsbezug und mit niedrigem Einkommen zu hohen finanziellen Belastungen, Schulden und zur Energieabschaltung. So sitzen Menschen im Dunkeln und Kalten, selbst wenn sie noch eine Wohnung haben. Deshalb schlagen wir vor, mit 3 Millionen € einen Energiekostenfonds aufzulegen, der niedrigschwellig und barrierearm auf Antrag Ausgleichszahlungen bei Energieschulden gewährt und so Energiearmut verhindert.

(Beifall DIE LINKE)

Das dritte Thema, das ich ansprechen möchte, ist für die Landesregierung ein kleines. Ganze 250.000 € will sie für die Beratung von Menschen ohne Krankenversicherung und für einen Behandlungsfonds 2022 zur Verfügung stellen. Der Staat ist nach Art. 3 und Art. 35 der hessischen Landesverfassung verpflichtet, ein funktionsfähiges Gesundheitssystem zu errichten.

Trotz der allgemeinen Versicherungspflicht sind immer mehr Menschen ohne oder nur mit sehr eingeschränkten Krankenversicherungsleistungen. Hierunter fallen Obdachund Wohnungslose, die keine Sozialleistungen beziehen, Menschen aus EU-Ländern, die keine Krankenversicherung mitbringen, Menschen, die ihre Beiträge nicht mehr zahlen können, Selbstständige ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Gerade wenn die Selbstständigen in Rente gehen und wenig verdient haben, bekommen sie nur die Grundversorgung bei der Privatversicherung. So bekommen sie gar keine ordentlichen Leistungen. Aber auch Menschen ohne Papiere fallen darunter.

Im Gegensatz zur Hessischen Landesregierung hat DIE LINKE dazu ein Konzept, einen Gesetzentwurf, vorgelegt – Sie können sich daran erinnern. Wir fordern darin flächendeckende Clearingstellen und einen staatlichen Behandlungsfonds. Sinn der Sache ist, dass die Menschen wieder in eine ordentliche Krankenversicherung eingegliedert werden können.

Der von der Landesclearingstelle verwaltete Behandlungsfonds soll mit einem Budget von zunächst 5 Millionen € pro Jahr vom Land Hessen versehen werden und kann damit auch für alle medizinisch notwendigen Leistungen für Menschen ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz genutzt werden.

Das sind jetzt nur drei Beispiele. Frau Kollegin Gnadl hat noch einiges mehr gesagt. Aber das sind drei Beispiele, die mir besonders am Herzen liegen und die zeigen, wie wenig sozial und sachgerecht der Haushalt ist.

Ich möchte am Schluss noch ein Thema nennen, das mir noch am Herzen liegt. Beim Arbeitsschutz liegt es in Hessen wirklich im Argen. Ein Unternehmen in Hessen braucht durchschnittlich mehr als 40 Jahre keine Prüfung zur Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen zu fürchten. Das heißt, es wird kaum kontrolliert, unter welchen Bedingungen Menschen arbeiten müssen. Wir sehen es oft genug, dass die Arbeitsbedingungen wirklich miserabel sind.

Die Landesregierung hat jetzt Besserung versprochen und behauptet in der kursorischen Lesung, 25 neue Stellen zu schaffen. Ich war geradezu begeistert. Das wäre echt einmal ein Sprung. Allerdings habe ich sie im Haushalt nicht gefunden. Ich finde vielleicht drei oder fünf, aber keine 25 Stellen. Das ist schon ein enormer Unterschied. Sorry, den Versuch, die Gemüter mit falschen Zahlen zu beruhigen, finde ich eine vollkommen unangemessene Herangehensweise. So lassen wir nicht mit uns umgehen.

(Beifall DIE LINKE)

Das sind nur ein paar Aspekte aus einem Sozialhaushalt, der nichts von dem hält, was gestern von Herrn Wagner, Frau Claus und Herrn Bouffier vollmundig als sozialer Haushalt versprochen wurde. Frauen in Gewaltsituationen nicht zu unterstützen, Menschen in der Kälte ohne Wohnung und ohne Krankenversicherung zu lassen, ist Ausdruck der sozialen Kälte im Land, sehr geehrte Damen und Herren. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)