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Rede

Elisabeth Kula - Kampf gegen Antisemitismus bleibt gesamtgesellschaftliche Aufgabe - documenta ist und bleibt wichtige Kunstausstellung

Elisabeth KulaKultur

In seiner 129. Plenarsitzung am 16. Februar 2023 diskutierte der Hessische Landtag zur documenta15. Dazu die Rede unserer Vorsitzenden und kulturpolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Ich kann mich in großen Teilen meinem Vorredner anschließen. Die documenta steht seit vielen Jahren für eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Strukturen, für die Überwindung von Grenzen sowohl im Kopf als auch auf der Landkarte, und für Diskurs und Dialog. Die bedeutendste Ausstellung moderner und zeitgenössischer Kunst will überwinden, was ausgrenzt.

So verstanden auch die Kuratoren der documenta, das indonesische Kollektiv ruangrupa, das Selbstverständnis der Ausstellung. Sie haben mit dem Leitmotiv der gemeinschaftlich genutzten Reisscheune ein künstlerisches Zeichen für Kollektivität und Gemeinsinn gesetzt, gegen Individualisierung und Konkurrenz, die moderne kapitalistische Gesellschaften prägen. Zudem ging es um globale Machtverhältnisse, um Ausbeutung sowie um globalisierungskritischen Widerstand. Wir können viel lernen von der documenta und ihren Künstlerinnen und Künstlern, vor allem aus dem globalen Süden.

Eine Lehre der documenta ist, dass das Verhältnis zwischen Kunstfreiheit und dem, was Kunst uns gesellschaftlich zumuten kann und muss, immer wieder neu gesellschaftlich zu verhandeln ist und dass die Blickwinkel auf Kunst und ihre Funktion von Künstlerinnen und Künstlern aus dem globalen Süden und der deutschen Gesellschaft durchaus unterschiedlich sind.

Leider hat sich aber der Diskurs um Antisemitismus in der Kunst auf der documenta fifteen so zugespitzt, dass ein echter Dialog, ein Lernen voneinander nicht mehr möglich war und ist. Ich möchte hier nicht auf die Suche nach Schuldigen gehen. Auf dem großen Banner, das am Friedrichsplatz hing, den Namen „People’s Justice“ trug und vom indonesischen Künstlerkollektiv Taring Padi stammt, war eine Figur dargestellt, die ohne jeden Zweifel einen antisemitischen Charakter hat. Um es an dieser Stelle klar zu sagen: Antisemitismus darf niemals unwidersprochen bleiben und darf auch auf der documenta oder sonst wo in Hessen keinen Platz haben. Dafür müssen wir uns gemeinsam Tag für Tag einsetzen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Andere Werke lassen antisemitische Interpretationen zu oder sind anschlussfähig an einen Israel-bezogenen Antisemitismus, wobei sich mir dabei einige Fragen stellen.

(René Rock (Freie Demokraten): Aha!)

Sollte eine Kritik am Staat Israel aus der Perspektive der Künstlerinnen und Künstler aus dem globalen Süden hier in einem Zug mit eindeutig antisemitischen Abbildungen, wie auf der Installation „People’s Justice“, genannt werden? Ich war persönlich auf der documenta und konnte im Gegensatz zu dem Expertengremium nicht feststellen, dass die Kritik an Israel auf der Ausstellung überproportional oft vertreten gewesen sein soll.

(Zurufe AfD und Freie Demokraten)

Vielmehr ging es insgesamt um eine antikoloniale Perspektive – mit Blick auf Australien, Südostasien, Südafrika und auch Israel.

(René Rock (Freie Demokraten): Sie relativieren!)

Inwiefern Israel Bezugspunkt einer solchen Debatte sein sollte, darüber lässt sich politisch streiten. Es braucht einen Dialog, um Erfahrungen und Muster zu erkennen und zu durchbrechen, Herr Rock, die eine Kritik am Staat Israel mit antisemitischen Stereotypen vermischen. Eine künstlerisch-kritische Auseinandersetzung mit Staaten muss möglich sein. Ebenso muss aber gemeinsam mit Jüdinnen und Juden eine Debatte über antisemitische Weltbilder geführt werden können. Dies war im Rahmen der documenta fifteen nicht möglich. Dafür tragen auch die Kuratoren eine künstlerische Mitverantwortung; denn die Kontextualisierung und Aufarbeitung ist nicht gelungen.

Nun sollte ein Expertengremium im Nachhinein Klarheit darüber bringen, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Das Gutachten liegt seit einigen Wochen vor und hat die Debatte um die documenta fifteen noch einmal aufflammen lassen. Dieses Gutachten ist ein Dokument, das vor allem die Kuratoren und die Geschäftsführung für ihr Verhalten kritisiert. Die politisch Verantwortlichen, vor allem des Bundes, sollen sich in Zukunft wieder mehr einmischen, und die Strukturen der documenta sollen verändert werden. Wer an welcher Stelle wann wie was versäumt hat, ist im Nachhinein kaum nachvollziehbar;

(Widerspruch Freie Demokraten)

aber die documenta scheint bisher nicht die entsprechenden Strukturen gehabt zu haben, um gut mit solchen Konflikten umzugehen. Die Verfasser des Gutachtens haben zugleich darauf hingewiesen – auch das gehört zur Wahrheit –, dass auch veränderte Strukturen nicht ausschließen und verhindern können, dass vielleicht irgendwann wieder antisemitische oder als antisemitisch interpretierbare Kunst auf der documenta landet; denn der Staat kann nicht im Vorfeld jedes Ausstellungsstück begutachten und entscheiden, ob es ausgestellt werden kann.

Ich möchte auch davor warnen, kollektive Prozesse in der Kunst generell als problematisch einzustufen. Gemeinschaftliche Formen der künstlerischen Aufarbeitung haben zunächst einmal nichts mit Antisemitismus zu tun, und ich hoffe, dass die für die documenta Verantwortlichen in Zukunft nicht die Engstirnigkeit zum Prinzip machen. Das wäre nicht im Sinne der Kunstausstellung. Eine Skandalisierung kollektiver Prozesse und kollektiver künstlerischer Leitung darf nicht die Antwort sein.

(Beifall DIE LINKE)

Der Kampf gegen den Antisemitismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die documenta muss sich krisenfester aufstellen, und sowohl bei Jüdinnen und Juden als auch bei Künstlerinnen und Künstlern muss Vertrauen wiedergewonnen werden.

(Beifall DIE LINKE)