Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Eine Gesellschaft, in der Geheimdienste immer wichtiger werden, ist eben nicht freiheitlicher und demokratischer"

Hermann Schaus

Zum Entschließungsantrag von CDU/FDP betreffend "60jährige Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen - Verfassungsschutz auch zukünftig unverzichtbarer Pfeiler für Sicherheit und Demokratie"

 

Zum Entschließungsantrag der CDU- und FDP-Fraktionen betreffend "60jährige Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen - Verfassungsschutz auch zukünftig unverzichtbarer Pfeiler für Sicherheit und Demokratie"

 

Herr Präsident / Frau Präsidentin,
meine verehrten Damen und Herren,

warum beschäftigen wir uns eigentlich zwei- bis dreimal im Jahr mit dem Verfassungsschutz in Hessen? Warum thematisieren CDU und FDP nicht einmal die Leistungen anderer Landesbehörden - die der Gerichte, der Schulämter, von Hessenforst, der Jugendhilfe und ihre Bedeutung für unsere Gesellschaft?

Der Verfassungsschutz ist zunächst eine weisungsgebundene Behörde wie jede andere auch.

Trotzdem: Nur der Verfassungsschutz erfreut sich regelmäßiger Aufmerksamkeit von CDU & FDP, einschließlich Jubelreden und ständiger Ausweitung der Haushaltsmittel.

Selbst der Steuerzahlerbund, eigentlich ein ihnen nahe stehender Verband, fragt längst öffentlich nach dem Sinn unseres außerordentlich aufgeblähten Geheimdienstes.

Was ist also der Grund für die in jeder Beziehung besondere Wertschätzung des Verfassungsschutzes seitens CDU & FDP?

In ihrem Antragstitel heißt es: "Verfassungsschutz auch zukünftig unverzichtbarer Pfeiler für Sicherheit und Demokratie". Das muss man sich genauer anschauen, weil damit dem Verfassungsschutz eine immense Bedeutung zufällt.

Denn "Unverzichtbarer Pfeiler" heißt ja: Ohne Verfassungsschutz hätten Sicherheit und Demokratie in der Vergangenheit nicht funktioniert und könnten auch in Zukunft nicht funktionieren. Sie behaupten also: Ohne diese eine Landesbehörde würden Sicherheit und Demokratie zusammenbrechen.

Dem widerspreche ich deutlich. Es wäre geradezu ein Armutszeugnis, wenn das stimmen würde. Dann könnten wir ohne Geheimdienst weder Sicherheit noch Demokratie aufrecht erhalten. Was wäre das denn noch für eine Demokratie?

Ich halte diese Auffassung sogar für wiedersinnig. Denn eine Gesellschaft, in der Geheimdienste immer wichtiger werden, ist meines Erachtens eben nicht freiheitlicher und demokratischer.

Der Grund: Demokratie lebt vom Mitmachen, von Transparenz, von Kommunikation und von Offenheit. Beim Geheimdienst kann man aber nicht mitmachen. Er ist weder transparent, noch kommunikativ, noch offen. Er ist zwangläufig Staat im Staate, was immer wieder eine Reihe von Problemen mit sich bringt.

Obwohl ich nun seit einigen Jahren Abgeordneter des Landtags bin, kann ich z.B. bis heute nicht sagen, was der Geheimdienst eigentlich macht. Weil es mir ja nicht gesagt werden darf.

Im Gegenteil: Obwohl ich gewählter Vertreter des Volkes und damit Teil der höchsten Gewalt im Lande bin, werde ich von dieser Behörde sogar überwacht. Ich kann mich nicht dagegen wehren, weil das eine politische Entscheidung der Regierung ist. Sie behaupten einfach, DIE LINKE sei gefährlich. Beweisen müssen sie es nicht und ich kann es auch nicht entkräften, weil die Behauptung ja auf geheimen Informationen beruht.

Das ist ziemlich absurd, zumal DIE LINKE ja sogar Regierungen stellt. Ich bin allerdings trotzdem dagegen, CDU & FDP in Berlin und Brandenburg überwachen zu lassen. Denn meine Vorstellung von Demokratie ist eine andere.

Es geht mir aber nicht um meine eigene Betroffenheit.

Meine Damen und Herren, die Frage, wie man die Kontrolleure kontrolliert, scheint so alt zu sein wie die Geheimdienste selbst. DIE ZEIT listet in einem Artikel aus dem Jahre 2006 eine Vielzahl von Geheimdienst-Skandalen auf, die auch parlamentarisch nicht aufgearbeitet werden konnten. Von den heiklen Operationen der Geheimdienste erfahren die Wächter im Parlament meistens erst aus der Zeitung. DIE ZEIT beschreibt, wie namhafte Parlamentarier immer wieder an der Nicht-Kontrollierbarkeit der Geheimdienste scheiterten.

"So wird das Parlamentarische Kontrollgremium zur Grabstätte, in dem ruchbar gewordene Skandale beerdigt werden", wird der ehemalige FDP-Innenminister Burkhard Hirsch zitiert.

Der Widerspruch zwischen Geheimhaltungsinteresse und Verschwiegenheitspflichten einerseits und öffentlichem Interesse andererseits ist eben nicht auflösbar.

Auch Peter Struck (SPD), später Fraktionsvorsitzender und Verteidigungsminister, gelangte zur Auffassung, Geheimdienste ließen sich nicht demokratisch kontrollieren und hat seine Arbeit im Kontrollgremium 1995 frustriert hingeschmissen.

Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen ist ein kritischer Blick auf die Arbeit der Geheimdienste notwendig. Geheimdienste sollen die Demokratie schützen, aber sie stehen per se außerhalb des demokratischen Diskurses.

Doch diese kritische Distanz fehlt der schwarz-gelben Landesregierung in jeder Hinsicht. Es ist bezeichnend, dass Hessen Vorreiter ist, den Geheimdienst an Schulen zu schicken, um dort Vorträge über Demokratie abzuhalten. Nach meiner Überzeugung ist Teilhabe durch Ausbildung, Arbeit, Integration und Zukunftschancen junger Menschen das beste Argument für die Demokratie. Es wäre sinnvoller unsere Schulen endlich deutlich besser auszustatten, statt Geheimdienstmitarbeiter zum Politikunterricht alla schwarz-gelb abzustellen.

Ich nenne ihnen ein anderes Beispiel fragwürdiger innenpolitischer Geheimdienstarbeit, nämlich die sogenannten Aussteigerprogramme. Wer sich mit der neo-faschistischen Szene intensiv beschäftigt hat, weiß, dass Aussteigerprogramme dort funktionieren, wo sie von unabhängigen Trägern gemacht werden.

Denn die Gefahr, in der Szene nicht nur ein Aussteiger zu sein, sondern sogar als Verräter zu gelten, hindert Ausstiegswillige eher daran, derartige Angebote wahrzunehmen. Das ist nicht nur eine mentale Frage, sondern auch eine von realen Gefahren.

Die Süddeutsche Zeitung vom 17. Mai dieses Jahres zitiert den Leiter des erfolgreichen bundesweiten Aussteigerprogrammes Exit mit folgenden Worten: "An den Verfassungsschutz würde ich mich nicht wenden, weil die dort oft nur Informationen über die Szene abschöpfen wollen." Hilfe würden die Ausstiegwilligen kaum erhalten, weil das nicht das Ziel der Geheimdienste sei. Dementsprechend würden viele Aussteiger auch rückfällig.

Lernen will der Verfassungsschutz daraus aber nicht. Stattdessen bietet er inzwischen auch eine Telefon-Hotline für ausstiegswillige Jihadisten an.

Selbst das Bayerische Innenministerium zweifelt den Sinn der Aktion öffentlich an, denn, so die Süddeutsche Zeitung, der Verfassungsschutz "gibt keine Statistiken über Zahl und Art der Anrufer heraus und blockt Anfragen zu dem Projekt ab". Also auf gut deutsch: Geheimdienste machen eh was sie wollen, was kann ein Ministerium da schon machen.

Auch hier ist das Problem, dass die bloße Behauptung, es sei wichtig und notwendig, ausreicht, um Politik zu begründen. Der Rest unterliegt der Geheimhaltung. Man könnte das problemlos anders organisieren, das macht schwarz-gelb aber nicht.

Deshalb bleibt auch immer die Frage im Raum stehen, wie groß der Beitrag des Verfassungsschutzes zur Sicherheit eigentlich ist. Die Behauptung von Bedrohungen und ihrer erfolgreichen Bekämpfung lässt sich ja eben nicht prüfen.

Selbst wenn Dinge offensichtlich schief laufen, bleibt die Öffentlichkeit außen vor: Wie zum Beispiel im Fall Haddid N. den ich hier ausdrücklich anführen möchte. Dieser deutsch-afghanische Student wurde des Islamismus bezichtigt. Nachweisen konnte die Staatsanwaltschaft ihm nichts, obwohl man sich wohl in mehreren Verfahren viel Mühe gemacht hatte.

War der nun einfach ungefährlich? Oder war er sogar besonders gefährlich, weil er die Behörden täuschen konnte?

Eine Gelegenheit dieses genauer zu überprüfen ergab sich offenbar, als der junge Mann beschloss, nach mehr als einem Jahr der Ausreiseverweigerung endlich seine Verwandten in Kabul zu besuchen.

Seltsamerweise gelangten dann irgendwie Informationen, samt Aufenthaltsort an das US-Militär, die ihn für mehrere Wochen in das für Folter bekannte Militär-Gefängnis Bagram brachten. Selbst hier konnte ihm nichts nachgewiesen werden. War also alles nur ein Missverständnis und wer trägt dafür die Verantwortung? Man weiß es bis heute nicht.

Wer glaubt, in einem Rechtsstaat müsse dies aufgeklärt werden, der irrt. Alle Nachfragen, wie, warum und von wem die Informationen an das US-Militär weiter gegeben wurden, hat man nicht beantwortet. Geheimhaltung eben!

Dabei möchte ich dem Herrn Innenminister gar nichts unterstellen.

Aber ich frage mich was mit Menschen passiert, deren Familien sich nicht wehren können, so wie die Familie von Haddid N. es getan hat. Was wäre gewesen, wenn es keine Familie gegeben hätte, keine Studenten die Unterschriften sammelten, was, wenn sich daraus kein Politikum entwickelt hätte?

Wie schnell gerät man heute unter Verdacht und wie kann man dem noch entkommen? In diesem Fall gibt es keine Antworten, nur Befürchtungen.

Ich hoffe daher inständig, dass eine Abzugsperspektive aus Afghanistan endlich näher rückt. Ich hoffe, dass wir die demokratische Erneuerungsbewegung in Nordafrika als Chance begreifen, unser Verhältnis zur arabischen Welt auf eine neue und friedliche Basis stellen.

Obwohl die Wahrscheinlichkeit in Deutschland einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, sehr, sehr gering ist, tut schwarz-gelb so, als läge dies ausschließlich an der Arbeit des Verfassungsschutzes.

DIE LINKE sagt: Soziale Konflikte zu lösen sollte unser Ziel sein, statt den sinnlosen Versuch zu unternehmen, sie militärisch und geheimdienstlich zu beherrschen.

Nach meinem Dafürhalten jedenfalls, leistet z. B. die Feuerwehr einen realen Beitrag zur Sicherheit von Menschen. Gute Schulen und Vereine sind ein realer Beitrag zur Stärkung und Sicherung unserer Demokratie. Sie haben zudem den Vorzug, dass man mitmachen und Transparenz einfordern kann.

Und nach meinem Dafürhalten sind deshalb Haushaltmittel für die Pädagogin im Schuldienst, den Krankenhelfer im Gesundheitssystem oder die Vereinsförderung besser angelegtes Geld, als in die Geheimdienste. Leider sind das Bereiche, in denen der schwarz-gelbe Rotstift bald erst richtig wüten wird.

Weder die Schulbehörden, noch die Gerichte oder Hessenforst sind ihnen Zeit und zwei bis drei Anträge im Jahr wert. Das schafft leider nur der Geheimdienst.

Zuletzt sei mir der Hinweis gestattet, dass die Feier zu 60 Jahre Landesamt für Verfassungsschutz auch eine Chance gewesen wäre, sich mit dem Wertesystem in den Anfangsjahren der Behörde auseinander zu setzen.

Zumindest vor dem Hintergrund des langsam bekannt werdenden Braunen Erbes im Bundesnachrichtendienst, wäre eine kritische Erforschung der Frühgeschichte des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz ebenfalls angezeigt.