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Rede

Elisabeth Kula - Lehrkräfte am Limit: Realitätsverleugnung durch Schwarzgrün ist unverantwortlich

Elisabeth KulaBildung

In seiner 128. Plenarsitzung am 15. Februar 2023 diskutierte der Hessische Landtag zur Situation an hessischen Schulen. Dazu die Rede unserer Vorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren!

Ich konnte es erst gar nicht glauben, aber es ist wirklich wahr: Die CDU macht mal wieder die Schulpolitik zum Setzpunkt, um den Kultusminister zu loben, während draußen an den Schulen die Hütte brennt. Entweder Sie haben wirklich gar keine Ahnung von der Realität, oder Sie sind Zyniker ohnegleichen. Ich finde beides wirklich erschreckend.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Freie Demokraten)

CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legen hier einen

Antrag vor, der nicht viel Neues enthält. Dabei gäbe es bildungspolitisch viele Hände voll zu tun. Stattdessen feiert sich die CDU lieber selbst für Maßnahmen, die weder den Lehrkräftemangel beheben noch für mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen. Ich darf einmal aus dem Antrag zitieren:

Deshalb muss sich eine erfolgreiche und gerechte Bildungspolitik auch an jedes Kind richten. Hierfür braucht es individuelle Förderung und eine hohe Unterrichtsqualität. Die hessischen Schulen bieten hierfür bereits gute Voraussetzungen, ...

Wen wollen Sie damit eigentlich zum Narren halten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU? Alle, die in letzter Zeit einmal eine Schule von innen gesehen haben, ob als Lehrkraft, als Schülerin oder Schüler, ob als Eltern oder Sozialarbeiter, können Ihnen genau das Gegenteil belegen. Solche Augenwischerei brauchen wir hier im Landtag nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Hessische Schulen haben aktuell oft nicht die besten Voraussetzungen für hohe Unterrichtsqualität, und das liegt nicht am Engagement der Lehrkräfte. Diese arbeiten gerade oft über ihre eigene Belastungsgrenze hinaus, um das System irgendwie am Laufen zu halten. Dramatische Krankenstände, Unterrichtsausfall, nicht qualifizierte Quereinsteiger, immer komplexere Anforderungen bei den Kindern und Jugendlichen – wir laufen geradeaus in eine Bildungskrise hinein, und Sie machen das Äffchen: nichts hören, nichts sehen und nicht darüber reden.

Dafür gibt es aber zum Glück uns in der Opposition, damit Sie sich trotzdem mit den Problemen an den Schulen auseinandersetzen müssen. Vielleicht sollten Sie für Ihren Realitätscheck mal wieder eine Schule von innen besuchen oder einfach Ihr Postfach öffnen. Dort dürften sich mittlerweile wieder die Überlastungsanzeigen stapeln, die Personalräte aufgrund der enormen Belastungen aktuell sammeln.

Wie reagiert eigentlich der Kultusminister, Herr Lorz, wenn ihn eine Überlastungsanzeige erreicht? Gehen Sie wirklich jeder Überlastungsanzeige als Dienstherr nach? Eine Überlastungsanzeige ist kein politisches Instrument, sondern eine Pflicht der Beamtinnen und Beamten, wenn sie ihrer Dienstpflicht nicht mehr angemessen nachkommen können. Ich glaube, Sie könnten darauf auch einmal reagieren. Leider nehmen Sie seit Jahren die Belastungen der Lehrkräfte nicht ernst. Das führt dazu, dass die Qualität des Unterrichts sinkt. Immer mehr Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit. Diese Arbeit macht krank.

Ich war in der vergangenen Woche in einer Grundschule in Frankfurt, die ich besucht habe. Wissen Sie, was? Der aktuelle Krankenstand an dieser Grundschule betrug 45 %. 45 % der Lehrerinnen und Lehrer an dieser Schule sind aktuell krank.

Solche Befunde hat Ihnen auch die Arbeitszeit- und Belastungsstudie aus dem Jahr 2020 an Frankfurter Schulen dargelegt. In Hessen arbeiten Lehrkräfte im Schnitt mehr als in allen anderen Bundesländern, der EU und der OECD. 37 % der Lehrerinnen und Lehrer arbeiten 48 Stunden und länger. Das ist kein Grund zum Feiern.

89 % der Lehrkräfte sind durch Zeitdruck hoch belastet und müssen Abstriche bei der Qualität des Unterrichts machen. Das geht dann zulasten der Schülerinnen und Schüler. Immer weniger Kinder können richtig lesen. Wenn die CDU jetzt den Kultusminister für die Deutsch-Fördermaßnahmen in der Grundschule lobt, dann beweist das nur, in welchem Paralleluniversum Sie leben, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Auch Ihr Aufholprogramm „Löwenstark“ war in der Breite wohl eher ein zahnloser Tiger. Bei einer repräsentativen Umfrage der Landesschülervertretung im vergangenen Jahr, an der 10.000 Schülerinnen und Schüler teilgenommen haben, wurde klar, dass über 60 % von „Löwenstark“ noch nie etwas gehört haben. Nicht einmal 5 % haben an einem Angebot teilgenommen. Ein Erfolgsmodell war das sicherlich nicht, auch wenn einige Schulen bestimmt nette Projekte damit umgesetzt haben. In der Fläche hat es aber die Probleme, die durch den Distanzunterricht entstanden sind, überhaupt nicht kompensiert.

Ähnlich mau sieht es beim Thema Inklusion in Hessen aus. Da feiern Sie sich für zusätzliche Stellen. Ich möchte Sie bitten, einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass nach den Zahlen des Kultusministeriums ungefähr 11.000 Schüler in der inklusiven Beschulung an allgemeinbildenden Schulen über 20.000 Kindern gegenüberstehen, die eine Förderschule besuchen, dies 15 Jahre nach der Schaffung der UN-Behindertenrechtskonvention. Das ist doch ein politisches Armutszeugnis, dass Inklusion in Hessen eigentlich ein Sparprogramm ist. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall DIE LINKE)

Fragen Sie doch einmal an den Schulen nach. Es fehlt angesichts voller Klassenräume an Platz, um stärkere und schwächere Schüler räumlich getrennt mit Aufgaben zu beschäftigen. Für die Schüler mit Förderbedarf fehlen Förderkräfte; weniger als zwei Stunden stehen pro Woche und pro Kind zur Verfügung. Das geht alles völlig am Bedarf vorbei.

Ähnlich sieht es bei den Intensivklassen aus, für die Sie sich wieder loben. Da haben Sie nach dem Zuzug ukrainischer Geflüchteter einfach den Klassenteiler erhöht und auch noch die Begutachtung durch das Schulamt auf die Lehrkräfte der Intensivklassen abgeschoben. Das ist kein Grund, sich selbst zu feiern, meine Damen und Herren.

Ein absolutes Highlight in diesem Antrag war der Absatz zu den Schulpsychologen. Herr Dr. Falk, dass Sie nicht vor Scham im Erdboden versinken: In Hessen ist ein Schulpsychologe für 6.300 Schülerinnen und Schüler zuständig. International empfohlen wird ein Schlüssel von 1 : 2.000. In den Siebzigerjahren hat sich die KMK auf einen Schlüssel von 1 : 5.000 verständigt. 50 Jahre später haben Sie das in Hessen immer noch nicht erreicht, und jetzt feiern Sie sich wirklich dafür, dass Sie nach Corona 15 zusätzliche Schulpsychologen befristet beschäftigen. Dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein. Ich finde das einfach nur zynisch.

(Beifall DIE LINKE)

Besonders zynisch ist auch Ihr Verständnis von individueller Förderung. Um jedes Kind bestmöglich zu fördern, müssen endlich Bildungsbarrieren abgebaut werden. In Hessen hängt der Bildungserfolg aber immer noch maßgeblich vom Geldbeutel der Eltern ab. Sie reden hier von Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Schulformen. Kindern wird nach der 4. Klasse, wenn sie also zehn Jahre alt sind, eine Empfehlung ausgestellt, auf welche Schulform sie aus der Sicht der Lehrkraft gehören. Die hessische Landesgruppe des Grundschulverbandes hat schon vor Jahren klargestellt, dass es Lehrkräften überhaupt nicht möglich ist, für Kinder in diesem Alter gewissenhaft eine solche Prognose zu stellen.

Nein, hier geht es nicht um Wahlfreiheit, sondern es geht um das Aussieben und das Aussortieren von Schülerinnen und Schülern, die es aus verschiedenen Gründen an den Grundschulen schwer hatten. Das hat auch nichts mit Bildungsgerechtigkeit zu tun. Es ist genau das Gegenteil der Fall: Viele Kinder werden im Alter von zehn Jahren auf ihren gesellschaftlichen Platz verwiesen, statt ihnen die gleichen Bildungsschancen zu garantieren wie Kindern mit besseren Startvoraussetzungen. Damit werden wir LINKE uns niemals abfinden.

(Beifall DIE LINKE)

Trotzdem bleibt Schwarz-Grün bei einem Bildungssystem aus dem Kaiserreich, statt endlich Schritte hin zu einem längeren gemeinsamen Lernen zu gehen. Andere Länder machen es vor, wie das mit einer ganztägigen Schule für alle geht, beispielsweise Finnland.

Die Ungerechtigkeiten verstärken Sie stattdessen noch, indem Sie z. B. die Lernmittelfreiheit untergraben. Für uns LINKE ist vollkommen klar, dass diese Freiheit auch im digitalen Zeitalter gelten muss. Schwarz-Grün stuft Schülertablets aber nicht als Lernmittel ein. Das heißt, die Eltern müssen die Tablets kaufen, wenn im Unterricht digital gearbeitet wird. Das ist schlichtweg ungerecht, und damit finden wir uns nicht ab. Tablets sind Lernmittel; sie werden für den Unterricht gebraucht, und deshalb muss das Land dafür aufkommen.

(Beifall DIE LINKE)

Statt Bildungsungerechtigkeit zu bekämpfen, verstärken Sie sie noch – ähnlich wie beim Lehrkräftemangel, der durch zusätzliche Belastungen der Kolleginnen und Kollegen weiter steigen wird. Besonders tolle Ideen zur Lösung des Lehrkräftemangels kommen von der Hessischen Landesregierung jedenfalls nicht. Aber besonders negativ hat sich diesbezüglich die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK vor zwei Wochen hervorgetan. Wie kann es sein, dass ein fachlich-wissenschaftliches Gremium so beknackte – es tut mir leid, Frau Präsidentin – Vorschläge macht, die genau das Gegenteil dessen bewirken, wofür sie eigentlich gedacht sind? Die Kommission schlägt so tolle Sachen vor wie eine Begrenzung der Teilzeitarbeit, eine höhere Pflichtstundenzahl, den Einsatz von Lehrkräften, die sich im Ruhestand befinden, sowie größere Klassen und mehr Hybridunterricht. Wo leben die Damen und Herren der Kommission denn? So ein hanebüchener Unfug gefährdet den Frieden an unseren Schulen immer mehr. Dem stellen wir uns entgegen.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Kultusminister Lorz, distanzieren Sie sich von diesem Schwachsinn, tun Sie endlich etwas, um die Bildungskrise abzuwenden.

(Beifall DIE LINKE – Holger Bellino (CDU): „Schwachsinn“ ist unparlamentarisch!)