Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Gesetzesnovelle ist eine besondere Herzensangelegenheit"

Hermann Schaus

Zur ersten Lesung des Hessischen Bildungsurlaubsgesetzes:

 

Herr Präsident,

meine sehr verehrten Damen und Herren!

Für jemanden wie mich, der bereits in den Siebzigerjahren gewerkschaftliche Jugendbildungsarbeit mit organisiert und durchgeführt hat, ist diese Gesetzesnovelle eine besondere Herzensangelegenheit.

Mit der Vorlage des Gesetzentwurfs nimmt die Hessische Landesregierung wichtige Impulse aus dem Evaluationsprozess der vergangenen Jahre auf und verbessert die gesetzlichen Voraussetzungen, um die Zugänge zur Weiterbildung zu erleichtern. Dies begrüßen wir ausdrücklich.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Entwicklung des hessischen Bildungsurlaubsgesetzes, das zunächst ausschließlich den Bereich der politischen Bildung umfasste, dann später auf die berufliche Bildung erweitert wurde, soll nun in einem dritten Schritt die Fortbildung zur Wahrnehmung eines Ehrenamts von Auszubildenden umfassen. Diese Ausweitung im Gesetz begrüßen wir auch. Sie ist eine sinnvolle Erweiterung, sofern die Kernbereiche politische Bildung und berufliche Weiterbildung dadurch nicht zurückgedrängt werden. Ich zitiere Sie, Herr Minister Grüttner, aus dem jüngst vorgelegten Erfahrungsbericht der Landesregierung über die Durchführung des hessischen Bildungsurlaubsgesetzes von 2011 bis 2014, in dem Sie auf Seite 45 unter Resümee Folgendes schreiben:

Durch die explizite Verknüpfung der beruflichen und gesellschaftspolitischen Bildung im Bildungsurlaub bietet der Bildungsurlaub neben der Vermittlung von Fachwissen und sozialen Schlüsselkompetenzen eine gezielte gesellschaftspolitische Reflexion und somit die Kompetenz, die eigene Situation in dem sich verändernden gesellschaftspolitischen Kontext einzuordnen und zu reflektieren.

Diese Aussage unterstreiche ich ausdrücklich, Herr Minister.

Wenn es also bisher bei der Vermittlung von beruflichem Fachwissen auch wichtig war, auf die Situation der betroffenen Arbeitnehmer zu blicken und dazu einen Diskussionsraum im Bildungsurlaub anzubieten, dann muss dieser Anspruch zukünftig auch z. B. für Bildungsurlaube für ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe Tätige in der Form gelten, dass dort neben der fachspezifischen Fortbildung auch Diskussionsraum für die Ursachen von Flucht und Vertreibung eingeplant wird. Das ist selbstverständlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Da beziehe ich mich gerne auf Sie und Ihre Aussage, Herr Minister. Ich halte es deshalb für angezeigt, für Schulungen zur Wahrnehmung des Ehrenamtes einen erweiterten Politikbegriff unter Berücksichtigung des Lebens- und Arbeitsalltags der Menschen in diese Bildungsurlaube explizit mit aufzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir unterstützen deshalb den dazu gemachten Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft Arbeit und Leben, „die gesamtgesellschaftliche und politische Bedeutung der im Zentrum stehenden Aktivitäten und Aktionen des betreffenden Ehrenamtes“ in den Mittelpunkt zu stellen. Dies ergibt sich für mich zwangsläufig aus der Historie des hessischen Bildungsurlaubsgesetzes.

Nach dem neuen § 9 sollen Kleinbetrieben mit bis zu 20 Beschäftigten auf Antrag bis zu 50 % der Lohnkosten erstattet werden. Dies soll für Veranstaltungen sowohl der politischen Bildung als auch der beruflichen Weiterbildung gelten. Wir sehen in dieser Regelung durchaus eine Chance, Beschäftigten aus Kleinbetrieben, die das Bildungsurlaubsgesetz bisher kaum in Anspruch nehmen, die Teilnahme an der politischen Bildung zu erleichtern. Allerdings birgt die Erstattung des Arbeitsentgelts immer dann die Gefahr einer verdeckten Subventionierung, wenn es sich um Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung handelt, die im Interesse des Arbeitgebers liegen. Betriebe können in diesem Fall das Bildungsurlaubsgesetz für erwünschte berufliche Weiterbildungsmaßnahmen ihrer Beschäftigten, die sie allerdings selbst finanzieren müssten, nutzen, um sich darüber hinaus Teile des Arbeitsentgelts erstatten zu lassen. Wir schlagen daher vor, die anteilige Erstattung des Arbeitsentgelts lediglich auf Maßnahmen der politischen Bildung zu beschränken.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir regen zudem an, dass bildungsinteressierte Menschen, deren finanzielle Lage aufgrund ihrer sozialen Lebens- und Arbeitssituation eine Teilnahme an Bildungsurlauben üblicherweise nicht ermöglicht, ebenfalls einen Zuschuss zu den anfallenden Seminarkosten erhalten können. Das wäre dann ins Gesetz aufzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit § 12 Abs. 1 soll die Möglichkeit eröffnet werden, Bildungsveranstaltungen auf drei Tage zu verkürzen. Wir begrüßen diese Ausnahmeregelung. Die zeitliche Öffnung erleichtert es vor allem Frauen mit Kindern, die oft nicht eine ganze Woche lang abkömmlich sind, an einer Bildungsveranstaltung teilzunehmen. Allerdings darf dies nicht zu einer langfristigen Verkürzung des Gesamtanspruchs auf Bildungsurlaub werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Unklar bleibt zudem, wie mit dem Restanspruch von zwei Tagen verfahren werden soll. Dieser könnte zwar ins Folgejahr übertragen werden, aber selbst wenn man dann an zwei dreitägigen Bildungsurlaubsveranstaltungen teilnehmen würde, bliebe ein Resttag übrig.

Wir unterstützen auch die in § 12 Abs. 2 vorgesehene Erprobung innovativer Lehr- und Lernformen. Diese Regelung eröffnet die Möglichkeit, neue methodisch-didaktische Modelle zu erproben, die insbesondere Beschäftigten mit geringerer Bildungserfahrung den Zugang zur Weiterbildung erleichtern können.

Zu begrüßen ist abschließend auch die vorgesehene Verlängerung der Anerkennungsverfahren auf zwei Jahre. Hier wird der Arbeitsaufwand sowohl bei den Trägern als auch bei den Ministerien reduziert.

Warum dieses Gesetz nun allerdings erneut auf fünf Jahre befristet werden soll, ist und bleibt nicht nachvollziehbar. Wir plädieren hier für ein unbefristetes Gesetz.

All diese Punkte sollten meines Erachtens in einer mündlichen Anhörung – da stimme ich dem Kollegen Decker zu – im Ausschuss mit den Bildungsträgern eingehend erörtert werden. Die dort gewonnenen Erkenntnisse könnten das neue Gesetz dann noch praxistauglicher machen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)