Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Der kleinstmögliche Schritt in die richtige Richtung"

Hermann Schaus

Rede zum Gesetzentwurf der SPD betreffend Stärkung der Bürgerbeteiligung auf Kommunaler Ebene

Herr Präsident / Frau Präsidentin,
meine verehrten Damen und Herren,

viel ist dieser Tage die Rede davon, dass die Menschen und die Politik einander wieder näher kommen müssen.

In Bayern und Hamburg wurden wichtige Entscheidungen des Gesetzgebers durch Volksabstimmungen gekippt. In Gorleben und Stuttgart demonstrieren Zehntausende seit Monaten gegen Entscheidungen des Gesetzgebers, die sie für falsch und nicht demokratisch legitimiert zustande gekommen halten.

Diesen Menschen ist gemeinsam, dass sie nicht länger durch eine ihnen fremd gewordene politische Klasse für unmündig erklärt werden wollen, sondern sie wollen DAS unmittelbar mitbestimmen, was SIE unmittelbar betrifft. Sie wollen nicht mit Versprechungen bis zum nächsten Wahltermin vertröstet werden und sie brauchen auch keine PR-Agenten, die erklären, warum diese oder jene politische Entscheidung alternativlos ist.

Meine Damen und Herren, ob Finanzkrise, Gesundheitsreform, Atom-Deal oder Nachflugverbot: Der Eindruck, dass die Politik eher Lobbyinteressen bedient als die Interessen der Bevölkerung, dass der Staat die Wirtschaft bedient während die Bedürfnisse der Menschen zurück bleiben, dass den Reichen gegeben und den Armen genommen wird und der Eindruck, dass Parteien sich mit diesem Zustand bestens arrangiert haben, dies alles zerstört Vertrauen in Politik und Demokratie.

Wie kann es denn sein, dass die Volksgesetzgebung in unserer Verfassung zwar den höchsten Stellenwert genießt, aber bis heute defakto nicht stattfindet und zwar weder auf kommunaler, noch auf Landes- und schon gar nicht auf Bundesebene. Der Lobbyismus, den man im Kapitel Staatsgewalt vergebens sucht, ist hingegen zur dominanten Größe der Gesetzgebung geworden.

Dieser Zustand, meine Damen und Herren, tritt die Intention unserer Verfassung mit Füßen. Er missachtet den Grundgedanken der Volkssouveränität. Als LINKE vertreten wir einen anderen Ansatz. Wir wollen, dass alle Menschen ihre Interessen möglichst unmittelbar vertreten können.

Wir wollen Lobbyismus begrenzen und mehr direkte Demokratie statt Stellvertreterpolitik. Und am wichtigsten ist dies nach unserer Auffassung dort, wo die Menschen ihren Lebensmittelpunkt haben, in ihren Heimatgemeinden und Städten und in den Landkreisen.

DIE LINKE hat deshalb einen Gesetzentwurf eingebracht, der hier am Donnerstag erstmals beraten werden wird. Ich möchte jetzt nur soviel sagen, dass wir darin nicht nur Bürgerbegehren und Bürgerentscheide weiterentwickelt haben, sondern viele weitere Dinge: unmittelbare Beteiligungsrechte und Transparenzregelungen, die Förderung regionaler Wirtschaftstätigkeit in kommunalem Besitz, die Förderung von Integration bis hin zum Schutz der Umwelt... alles Dinge, die nach unserer Auffassung dringend mitgedacht werden müssen.

Und das ist auch meine Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf der SPD, welchen ich als kleinstmöglichen Schritt in die richtige Richtung bezeichnen möchte.

Sie beschäftigen sich ausschließlich mit den Quoren für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide und man fragt sich, warum sie Dinge, die in anderen Bundesländern längst erfolgreiche Praxis zur Beteiligung der Bürger sind, denn nicht aufgegriffen haben. Die Quoren sind ja nur ein Teilproblem und am einfachsten zu lösen, indem man sie halt senkt. Aber es geht doch um viel mehr, wenn man ein anderes Verhältnis von Bürger und Politik will.

Mitbestimmung setzt z.B. zwingend Transparenz voraus. Nur wenn man weiß wann, wo, warum, von wem etwas entschieden wird, kann man überhaupt mitbestimmen.

In vielen Bundesländern gibt es zudem Regelungen zur direkten politischen Teilhabe, die in Hessen fehlen. Zum Beispiel ein kommunales Antrags- und Petitionsrecht. Das haben auch die Grünen in Hessen schon mal eingebracht und die Realität zeigt längst, dass man das auch in Hessen endlich machen sollte.

Auf kommunaler und auf Landesebene ist es in Hessen aber ziemlich finster mit der Transparenz und deshalb müsste eigentlich auch die SPD sich des Themas annehmen. Aber selbst das, was sie machen, machen sie halbherzig. Hinter den bayerischen Regelungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide bleibt die hessische SPD soweit zurück, dass es einen schon fast wundert. Es gibt weder Transparenz-, noch Fairness-, noch Kompromissklauseln und die Frage direkter Demokratie auf Kreisebene fassen sie genauso wenig an, wie eine Verkleinerung des sehr umfangreichen Ausschlusskatalogs für Bürgerentscheide.

Alles in Allem ist der Gesetzentwurf deshalb wirklich sehr dürftig. Und das finde ich ärgerlich.

Denn wenn Sie im Gesetzentwurf schon die großen Probleme der Zeit wälzen - Entfremdung, Politikverdrossenheit, Demokratiedefizite - dann müssten Sie als die größte Oppositionspartei ein Konzept vorlegen, das wenigstens den Anspruch vermuten lässt, dass sie diese Probleme auch lösen können und wollen.

Ich fasse zusammen: Kleinstmöglicher Schritt in die richtige Richtung, aber das wird kaum zu mehr Demokratie führen, geschweige denn diejenigen Probleme lösen, mit denen sie ihren eigenen Entwurf begründen.