Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Die Landebahn hätte nicht gebaut werden dürfen"

Hermann Schaus

Zur Debatte zu Nachtflugverbot und Fluglärm

 

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren

die Nordwest-Landebahn hätte nie gebaut werden dürfen. Das war und ist nicht nur die Position der Flughafenausbaugegnerinnen und -gegner der ersten Stunde – meine Damen und Herren, das ist die Einsicht, zu der Tag für Tag immer mehr Menschen in der Rhein-Main-Region, im Kinzigtal, der Wetterau in Mainz und Rheinhessen kommen und deshalb auch zu tausenden jeden Montag am Frankfurter Flughafen demonstrieren.

Nahezu jede Woche kommen neue Details ans Licht der Öffentlichkeit, die zeigen, mit welchen Tricks die Nordwest-Landebahn durchgesetzt wurde. Geschönte Lärmgutachten und überhöhte Beschäftigungsprognosen, eine unerklärliche Reduktion der Luft-Schadstoffbelastung trotz steigender Flugbewegungen und ein gebrochenes Nachtflugverbot, um nur einige der Tricksereien zu nennen.

Was den Menschen in den vergangenen Monaten mit aller Brutalität entgegenschlug war aber nicht nur der Fluglärm. Sie sehen mittlerweile auch  wie frech und kaltschnäuzig verantwortliche Politiker, trickreich und unbeirrt die Forderung nach konkreter Lärmminderung mit noch mehr Beauftragten für Fluglärm, weiteren neuen Gremien und Lärmgipfeln abzuwiegeln suchen.

Vogelschlag – meine Damen und Herren – ist in der Luftfahrt ein ernstzunehmendes Risiko.

Und wenn man schon eine neue Landebahn zwischen zwei Biotope baut, dann müssen alle verantwortlichen, von der Fraport bis zur Genehmigungsbehörde zu 100% ausschließen, dass keine Gefahren bestehen.

Ich erinnere nur an die Notwasserung eines Airbus im Jan 2009 auf dem Hudson River in New York. Das war ein Vogelschlag! Bei einem ähnlichen Ereignis beim Landeanflug über dem Main hätten die Flugzeuge keine Ausweichmöglichkeit mehr und würden womöglich in die Häuser in Flörsheim oder Kelsterbach rasen.

Das Vogelschlagrisiko über dem Main war im Erörterungsverfahren 2006 das k.o.-Kriterium für die Nordwest-Variante. 

Schon damals war klar: Die Nordwest-Bahn darf nicht gebaut werden.

Nur das in höchster Eile von der Fraport Anfang 2007 in die Planfeststellung eingebrachte Grobkonzept einer Wärmebildüberwachung der Vögel, hat die Nordwest-Variante gerettet. Die planfeststellende Behörde genehmigte - ohne technischen und wissenschaftlichen Funktionsnachweis des neuen Vorwarnsystems - den Bau der Landebahn zwischen zwei Vogelbiotope, am Main und am Mönchwaldsee. Das ist weltweit einmalig.

Vogelschlagrisiken gibt es auch an anderen deutschen Flugplätzen. In Bayern ist es beispielsweise verboten im Nahbereich des Flughafens München, zur Verringerung des Vogelschlagrisikos, Kiesgruben zu betreiben. Und in Frankfurt liegt der Mönchwaldsee nur einige hundert Meter neben der Landebahn

Das in Frankfurt eingesetzte Vorwarnsystem „Mivotherm“ wurde weltweit nie zuvor an einem anderen Flughafen getestet. Es ist eigens für den Frankfurter Flughafen entwickelt worden.

In der Kleinen Anfrage des Kollegen Kaufmann Nr. 18/4417 vom 2. September 2011 antwortete Minister Posch auf die Frage:

"Seit wann haben die praktischen Tests der vollständig installierten Anlage mit welchem Ergebnis stattgefunden?"

Ich zitiere aus der Antwort des Ministers vom 25.10.2011

"Mit der sukzessiven Erschließung, Errichtung und Inbetriebnahme der drei Kamerastandorte, beginnend mit dem Standort Klaraberg am 10.01.2011, gefolgt vom Standort Raunheim am 25.04.2011 und Standort Eddersheim am 05.05.2011 fanden praktische Tests der vollständig installierten Anlage statt."

Wir können beweisen, dass das System aber erst seit Anfang September 2011 vollständig installiert und betriebsbereit war und nicht ab Mai, wie der Minister behauptet. Mitte Mai war der Kameraturm in Eddersheim noch eine Baustelle ohne Stromversorgung und ohne installierte Kameras.

Und die Antwort des Ministers in der Kleinen Anfrage kann man auch nicht missverstehen, wie das Wirtschaftsministerium nun beschwichtigend behauptet.

Minister Posch hat hier die Unwahrheit gesagt – meine Damen und Herren – um zu vertuschen, dass vor der Eröffnung der Landebahn am 21. Oktober überhaupt nicht genug Zeit für ausreichende Tests des Mivotherm-Systems vorhanden war. Und weil die Anlage vor der geplanten Bahneröffnung nicht mehr getestet werden konnte, wurden vom Ministerium 2 "qualitätssichernde Kurzgutachten" angefordert. Die lagen dem Ministerium drei Tage vor Landebahneröffnung vor. Drei Tage – meine Damen und Herren!

Einer der Gutachter, Dr. Büchtemann von Dr. Büchtemann Optronic, hat das Mivotherm-System selbst mit entwickelt. Er begutachtet also seine eigene Arbeit und kommt konsequent zu dem Schluss, dass diese gut sei. 

Wir haben diesen Umstand der Selbstbegutachtung im Ministerium nachgefragt und Minister Posch gibt uns zur Antwort, dass die "entsprechende Web-Seite", die diese Geschäftsbeziehung belegt "nur versehendlich nicht gelöscht" wurde. Das ist Kabarett – Meine Damen und Herren - aber mit ernstem Hintergrund!

Aus dem zweiten Gutachten lässt sich ersehen, dass von den drei Kameratürmen nur zwei untersucht worden waren.  

Meine Damen und Herren, das alles stinkt zum Himmel!

Herr Minister Posch, sie haben die vorläufige Betriebsgenehmigung der Landebahn vorangetrieben und das mit einem sicherheitsrelevanten System, für das es noch keine Erfahrungswerte gibt und das noch nicht einmal unter realen Bedingungen getestet werden konnte.

Die Erprobung des neuen Vogelschlagvorwarnsystems findet nämlich erst jetzt, seit Eröffnung der Landebahn im Echtbetrieb statt, wobei Passagiere und Crews sind die unfreiwilligen Testpersonen.

Das ist nicht bloß skandalös, das ist gemeingefährlich!

In die Reihe der Vertuschungs- und Verschleierungsversuche passt es dann auch den Vogelschlag vom 21.11.2011 an der Lufthansa-Maschine LH 1121 zu leugnen. Fraport, die Lufthansa und das Ministerium haben diesen Vorfall erst geleugnet und ihn dann klein geredet. Erst war es kein Vogelschlag, dann soll es nur ein kleiner Vogel, wegen dem die Landebahn eine knappe halbe Stunde gesperrt werden musste, gewesen sein.

Erst durch die hartnäckigen Recherchen der Eddersheimer Bürgerinitiative Umweltschutz wurde der Vogelschlag von Fraport und Lufthansa und zu allerletzt vom Wirtschaftministerium notgedrungen zugegeben. Das war keine "Kommunikationspanne im Ministerium" wie der Minister uns glauben machen will.

Weil der Vogelschlag die Betriebsgenehmigung der Nordwest-Landebahn in Frage stellt, durfte er keiner gewesen sein und sollte von Anfang an nicht an die Öffentlichkeit kommen.

Und weil die vorgeschriebene Meldung an den Deutschen Ausschuss zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr (DAVVL) erst sieben Wochen später durch die Lufthansa vorgenommen wurde, ist keine, für solche Fälle zwingend vorgeschriebene Untersuchung an der Maschine mehr möglich. Das ist die Wahrheit!

Wie bei der Verlärmung ganzer Landesteile, verletzt Minister Posch nicht nur seine Aufsichtspflicht und gefährdet so das Leben von Menschen. Zum wiederholten Mal hat sich gezeigt, dass diese Landesregierung als Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde für den Frankfurter Flughafen völlig einseitig agiert. Entgegen des gesetzlichen Auftrags werden die Interessen der Bevölkerung nach Gesundheits- und Lärmschutz weiter ignoriert.

Aufgrund des öffentlichen Protestes Tausender Menschen machen die Minister von CDU und FDP jetzt den Wendehals. Angefangen vom OB-Kandidaten Rhein über Minister Posch bis zu Minister Grüttner erklären sie, sie seien von dem Ausmaß der Lärmbelästigung überrascht worden oder diese Lärmbelastung hätte so niemand vorhergesehen. Das hätten sie aber müssen und haben sie vermutlich auch – nur war es ihnen gleichgültig.

Das einzige von dem die Minister der Hessischen Landesregierung überrascht wurden, ist die Größe der Protestwelle

Wenn sie wirklich überrascht gewesen wären, dann würde dies ja bedeuten, dass die umfangreichen Untersuchungen und Gutachten zur Planfeststellung fehlerhaft wären, die Betriebsgenehmigung also auf falschen Daten und Berechnungen basierten.

Es ist gleichgültig ob Versäumnis, Fehler oder arglistige Täuschung die Ursache für die Unbewohnbarkeit ganzer Landesteile sind: Die Landebahn muss wieder stillgelegt werden!

Die SPD steht hier genauso in der Verantwortung wie die Minister der Landesregierung. Die SPD hat den Ausbau immer mitgetragen. Hören sie auf an den Symptomen herumzudoktern und hören sie auf ihre vom Fluglärm betroffenen Ortsvereine, Herr Schäfer-Gümbel. Die fordern auch wie wir die Stilllegung der Landebahn.

Die Fraktion der Grünen schlägt in ihrem bekannten Frankfurter Stil des sowohl als auch einen Änderungsantrag vor, unseren Antrag zur sofortigen Stilllegung der Landebahn auf prüfen und berichten zu verwässern. Weil die Versäumnisse bei der Planfeststellung und der Betriebsgenehmigung der Landebahn so eklatant sind und der Betrieb der Landebahn Menschleben gefährdet, werden wir diesen Änderungsantrag nicht unterstützen

Die Betriebsgenehmigung für die Nordwest-Landebahn muss schnellstmöglich zurückgezogen werden. Das, Herr Minister Posch, ist ihre Pflicht als Chef der Aufsichtsbehörde.

Diejenigen die lachen und sagen, dass sei unrealistisch, frage ich: Was wären die Alternativen?

Ist es realistisch, zehntausende von Menschen umzusiedeln? Ist es realistisch alle Horte, Kindergärten und Schulen, Altersheime und Krankenhäuser außerhalb der verlärmten Gebiete neu zu errichten aber die Menschen weiterhin im Lärm wohnen zu lassen?

Die Landebahn wurde mit brutalstmöglichem Vorgehen, mit allen politischen Mitteln und Tricks – auch juristischer Art – durchgesetzt. Politische Entscheidungen sind aber auch rückholbar und müssen korrigiert werden, wenn sie so dramatisch falsch sind wie beim Ausbau des Flughafens.

Deshalb ist für uns klar: Die Landebahn hätte nie gebaut werden dürfen. Die Landebahn muss wieder weg.