Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Heide Scheuch-Paschkewitz zum Klimaschutzgesetz

Heidemarie Scheuch-PaschkewitzLandwirtschaft und TierschutzUmwelt- und Klimaschutz

In seiner 102. Plenarsitzung am 10. Mai 2022 diskutierte der Hessische Landtag zum Gesetzentwurf der SPD 'Schutz von Menschen und Natur vor dem Klimawandel und seinen Folgen'. Dazu die Rede unserer umweltpolitischen Sprecherin Heide Scheuch-Paschkewitz.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Gäste! Am 28. Februar dieses Jahres sagte der UN-Generalsekretär António Guterres zur Vorstellung des Sachstandsberichts des Internationalen Klimarats – ich zitiere –:

Der heutige IPCC-Bericht ist ein Atlas des menschlichen Leids und eine vernichtende Anklage gegen die verfehlte Klimapolitik. In diesem Bericht wird eine Tatsache nach der anderen aufgezeigt, wie die Menschen und der Planet durch den Klimawandel in Mitleidenschaft gezogen werden.

Fast die Hälfte der Menschheit lebt in der Gefahrenzone – jetzt.

Für viele Ökosysteme gibt es kein Zurück mehr – jetzt.

Die unkontrollierte Verschmutzung durch Kohlenstoff führt die Schwächsten der Welt auf einen Zwangsmarsch ins Verderben – jetzt.

Die Fakten sind unbestreitbar. …

(Beifall DIE LINKE)

Die größten Umweltverschmutzer der Welt machen sich der Brandstiftung an unserer einzigen Heimat schuldig.

Das Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, muss unbedingt erreicht werden.

Deutschland ist für rund 2 % der Treibhausgase in der Atmosphäre verantwortlich. Das ist für ein Land mit dieser Bevölkerung relativ viel, und wir gehören deshalb auch zu den Brandstiftern.

Deutschland steht aufgrund seiner langen Industrialisierung auf der Basis fossiler Energieträger sowie der kolonialen und imperialen Ausbeutungsverhältnisse historisch tief in der Schuld der Länder des globalen Südens. Das werden wir nicht wiedergutmachen können.

(Beifall DIE LINKE)

Das wenige, was wir tun können, ist, jetzt unser Handeln radikal nach den Erfordernissen des Klimaschutzes auszurichten. Die Fraktion der SPD hat hierzu den Entwurf eines Klimaschutzgesetzes vorgelegt. Wir würdigen die Änderungen, die die SPD an ihrem eigenen Entwurf vorgenommen hat. Sie haben dem Gesetzentwurf sehr gutgetan. Aber auch mit diesem Gesetz ließe sich der hessische Anteil zur Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles nicht erreichen.

Ich möchte da nicht lange drum herumreden: Der Klimaschutz wurde in den letzten zehn bis 20 Jahren nicht ernst genommen. Dies waren aber die entscheidenden Jahre. Maßnahmen, die 2010 noch zielführend gewesen wären, reichen jetzt schon lange nicht mehr aus. Die Klimakrise ist so weit fortgeschritten, dass nur noch eine sehr schnelle grundlegende Umstellung in allen Bereichen helfen könnte.

Am 4. Mai war der Erdüberlastungstag, d. h. der Zeitpunkt, an dem wir bereits alle Ressourcen, die uns eigentlich für 2022 zustehen, verbraucht haben. Unser Lebensstil ist nicht nachhaltig, und nur die Ersetzung von fossilen durch erneuerbare Energieträger bei der Produktion, der Mobilität und den Dienstleistungen wird nicht ausreichen. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns über die Grenzen des Wachstums hinaus darüber verständigen müssen, welche Produktion und welcher Verbrauch kleiner werden oder aufgegeben werden müssen.

Bei der Ernährung müssen wir von dem hohen Fleischkonsum, vor allem dem Fleischexport und der Herstellung tierischer Lebensmittel wie Milchprodukten, herunter. Bei der Mobilität lässt sich die individuelle Autonutzung nicht 1 : 1 von fossilen auf Elektrofahrzeuge übertragen. Kurzstreckenflüge innerhalb Deutschlands müssen auf die Bahn verlagert werden. Der weltweite Flugverkehr muss reduziert werden, die Riesenkreuzfahrtschiffe auf den Meeren eingeschränkt werden bzw. verschwinden.

Wenn Sie den Sachstandsbericht des IPCC ernst nehmen würden, Herr Al-Wazir, müssten Sie zugeben, dass die Wasserstoffstrategie für den Flugverkehr nicht die alleinige Lösung sein kann. Wir müssen jetzt den Flugverkehr reduzieren und schauen, wie wir den Rest klimaneutral hinbekommen. Sie, Herr Al-Wazir und die GRÜNEN in der Landesregierung, müssen endlich entscheiden, ob Sie weiterhin auf der Seite der Brandstifter stehen oder endlich Klimapolitik betreiben wollen.

Der Gesetzentwurf der SPD versucht, einige der angesprochenen Punkte zu regeln. Aber einen zentralen Punkt regelt er nicht: Wir müssen unser Wirtschaftssystem infrage stellen. Kapitalismus funktioniert nicht ohne ständiges Wachstum, ohne eine stetige Erweiterung von Märkten und ohne eine Vermarktung aller Lebensbereiche. Mit dieser Wirtschaftsform, sei sie auch noch so grün ausgerichtet, kann der Klimawandel nicht gestoppt werden. Wir müssen daher dringend einen Systemwandel einleiten, und diese Option ist leider im Gesetzentwurf nicht angelegt.

Der Entwurf der SPD hat aber einen großen Vorteil: Er liegt vor, er legt vor, und wir können daran arbeiten. Das gilt für das Klimaschutzgesetz der Landesregierung nicht. Erst nach mehrjährigem öffentlichem Druck und Druck durch die Opposition wurde von der Landesregierung ein Klimaschutzgesetz angekündigt. Bis vor einem Jahr wollte die Regierung überhaupt kein Gesetz. Über sieben Jahre mit grüner Regierungsbeteiligung bleibt das Klimaschutzgesetz immer nur ein Ankündigungsgesetz. In allen, aber wirklich allen klimarelevanten Bereichen sieht es nicht besser aus.

Die überfällige Verlagerung der Kurzstreckenflüge auf den Bahnverkehr findet nicht statt. Noch nicht einmal die Regierung selbst ist bereit, auf Kurzstreckenflüge zu verzichten. Der Ausbau der so wichtigen Windenergie dümpelt vor sich hin, und die Nutzung von Solarenergie bringt die Landesregierung noch nicht einmal auf ihren eigenen Dächern in Schwung. Die Quote der energetischen Sanierung bei Gebäuden ist um mindestens den Faktor 10 zu klein. Die Emissionen des Straßenverkehrs stagnieren auf hohem Niveau.

Keine Solardachpflicht für Neubauten – die GRÜNEN warten auf den Bund. Gasheizungen dürfen noch immer eingebaut werden – die GRÜNEN warten auf den Bund. Die hessische Landwirtschaft verfehlt die Klimaziele komplett – die GRÜNEN warten auf den Bund. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen – die GRÜNEN warten auf die FDP. Für die Klimaanpassung unserer Wasserversorgung muss eine Pflicht zur Nutzung von Niederschlagswasser eingeführt werden – die GRÜNEN warten. Ich weiß nicht, auf was oder wen sie warten, weil sie in Hessen an der Regierung sind. Nur merkt man es leider nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Zu all diesen Themen gibt es von der Landesregierung Konzepte, Leitbilder, Strategien, Ankündigungen, aber keine konkrete Umsetzung.

Meine Damen und Herren, Klimaschutz muss jetzt vor allem eines sein: Er muss schnell sein. Nur konsequenter Klimaschutz und frühzeitige Klimaanpassung können Risiken verringern.

Beides können wir in Hessen nicht erkennen. Der Integrierte Klimaschutzplan 2025 war nie auf das 1,5-GradZiel ausgelegt und hätte nach dem Pariser Abkommen 2015 sofort überarbeitet werden müssen. Die Regierung hat die Überarbeitung auf die lange Bank, d. h. auf das Ende ihrer zweiten Legislaturperiode, verschoben. Die Zeit für solche Verzögerungsspielchen ist aber schon lange abgelaufen.

Seit Anfang der 1990er-Jahre wird in den Parlamenten über Klimaschutz debattiert: Energiewende, Agrarwende, Verkehrswende. Was getan werden muss, liegt seit Jahrzehnten auf dem Tisch. Durchgesetzt hat sich aber nicht der Geist der Umweltkonferenz von Rio 1992, sondern der Neoliberalismus. Jetzt sind wir in der Klimakrise mit untergehenden Küsten, brennenden Wäldern, austrocknenden Ackerböden, absterbenden Korallen, schmelzenden Gletschern, auftauenden Permafrostböden, Artensterben und vielem Schlechten mehr. Aber anstatt ihre Klimapolitik schnell und radikal anzupassen, Autobahnen nicht mehr weiterzubauen, kriminalisiert die Landesregierung die Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten im Dannenröder Forst und jüngst wieder, Herr Innenminister Beuth, die Aktiven der Last Generation in Frankfurt.

Ich kann hier gar nicht zum Ausdruck bringen, wie ich das finde. Deshalb zitiere ich an dieser Stelle noch einmal UN-Generalsekretär Guterres vom 4. April dieses Jahres:

Menschen, die sich für den Klimaschutz einsetzen, werden manchmal als gefährliche Radikale dargestellt. Doch die wirklich gefährlichen Radikalen sind die Länder, die die Gewinnung fossiler Brennstoffe weiter ausbauen. Investitionen in neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe sind moralisch wie wirtschaftlich ein Unding.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Frau Abg. Scheuch-Paschkewitz, Ihre Rede müsste jetzt auch zu Ende sein.

Heidemarie Scheuch-Paschkewitz (DIE LINKE):

Ich komme gleich zum Ende. – Es war der grüne Wirtschaftsminister Al-Wazir, der im Jahr 2019 seine Zustimmung zum Ausbau der Flüssiggasterminals gegeben hat. – Letzte Sätze.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Letzter Satz, nicht Sätze.

Heidemarie Scheuch-Paschkewitz (DIE LINKE):

Ich freue mich sehr, dass die im Dannenröder Forst verhaftete Klimaaktivistin Ella nach über einem Jahr und vier Monaten endlich freigekommen ist. Ich rufe den Klimaschützerinnen und Klimaschützern zu: Gebt nicht auf. Wir brauchen einen Systemwandel und einen radikaldemokratischen, sozialen, ökologischen Umbau der ganzen Gesellschaft. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)