Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Elisabeth Kula - Landesregierung ignoriert drängende Themen an Hochschulen

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In seiner 123. Plenarsitzung am 08. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag anlässliches des Setzpunktes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu ihrem gemeinsamen Entschließungsantrag mit der Fraktion der CDU für "Vielfalt und Chancengerechtigkeit an den Hochschulen: Hessen braucht alle klugen und kreativen Köpfe". Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Gäste!

Ich muss schon zugeben, dass ich angesichts der aktuellen Situation der Hochschulen in der Energiekrise sehr überrascht über diesen aktuellen Setzpunkt und Jubelantrag bin, weil es gerade jetzt vielen Hochschulleitungen, Beschäftigten und Studierenden nicht unbedingt zum Jubeln zumute ist. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit werden in Hessen wieder Hörsäle besetzt. Studierende und Beschäftigte streiken, aber die Landesregierung bejubelt sich selbst. Ich weiß nicht, ob das in dieser Situation so das richtige Signal ist, aber das müssen Sie selbst wissen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich weiß auch nicht so genau, worauf Sie mit Ihrem Antrag jetzt hinauswollen. Er ist ein Sammelsurium und wirkt eher so, als wäre Hochschulpolitik wieder an der Reihe für einen Setzpunkt gewesen, unabhängig davon, ob wirklich eine nennenswerte Initiative der Landesregierung vorliegt oder nicht.

Leider greifen Sie die Themen, die an den Hochschulen gerade drängen, nur am Rande auf. Stattdessen loben Sie sich für die angeblich vorhandene Chancengerechtigkeit und für Ihre Hochschulfinanzierung.

Das ist angesichts der aktuellen Lage wirklich grotesk. Studierende bangen seit mittlerweile zwei Jahren um ihre Existenz, weil während der Corona-Zeit viele Nebenjobs weggefallen sind. Wegen der Schließung der Hochschulen müssen viele von ihnen länger studieren und wissen schlichtweg nicht mehr, wie sie das alles finanzieren sollen. Auf diese Situation kommt jetzt die Inflation noch obendrauf. Viele Studierende wissen einfach nicht mehr, wie sie ihr Essen und ihre Nebenkosten bezahlen sollen. Jetzt steigen auch noch die Mensapreise, weil die Studierendenwerke die Preissteigerungen weitergegeben haben und weil zu lange nicht gehandelt wurde. 30 % der Studierenden sind schon jetzt von Armut betroffen – Tendenz steigend. Viele brechen ihr Studium ab, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Was hat das alles mit Chancengerechtigkeit zu tun?

(Beifall DIE LINKE)

Ich denke, relativ wenig – gerade jetzt, wo es die Studierenden hart trifft, die keine eigenen Rücklagen oder Eltern haben, die ihnen finanziell unter die Arme greifen können. Die 200 €, die es vom Bund gibt, die die Studierenden als Unterstützung in der Krise erhalten haben, sind wirklich nur Makulatur. Sie sind schnell weg. Die 200 € helfen den Studierenden also herzlich wenig. Apropos: Ich glaube, Hessen hat es bislang nicht geschafft, diese 200 € an die Studierenden auszuzahlen. Noch nicht einmal das ist in Hessen bei den Studierenden angekommen.

Auch die kleine BAföG-Reform auf der Bundesebene wird an der dramatischen Situation nichts ändern. Nur 11 % der Studierenden erhalten überhaupt noch BAföG. Als das BAföG in den Siebzigerjahren eingeführt wurde, hat fast die Hälfte aller Studierenden eine Förderung erhalten. Das Instrument war genau dafür gedacht, Ungerechtigkeiten im Bildungssystem abzumildern. Es muss deshalb doch besorgen, wenn die Quote der Geförderten so deutlich gesunken ist, parallel aber die Studierendenzahlen seit der Einführung des BAföG sich versechsfacht haben.

Marita Jacob von der Universität Köln, die die Auswirkungen des BAföG wissenschaftlich untersucht, nennt als Gründe, warum nur noch ein immer kleiner werdender Teil an Studierenden BAföG beantragt, vor allem die Befürchtung, die Eltern würden zu viel verdienen, und die Angst vor Verschuldung.

Nein, die mickrige Reform des BAföG der Ampelkoalition wird da leider keine Trendwende schaffen. Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik prognostiziert, wie sich die Gefördertenquote bis ins Jahr 2026 entwickeln wird – mit und ohne BAföG-Reform. Laut dieser Prognose soll sie in vier Jahren bei 14,7 % liegen, ohne Reform läge sie bei 13,3 %. Das ist ein wirklich nur geringfügiger Anstieg um 1,4 Prozentpunkte – und das trotz Mehrfachkrise.

Wir sagen deutlich, es braucht auf der Bundesebene endlich eine große und echte Strukturreform des BAföG, die ja angekündigt ist. Von Ankündigungen kann aber niemand heizen oder sich etwas zu essen kaufen. Wenn Sie sich angesichts solcher Zahlen hierhin stellen und sich für die angebliche Chancengleichheit feiern, dann ist das geradezu grotesk. Machen Sie lieber Druck in Berlin, statt hier Luftschlösser zu bauen.

(Beifall DIE LINKE)

Auch in Hessen hängen der Bildungserfolg und die Frage, welche Bildungsabschlüsse erreicht werden, immer noch vom Einkommen und vom Bildungsgrad der Eltern ab. Von Chancengleichheit im Bildungssystem kann wirklich keine Rede sein, wenn Kinder schon nach der 4. Klasse auf Schulformen aufgeteilt werden, die den Rest ihrer Bildungslaufbahn bestimmen.

Am 1. Dezember haben wir in Hessen den Verfassungstag gefeiert. Aber statt die Verfassung nur zu feiern, lohnt es sich, wirklich einmal in die Verfassung zu schauen. Dort steht in Art. 59 Abs. 2 – ich darf zitieren –:

Der Zugang zu den Mittel-, höheren und Hochschulen ist nur von der Eignung des Schülers abhängig zu machen.

Wenn man sich anschaut, dass in Hessen im Jahre 2020 der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit nicht deutscher Staatsbürgerschaft auf Gymnasien bei 6,8 %, an Hauptschulen aber bei 21,3 % lag, dann sieht man, dass die Verfassung zwar an feierlichen Tagen vor sich hergetragen wird, die Politik in Hessen aber eine komplett andere Verfassungsrealität geschaffen hat.

Die Wege ins Studium sind in Hessen in den vergangenen Jahren vielfältiger geworden. Das ist auch gut so. Aber von Chancengerechtigkeit im Bildungssystem kann nun wirklich nicht gesprochen werden, wenn immer noch nur 8 % der Nichtakademikerkinder, aber 45 % der Akademikerkinder einen Masterabschluss machen. Wir sind da wirklich noch weit von Chancengerechtigkeit entfernt.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wer Chancengerechtigkeit im hessischen Bildungssystem wirklich will, den muss es doch alarmieren, dass allein in Frankfurt 3.000 Studierende wohnungslos sind. Für ein WG-Zimmer in Frankfurt müssen Studis laut einem Vergleich der Mietpreise auf der Plattform „wg-gesucht.de“ mit Beträgen zwischen 260 und 830 € für ein 15-m²-Zimmer in einer Zehner-WG rechnen. Wer eine kleine Wohngemeinschaft mit maximal drei Bewohnern sucht, muss mit bis zu 1.500 € für ein 20-m²-Zimmer rechnen. Auch in Darmstadt stehen über 2.000 Studierende auf der Warteliste für einen Studierendenwohnheimplatz. Statt sich angesichts solcher Zahlen selbst zu sonnen, wäre es doch Zeit für Selbstkritik und ein Umsteuern in der Wohnungspolitik. (Beifall DIE LINKE)

Da ist auch Frau Dorn in der Pflicht. Die Studierendenwerke in Hessen können nämlich aktuell nur 7 % aller Studierenden ein Wohnungsangebot machen. Da sind wir von dem selbst erklärten Ziel der Landesregierung von 10 % deutlich entfernt – wir haben noch ungefähr ein Jahr bis zur Landtagswahl –, und wir liegen mit diesem Prozentsatz unter dem Bundesdurchschnitt. Schwarz-Grün regiert in Hessen seit fast neun Jahren, und deshalb tragen Sie für diese Situation die Verantwortung.

(Beifall DIE LINKE)

Auch für Ihre Hochschulfinanzierung sollten Sie sich nicht allzu laut feiern. Mit dem neuen Hochschulpakt gab es zwar Korrekturen in der Hochschulfinanzierung, die zu begrüßen sind – insbesondere kann man hier die Dynamisierung des Sockelbudgets, also der Grundfinanzierung, nennen –, aber der jährliche Anstieg der vom Land zugewiesenen Mittel um 4 % war schon vor der aktuellen Inflationsrate von 10 % zu gering, um das aufzuholen, was in der Hochschulfinanzierung lange schiefgelaufen ist. Jetzt, angesichts von Krieg, Krise und Inflation, sind diese 4 % einfach zu wenig, um die finanziellen Probleme an den Hochschulen zu lösen und darüber hinaus eine bessere Qualität in Studium und Lehre und bessere Arbeitsbedingungen endlich umzusetzen. Immer noch sind über 80 % der wissenschaftlich Beschäftigten an hessischen Hochschulen befristet beschäftigt. Der Kodex für gute Arbeit der Landesregierung, für den Sie sich ebenfalls gerne feiern, wurde weder in die Zielvereinbarung mit den Hochschulen noch in das Hochschulgesetz aufgenommen und ist somit leider nichts anderes als eine unverbindliche Selbstverpflichtung. Die zusätzlichen Mittel im Hochschulpakt werden doch schon lange durch Tarif- und Kostensteigerungen aufgefressen.

Aufgrund der steigenden Energiekosten werden schon jetzt Kürzungen in den Hochschulhaushalten angekündigt. Die Universität Frankfurt erwägt für 2023 eine Haushaltssperre von mindestens 6 % auf alle Budgets. Deswegen ist es ein zwar reichlich spät gekommenes, aber erst einmal gutes Signal, wenn jetzt, in der Krise, 40 Millionen € für die Hochschulen zur Verfügung stehen sollen. Ob die Mittel aber wirklich ausreichen, um Budgetkürzungen, Bibliotheksschließungen und kalte Hörsäle zu vermeiden, daran würde ich ein großes Fragezeichen machen. Auf jeden Fall muss die Abhängigkeit von Drittmitteln an den Hochschulen dauerhaft reduziert werden, und die Grundfinanzierung muss so auskömmlich gestaltet werden, dass gute Arbeitsbedingungen und die Qualität von Studium und Lehre an allen Hochschulen nicht länger Ausnahmen sind, sondern endlich die Regel werden.

Ich bleibe dabei: Ein derartiger Jubelantrag in einer so schwierigen sozialen Situation der Beschäftigten und Studierenden ist absolut deplatziert. Ja, es gab trotz der Krise bisher keine Verschlechterung in der Hochschulfinanzierung – dafür hat sich die Ministerin in dieser Woche schon gefeiert –; aber es ist doch eine Selbstverständlichkeit, wenn man immer von der Exzellenz und der Qualität der hessischen Hochschulen spricht und sich dafür feiert, dass man keine Verschlechterungen durchsetzt. Finanzieren Sie die Hochschulen ordentlich aus, unterstützen Sie die Studierenden in der Krise, schaffen Sie genug Wohnraum, dann wäre ein Feiern wirklich angebracht.

(Beifall DIE LINKE)