Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Elisabeth Kula - Schwarzgrün hat die Chance verpasst, Bildungsungerechtigkeit abzubauen

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In seiner 122. Plenarsitzung am 07. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag zu den Haushaltsjahren 2023 und 2024. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Gäste!

Der Haushalt und die damit verbundenen Beratungen sind für die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen immer eine gute Gelegenheit, mit gut klingenden Zahlen um sich zu werfen. Wir haben das auch schon bei Herrn Dr. Falk und Herrn May gehört. Gerade jetzt, kurz vor Weihnachten, im Advent, am Jahresende verteilt man gern wohlklingende Geschenke. Wer aber hofft, dass Schwarz-Grün in Hessen den Schülerinnen und Schülern, den Eltern oder Lehrkräften ein großes Geschenk unter den Weihnachtsbaum legt, den muss ich leider herb enttäuschen.

Der Landeshaushalt ist eben nicht mehr und nicht weniger als in Zahlen geronnene Politik; und diese ist, z. B. angesichts des mickrigen Schulgesetzentwurfs, in diesem Jahr besonders unzureichend gewesen. Sowohl die Novellierung des Schulgesetzes als auch die Haushaltsaufstellung wären die Chance gewesen, Schule und Bildung in Hessen endlich zu modernisieren, Bildungsungerechtigkeit abzubauen und die schon lange notwendigen und nach dem Distanzunterricht und den Schulschließungen während Corona umso notwendigeren Maßnahmen zu ergreifen. Aber sowohl das am gestrigen Abend in dritter Lesung verabschiedete Schulgesetz als auch dieser Haushaltsentwurf sind einfach ein „Weiter so“ der chaotischen Schulpolitik in Hessen. Einer Bildungskrise kann man so sicherlich nicht begegnen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Insgesamt gilt wie immer bei Haushalten: Es ist mehr Schein als Sein, z. B. die beeindruckende Anzahl an neu geschaffenen Lehrerstellen, die jetzt angepriesen und vor sich hergetragen werden; denn 4.000 neue Stellen soll es für Hessens Schulen geben, davon 230 Stellen für den Ganztag, 40 Stellen für den Ethikunterricht, und dann gibt es noch 1.028 Stellen für die Gewährleistung der erforderlichen Unterrichtsversorgung. Das klingt alles ganz toll, nur leider ist das Augenwischerei. Es braucht zwar neue Stellen, aber das grundlegende Problem liegt viel tiefer. Sie müssen uns jetzt endlich einmal erklären, mit wem Sie diese Stellen eigentlich besetzen wollen. Stellen unterrichten keine Kinder.

(Beifall DIE LINKE und Christoph Degen (SPD))

Sie müssen sich dies immer wieder anhören, weil es stimmt. Lehrerinnen und Lehrer unterrichten Kinder, und davon haben wir schon jetzt nicht genug.

Ich finde es wirklich dreist, wenn sich der Ministerpräsident gestern in der Generaldebatte hinstellt und behauptet, es werde in Hessen alles dafür getan, den Lehrkräftemangel zu beheben. Das ist schlicht und ergreifend nicht die Wahrheit. Was meinen Sie denn damit? Das würde mich interessieren. Vielleicht meint der Ministerpräsident die kleinen Imagefilme, die das Land 78.000 € gekostet haben, die aber von allen, die jemals eine Schule von innen gesehen haben, und das sind eigentlich alle, als vollkommen absurd bewertet werden müssen. Oder meint der Ministerpräsident die tollen Arbeitsbedingungen an Hessens Schulen, allen voran an den Grundschulen, wo Lehrkräfte in Hessen mehr und länger arbeiten müssen als in allen anderen Bundesländern, dafür aber auch noch schlechter bezahlt werden als bald in 70 % der anderen Bundesländer? Vielleicht meint der Ministerpräsident auch eher die tollen baulichen Voraussetzungen an Hessens Schulen, die mit ihrem unwiderstehlichen Used Look junge Menschen davon überzeugen, jeden Tag ihres Erwerbslebens dort zu verbringen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich glaube, Sie wissen die Antworten auf diese rhetorischen Fragen ganz genau. Es ist doch wirklich purer Zynismus, etwas zu behaupten, wenn genau das Gegenteil der Fall ist. Hessen macht viel zu wenig gegen den Lehrkräftemangel, gerade in den Mangelbereichen. Wir müssen im Grundschulbereich an die Besoldung ran sowie an die Arbeitsbedingungen. Wir fordern die Erhöhung auf A 13 für Grundschullehrerinnen und -lehrer sowie eine Reduzierung der Pflichtstunden um mindestens eine halbe Stunde. (Beifall DIE LINKE)

Aber in Hessen weigert sich der Kultusminister nach wie vor, die Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen nach A 13 zu bezahlen, obwohl sich jetzt Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen auf den Weg zu A 13 für alle gemacht haben. Der Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün hat ein gemeinsames Vorgehen mit den Nachbarbundesländern versprochen, also auch an dieser Stelle gilt: Das Versprechen ist bisher gebrochen worden.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist völlig absurd, wenn wir wissen, dass ab 2026 der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsgrundschulplatz sukzessive umgesetzt werden muss. Es sind nicht nur Lehrkräfte Mangelware, auch Erzieherinnen und Erzieher fehlen für den Ganztag und für multiprofessionelle Teams an den Schulen.

Im Landesjugendhilfeausschuss hat Frau Dr. BöwingSchmalenbrock von der TU Dortmund Zahlen vorgestellt, die belegen, wie viele Fachkräfte bis 2029, wenn der Ganztag umgesetzt sein soll, in Hessen fehlen. Das war eher ein ziemlich mieses Zeugnis für Schwarz-Grün. Wir brauchen nämlich mindestens 62.000 zusätzliche Ganztagsplätze. Bei einem Betreuungsschlüssel von 1 : 10 sind dies mindestens 5.000 zusätzliche Fachkräfte; und das ist noch sehr konservativ gerechnet. Die Wissenschaftlerin hat uns auch ins Stammbuch geschrieben, dass der Ausbaubedarf an Ganztagsplätzen in Hessen höher ist als im Bundesdurchschnitt.

Trotzdem behauptete der Ministerpräsident gestern genau das Gegenteil, indem er behauptet hat, dass wir beim Ganztagsausbau ganz vorne seien. Ich finde dies unredlich und dreist. Wir sollten schon bei der Wahrheit bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE und Christoph Degen (SPD))

Es sind nicht nur die fehlenden und unterbezahlten Lehrkräfte; es liegt einiges im Argen, beispielsweise die völlig willkürliche Kilometergrenze bei der Finanzierung des Schülertickets.

(Beifall SPD)

Schon 2016 wurde dazu eine Petition mit über 14.000 Unterschriften in den Landtag eingebracht; passiert ist bisher nichts. Grundschulkinder, die weniger als 2 km bzw. 3 km von der Schule entfernt wohnen, müssen die Fahrtkosten selbst bezahlen. Für Kinder und Jugendliche weiterführender Schulen liegt die Grenze bei 3 km. Oberstufenschülerinnen und -schüler müssen das Ticket ebenfalls selbst bezahlen. Lehrerinnen und Lehrer jedoch haben das Landesticket und kommen umsonst zur Schule. Das führt schon zu absurden Umsetzungen. Wer beispielsweise in einer Straße mit der Hausnummer 34 wohnt, muss 365 € im Jahr bezahlen, um den Bus nehmen zu können, da er nur 1,98 km von der Schule entfernt wohnt, während die Mitschülerin in der Hausnummer 36  2 km von der Schule entfernt wohnt und das Ticket komplett erstattet bekommt. Da wundern wir uns und beschweren uns über die Elterntaxis vor den Schulen. Diese willkürliche Kilometergrenze muss weg.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Daher haben wir neben einem Haushaltsantrag einen Änderungsantrag zum Schulgesetz eingebracht, um den Kommunen das Geld zu erstatten.

Ebenso wenig Engagement zeigt die Landesregierung für eine vernünftige Digitalisierungsstrategie. Einerseits wird sich für die Lehr- und Lernmittelfreiheit auf die Schulter geklopft, und andererseits weigert sich der Kultusminister, allen Schülerinnen und Schülern digitale Geräte kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Hier soll das Prinzip „Bring your own device“ gelten. Meine Damen und Herren, das ist aber sozial ungerecht. Das kann nicht sein. Viele Schulen arbeiten längst digital, da werden Stundenpläne und Vertretungspläne digital zur Verfügung gestellt, Hausaufgaben digital verteilt, usw.

Dafür brauchen die Schülerinnen und Schüler nun einmal ein eigenes Tablet. Das aber können sich längst nicht alle leisten, zumal die Geräte gewartet und mit entsprechender Software ausgestattet werden müssen. Da kann ein vier Jahre altes Gerät oftmals schon gar nicht mehr mithalten. Deshalb fordern wir für alle Schülerinnen und Schüler gleichwertige Geräte, die von der Landesregierung finanziert werden müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Digitalisierung ist mittlerweile ein fester Bestandteil in fast allen Bereichen des Lebens. Deswegen ist es auch eine fächerübergreifende Aufgabe. Das bedeutet aber auch, dass Lehrkräfte weitergebildet werden müssen. Dafür müssen wesentlich mehr Mittel im Haushalt eingesetzt werden.

Ich kann es mir an dieser Stelle auch nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass es immer noch keinen pädagogischen Rahmen des Landes für die Digitalisierung gibt. Dieser Rahmen lässt sich zwar nicht im Haushalt abbilden, aber er ist unerlässlich. Es ist noch nicht einmal geklärt, ab welcher Klasse was und wie sinnvoll digital unterrichtet werden kann. Hier duckt sich das Kultusministerium wieder einmal weg. Herr Lorz führt eben das Ministerium wie ein Jurist und nicht wie ein Pädagoge, meine Damen und Herren.

Auch sonst bleiben wichtige Investitionen aus. Noch immer weigert sich die Landesregierung, eine Bedarfsanalyse für den Sanierungsstau an den Schulen zu erstellen. Das ist absurd, da mit den kommunalen Investitionsprogrammen in den vergangenen Jahren auch Landesgelder in bauliche Maßnahmen der Schulen geflossen sind. Schwarz-Grün will aber scheinbar überhaupt nicht wissen, ob diese ausreichen oder ob noch etwas benötigt wird.

Die GEW hat sich die Mühe gemacht und es ausgerechnet: Ungefähr 5 Milliarden € beträgt der Sanierungsstau an hessischen Schulen. Als LINKE haben wir dazu einen Gesetzentwurf für ein weiteres Investitionsprogramm für Hessens Schulen auf den Weg gebracht, für das Sie uns sogar die Anhörung verweigert haben. Wahrscheinlich wissen Sie genau, dass Sie dabei nicht gut wegkommen würden, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Daneben braucht es dringend einen Qualitätsrahmen für Schulbauten – gerade wenn wir jetzt mit dem Ganztag neue Aufgaben für die räumliche Gestaltung an Schulen bekommen. Wir brauchen Mensen und Aufenthaltsräume. Ich darf einmal daran erinnern: In Wiesbaden wird ein Teil der Friedrich-List-Schule neu gebaut. Aber in den neu gebauten Klassenräumen gibt es kein Waschbecken und keinen Wasseranschluss mehr. So etwas ist gerade jetzt, nach der Erfahrung mit Corona, kaum vorstellbar. Deswegen muss es auch da Qualitätsrichtlinien geben.

Alles in allem ist dieser Haushaltsplan wieder eine nicht genutzte Chance, etwas für unsere Schulen zu bewegen. Diesen Anspruch hat sich Schwarz-Grün sowieso nie zu eigen gemacht.

(Beifall DIE LINKE)