Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Heidemarie Scheuch-Paschkewitz - Agrarlobbyismus in Zeiten des Krieges

Heidemarie Scheuch-PaschkewitzLandwirtschaft und Tierschutz

In seiner 101. Plenarsitzung am 31. März 2022 diskutierte der Hessische Landtag auf Forderung der FDP über eine Ausweitung der industriellen Intensivlandwirtschaft. Dazu die Rede von Heidemarie Scheuch-Paschkewitz, umweltpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

(Zurufe Wiebke Knell (Freie Demokraten) und Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

– Wollt ihr beide rausgehen und das weiter diskutieren? – Danke schön.

Bereits vor dem schrecklichen Krieg in der Ukraine hat die landwirtschaftliche Produktion in Hessen nicht ausgereicht, um alle Menschen im Land zu ernähren. Und auch vor dem Ukrainekrieg lagen die Lösungen dazu auf der Hand, nämlich weniger Fleisch für den Export zu produzieren, kein Rapsöl in Autos zu verbrennen, unsere Landwirtschaft mit Dauerkulturen zu diversifizieren, mehr pflanzliche Nahrung zu essen und weniger Lebensmittel zu verschwenden.

(Lebhafter Beifall DIE LINKE – Vereinzelter Beifall

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein nicht unerheblicher Teil der Umweltprobleme, die wir haben, wird durch die intensive Landwirtschaft gefördert: Artensterben, Nitrat im Grundwasser, Bodenzerstörung, CO2-Freisetzung, Agrochemikalien in fast allen Ökosystemen – und auch in unseren Körpern.

Aber was fordern die Profis der FDP? Sie fordern mehr von dem, was auch schon vor diesem unsäglichen Krieg schlecht war. Die FDP nimmt den Krieg in der Ukraine als Begründung, um Entwicklungen zu verhindern, die ihr noch nie gepasst haben, wie meine Vorredner schon gesagt haben. Die FDP ist Teil des Rollbacks mit einer Militarisierung,

(Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten): Militarisierung? – Wiebke Knell (Freie Demokraten): Was? – Weitere Zurufe)

längeren Laufzeiten für Kohlekraftwerke und der Renaissance der Atomkraft. Und schlimmer noch: Unter einem humanitären Deckmäntelchen betreiben Sie Ihre Klientelpolitik und wollen die umweltzerstörende Intensivlandwirtschaft noch mehr ausweiten.

(Zuruf Freie Demokraten: Ja, ja!)

Meine Damen und Herren, 1 : 1 finden sich die Forderungen der FDP bei den Lobbyisten der Agrarindustrie wieder. Das finde ich durchschaubar und schäbig. Ich kann nur appellieren, dass Sie mit diesem brandgefährlichen populistischen Unfug endlich aufhören.

Auf rund 60 % der Landwirtschaftsflächen in Deutschland wird Tierfutter angebaut. Diese Flächen reichen noch nicht einmal aus, um das viele Fleisch für den Export zu produzieren. Das wiederum ruiniert hier das Grundwasser, in Lateinamerika den Urwald und in den Importländern die heimischen Märkte. Allein wenn wir den Fleischexport halbieren würden, hätten wir mehr Flächen für Getreideanbau zur Verfügung als mit den Vorschlägen der FDP.

Auf 460.000 ha werden Energiepflanzen angebaut, die mit E 5 und E 10 in den Tanks der Verbrenner landen. Das muss aufhören. Wir haben nicht zu wenig Ackerboden. Wir nutzen die Flächen nur falsch.

(Beifall DIE LINKE)

Keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen, dafür aber den Treibstoff subventionieren; die Windkraft bekämpfen, dafür aber die Laufzeit für die Kohle verlängern; die Tiermast nicht einschränken, dafür aber die Intensivlandwirtschaft auf die Naturschutzflächen ausweiten – das ist wirklich grober Unfug und stabilisiert nur die Profite weniger.

(Beifall DIE LINKE)

So bedauerlich das ist, aber während und auch nach dem

Krieg gegen die Ukraine und während der ganzen anderen kriegerischen Auseinandersetzungen auf diesem Planeten hört die ökologische Krise nicht auf. Im Gegenteil, der Krieg verschärft die Krisen. Kriege sind der größte Klimakiller überhaupt.

Die ökonomischen, ökologischen und humanitären Krisen häufen sich, meine Damen und Herren. Wir kommen aus dem Krisenmodus überhaupt nicht heraus. Das wird sich auch nicht ändern, wenn wir nicht die Art unseres Wirtschaftens und den Umgang mit unseren natürlichen Lebengrundlagen radikal verändern. Wir brauchen die sozialökologische Transformation und keinen Rollback in das letzte Jahrhundert.

(Beifall DIE LINKE)

Im August 2019 hat der Weltklimarat seinen Bericht über Klimawandel und Landsysteme vorgestellt. Ich weiß nicht, ob den Profis von der FDP bewusst ist, dass sie mit ihrem Antrag all das, was in diesem Bericht steht, als irrelevant zur Seite schieben. Der Bericht kommt ganz klar zu dem Schluss, dass die konventionelle Intensivlandwirtschaft die Ökosystemleistungen wie sauberes Wasser und CO2-Speichervermögen, auf die wir alle angewiesen sind, schädigt. Mit mehr Dünger, mehr Pestiziden und mehr Intensivierung, wie die FDP das will, fahren wir die Ökosysteme vor die Wand.

Wir müssen endlich die Klimakrise als eine weltweite und existenzielle Krise wahrnehmen. Wir müssen politisch so handeln, dass die ökologischen Leistungen, die wir aus Wäldern, Böden, Gewässern und Atmosphäre tagtäglich in Anspruch nehmen, auch noch für die Generationen nach uns zur Verfügung stehen. Die FDP ist aber offensichtlich eher an den Profiten von BASF & Co. als an dem Erhalt unserer Lebensgrundlagen interessiert.

Meine Damen und Herren, die Welt wird dann besser, wenn wir aufhören, Bomben, Hühnerklein und Schweinehälften für den Export herzustellen. Sie wird auch besser, wenn wir Kurzstreckenflüge einstellen, Tempolimits aufstellen und mehr ÖPNV als SUVs benutzen.

(Beifall DIE LINKE und Frank Diefenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie wird dann besser, wenn wir nicht mehr korrupte und totalitäre Regime wie jetzt auch in Katar durch unseren Ölund Gaskonsum unterstützen müssen. Frieden, Sicherheit und Klimagerechtigkeit gehen Hand in Hand, und dazu gehört auch die Agrarwende.

Ein Satz noch zur globalen Ernährungssicherheit, z. B. in Nord- und Ostafrika: Diese wird sich dann verbessern, wenn der globale Norden endlich aufhört, andere Länder abhängig von Nahrungsmittelexporten zu machen, und wenn wir die Welthandelsbeziehungen gerechter gestalten und den Klimawandel endlich stoppen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber eine Intensivierung der Landwirtschaft in Europa leistet genau das Gegenteil. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)