Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Es gibt weitere gefährdete Berufsgruppen im öffentlichen Dienst"

Hermann Schaus

Zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend bessererem Schutz von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten durch eine Umgestaltung des Strafgesetzbuches:

 

Herr Präsident,

meine sehr geehrten Damen und Herren!

"Schwarz-Grün fordert Knast". Das war die Überschrift eines "taz"-Artikels im Jahre 2015 zu diesem sogenannten Schutzparagrafen. Wir sollten uns in der Tat einig sein, dass es natürlich – da muss man auch zustimmen – darum geht, Einsatz- und Rettungskräfte so weit wie möglich vor gewalttätigen Übergriffen zu schützen. Gewalt, außer zur Selbstverteidigung, oder um Gewalt gegen andere zu verhindern, geht unserer Ansicht nach grundsätzlich nicht, schon gar nicht gegen diejenigen, die anderen helfen wollen.

Gewalt gibt es aber leider in unserer Gesellschaft nicht nur gegen Polizistinnen und Polizisten, Einsatz- und Rettungskräfte. Es gibt darüber hinaus im öffentlichen Dienst weitere gefährdete Berufsgruppen. So verdienen auch Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter die gleiche Unterstützung. Auch diese werden zuweilen bedroht oder körperlich angegangen, kriegen Härten hautnah ab.

(Beifall der Abg. Gabriele Faulhaber (DIE LINKE))

"Warum aber bekommen die jetzt keinen eigenen Paragrafen?", frage ich, aber darauf komme ich später noch zurück.

Mit unserer Kritik an der Gesetzesverschärfung des neu geschaffenen § 114 des Strafgesetzbuchs stehen wir auch nicht allein. So lehnt beispielsweise der Deutsche Anwaltverein in einer rechtlichen Würdigung die Strafrechtsverschärfung ebenso eindeutig ab wie der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein. Ablehnungen finden wir zudem bei der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten, der Humanistischen Union, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Bundestagsfraktion der GRÜNEN, ebenso bei der Bundestagsfraktion der LINKEN. Bis vor wenigen Monaten war übrigens auch die Bundes-SPD gegen diese Gesetzesverschärfung. Interessant für mich war dabei, dass auch die Rednerin der GRÜNEN, nämlich Frau Michalic, selbst Polizistin, gegen diese Gesetzesverschärfung im Deutschen Bundestag ist.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Mihalic!)

– Frau "Mihalic", gut. Danke schön.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte schön!)

Herr Kollege Frömmrich, sicherlich weiß sie genau oder zumindest ziemlich genau, warum sie im Bundestag dagegen gesprochen hat. Übrigens hat dies auch der Redner der LINKEN im Bundestag, Frank Tempel, unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender, getan. Er ist ebenfalls Polizist von Beruf. Sicher haben auch ihn seine beruflichen Erfahrungen veranlasst, die Gesetzesverschärfung abzulehnen.

Beide haben hierzu interessante Reden gehalten, auch mit Blick auf die Praxis. Diese kommen zu anderen Ergebnissen als die CDU und die GRÜNEN in Hessen. Vielleicht geht es im Bundestag und im Landtag am Ende auch gar nicht um eine Lösung, sondern einmal mehr, zumal es sich ja um eine bundesweite Gesetzesänderung handelt, um CDU-Symbolpolitik. Das fände ich in dieser Frage völlig unangemessen.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum aber lehnen Anwaltsvereine, Grundrechtsorganisationen, zahlreiche politische Kommentatoren wie GRÜNE und LINKE die Gesetzesverschärfung im Bundestag ab?

Erstens, weil das Gesetz seinen angeblichen Sinn verfehlt und nicht bewirkt, was die Union so lauthals verspricht. Es werden immer Beispiele von Angriffen und Beleidigungen gebracht, aber das sind bereits Straftaten. Tätliche Beleidigungen und tätliche Angriffe sind immer strafbar. Statistisch gesehen ist das, worüber wir hier reden, im Übrigen zu 75 % Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Wenn man die Täter kriegt, dann werden sie nach geltendem Recht schon bestraft, und zwar nicht zu knapp. Man muss zudem wissen, dass 80 % dieser Taten unter Alkoholeinfluss verübt werden.

(Manfred Pentz (CDU): Das macht es nicht besser!)

– Das macht es nicht besser, aber stark alkoholisierte Menschen überlegen eben nicht, Herr Pentz. Sie haben das Strafgesetzbuch nicht im Kopf und wissen nicht, was in welchem Paragrafen gerade so drinsteht.

(Janine Wissler (DIE LINKE): So ist es!)

Taten unter Alkoholeinfluss finden unüberlegt, spontan und aggressiv statt. Da nützt Ihnen Ihre Gesetzesverschärfung null.

(Michael Boddenberg (CDU): Waren die alle alkoholisiert?)

Wir würden deshalb weit mehr erreichen, wenn wir den massiven Missbrauch von Alkohol konsequenter bekämpfen würden, statt mit dieser Strafrechtsverschärfung nur damit zu drohen. Aber dieses Thema ist weitgehend ein gesellschaftliches Tabu.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Thema verfehlt!)

Mein Zwischenergebnis lautet deshalb: Die Gesetze müssen angewandt werden. Eine Strafverschärfung brauchen wir dazu nicht. Die hilft uns bei der Verhinderung von Übergriffen, wie schon dargestellt, übrigens gar nichts. Der Begriff "Schutzparagraf" wird im Übrigen, wenn ich das medial verfolge, fast ausschließlich in Hessen verwandt; denn selbst in der bundesweiten Debatte, also immer dann, wenn es um Darstellungen im Internet geht – Sie können das einmal googlen und "Schutzparagraf" eingeben, dann werden Sie fast immer auf hessische Artikel und hessische Stellungnahmen stoßen –, wird dieser Begriff so überhaupt nicht verwendet, selbst in den eigenen Reihen der CDU nicht. Aber die Wirkung ist voll daneben, weil dieser sogenannte Schutzparagraf die Betroffenen aufgrund der Sachlage, des Verhaltens und der Grundlage, auf der diese Übergriffe passieren, nicht schützt.

Zweitens. Es gibt zu dem ein ernst zu nehmendes rechtsstaatliches Problem. Wir haben Bedenken gegen diese Gesetzesänderung. Hier spielt die Rechtsfrage der Gleichbehandlung vor dem Gesetz eine entscheidende Rolle.

Damit komme ich zurück zu dem, was ich am Anfang gesagt habe. Nehmen wir von mir aus einen Sozialarbeiter oder auch eine Lehrerin, alles ehrbare Berufe, die zeitweise Zorn bis hin zur Gewalt abbekommen können. Warum soll jetzt eine Drohung oder ein Angriff auf eine Lehrerin weniger sanktioniert werden als eine Drohung oder ein Angriff auf eine Polizistin?

(Nancy Faeser (SPD): Weil sie weggehen können!)

Auch eine Lehrerin repräsentiert den Staat, um in der Logik der CDU zu bleiben, oder etwa nicht, Herr Bauer? – Ist die angegriffene Lehrerin nun weniger schützenswert, oder will die CDU jetzt für alle gefährdeten und helfenden Berufsgruppen eigenständige Strafrechtsparagrafen einführen?

Für die Justizbeamten so und für die Finanzbeamten dann wieder anders – das wäre eigentlich die logische Konsequenz daraus.

Ich sage: Nein, das geht in einem Rechtsstaat nicht. Das ist nicht in Ordnung. – Es gibt Straftaten, also tatsächliche Bedrohungen und Angriffe, und dann gibt es Sanktionen für alle, unterschiedslos, ob für oder gegen einen Polizisten, oder für oder gegen eine Lehrerin. Alle Menschen sind laut Verfassung vor dem Gesetz gleich. Sie führen aber hier gesetzliche Unterschiede ein.

Vor einem halben Jahr haben wir uns noch in der Böhmermann-Affäre über den Straftatbestand der Beleidigung eines Staatsoberhauptes gewundert. Das will ich in Erinnerung rufen. Dass es so etwas überhaupt noch in Deutschland gibt, so wie in der Kaiserzeit, das hat doch alle sehr erstaunt. Alle waren sich damals darin einig, dass das schnell abgeschafft werden muss. Nun soll Ungleichbehandlung im Recht in anderer Form wieder eingeführt werden. Das geht nicht.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

– Der Vergleich ist sehr zutreffend an der Stelle, weil es um Gleich- oder um Ungleichbehandlung oder um Heraushebung geht. Das geht vor dem Gesetz nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Eigentlich geht es der CDU auch darum, ein gesellschaftliches Signal zu setzen, dass man sich nämlich hinter die Polizei und die Einsatzkräfte stellt.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Herr Pentz, ein gesellschaftliches Zeichen zu setzen, ist okay. Da sind wir auch an Ihrer Seite, das ist überhaupt nicht die Frage.

Die SPD im Bundestag und die GRÜNEN im Landtag machen es nach einigem Hin und Her nun auch mit, wissend, dass es eigentlich nichts bringt. Das finden wir sehr bedauerlich. Die Landesregierung könnte sogar wirkliche Anerkennung gesellschaftlicher Arbeit der Polizei und der Rettungskräfte zeigen, indem sie für eine bessere Ausstattung, für mehr Personal oder für eine gute Bezahlung sorgt. Das würde man auch in der Bevölkerung gut finden und auch als ein entsprechendes Signal verstehen. Das würde zudem keine Kollateralschäden hinterlassen. Dafür sind wir auch. Genau das machen Sie aber eben nicht. Deswegen bleibt diese Gesetzesverschärfung reine CDU-Symbolpolitik und geht an der Sache vorbei.

Vizepräsident Frank Lortz:

Herr Kollege Schaus, Sie müssen zum Ende kommen.

Hermann Schaus:

Die Straftaten sind als Straftaten normiert. Ihre besondere Verschärfung mit Blick auf einen Teil der Vertreter des Staats und der helfenden Dienste stimmt mit dem rechtlichen Gleichheitsgebot nicht überein. Deswegen werden wir den Punkten 1 und 2 des Koalitionsantrags zustimmen und die übrigen entscheidenden Punkte ablehnen.

(Beifall bei der LINKEN)