Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Heidemarie Scheuch-Paschkewitz - Internationale Solidarität bei der Bewältigung der Corona-Krise

Heidemarie Scheuch-Paschkewitz
CoronaHeidemarie Scheuch-PaschkewitzEuropaInternationales

In seiner 39. Plenarsitzung am 6. Mai 2020 diskutierte der hessische Landtag auf Antrag der AfD über Corona-Bonds und das Europäische Kurzarbeiter*innenprogramm. Dazu die Rede unserer europapolitischen Sprecherin Heidemarie Scheuch-Paschkewitz.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Die Bekämpfung der Corona-Pandemie stellt uns alle vor enorme Herausforderungen: gesundheitlich, sozialpolitisch und wirtschaftlich. Der Internationale Währungsfonds geht davon aus, dass die Pandemie die größte Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren auslöst. Betroffen von den Folgen der Corona-Pandemie sind die Menschen in Hessen, in Deutschland, in Europa und weltweit.

Für uns LINKE steht fest, dass die Pandemie nur solidarisch bekämpft werden kann. Ziel muss es sein, die Folgen für alle Menschen, soweit es irgend geht, abzuschwächen. Dass die Partei hier rechts außen das nicht so sieht, beweist einmal wieder dieser Antrag.

(Beifall DIE LINKE)

Ihnen ist das Schicksal von Millionen von Europäerinnen und Europäern, die gerade in Kurzarbeit geraten oder ihre Jobs verlieren und nicht wissen, wie sie sich und ihre Familien ernähren sollen, egal. Diese nationalistische Partei möchte die EU am liebsten zerbrechen sehen. Solidarität ist Ihnen ein Fremdwort. Da Sie etwas so fundamental anderes wollen als wir, ist jede Diskussion über Ihre Vorschläge für uns komplett sinnlos; denn die gehen absolut in die falsche Richtung.

Es ist bitter, dass die europäischen Länder, die besonders stark von der Pandemie betroffen waren und sind und die bisher die meisten Toten zu beklagen haben – allen voran Italien und Spanien –, nun auch unter den ökonomischen Folgen besonders leiden. Daher ist ein europäisches Programm zur Unterstützung dieser besonders stark betroffenen Länder durch die Stärkung der nationalen Kurzarbeiterprogramme zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit ein Schritt in die richtige Richtung.

(Beifall DIE LINKE)

Klar ist aber auch, dass dies nur ein Anfang sein kann. Es ist ein Problem, dass die nationalen Kurzarbeiterprogramme so unterschiedlich sind. In einigen Ländern gibt es gerade einmal 40 % Kurzarbeitergeld, in anderen dagegen 100 %. Es kann nicht sein, dass die Beschäftigten in Europa gegeneinander ausgespielt werden. Wir brauchen gemeinsame arbeitsrechtliche Standards, damit alle Menschen in Europa auch in Krisenzeiten gut und sicher leben können.

(Beifall DIE LINKE)

In der durch die Pandemie ausgelösten Krise rächt sich nun, dass die EU in der Sozialpolitik bisher keine weiter gehenden Mechanismen entwickelt hat. Die Krise offenbart in aller Deutlichkeit die gravierenden Mängel des bisherigen Integrationsprozesses der EU und die verheerenden Folgen der Austeritätspolitik, die vielen Mitgliedstaaten im Nachgang der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2009 aufgezwungen wurde. Dazu gehören die neoliberalen Kürzungs- und Privatisierungsauflagen, die Ländern wie Griechenland, Spanien und Italien abverlangt wurden.

Zwischen 2011 und 2018 hat die EU-Kommission allein im Gesundheitsbereich – Sie lachen – Mitgliedstaaten 63mal aufgefordert, die Ausgaben zu kürzen bzw. Teile des Gesundheitssystems zu privatisieren. Diese Politik hat mit dazu geführt, dass die Gesundheitssysteme nur nach ökonomischen Kriterien statt nach Bedarf strukturiert wurden. Der neoliberale Umbau der Gesundheits- und anderer Versorgungssysteme behindert heute die effektive Pandemiebekämpfung. Zu einer solchen Kürzungs- und Privatisierungspolitik darf es bei der Bewältigung dieser Krise auf keinen Fall erneut kommen.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe)

Die Krise hat das Potenzial, die EU zu zerreißen. Findet die EU nicht endlich solidarische Antworten, könnten weitere Länder dem britischen Beispiel folgen und die EU verlassen. In Italien ist das Vertrauen in die EU massiv eingebrochen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung befürwortet inzwischen einen Austritt aus der EU. Dies dürfte auch eine Reaktion auf die Weigerung mehrerer Mitgliedstaaten – darunter Deutschland – sein, Italien und anderen Ländern mit sogenannten Corona-Bonds finanziell durch die Krise zu helfen.

Die Corona-Krise ist eine existenzielle Bedrohung für die EU, wenn sie keine solidarischen Antworten auf diese Herausforderungen findet. Das bedeutet auch, dass eine Überwindung der Krise kein Zurück zum vorhergehenden Status quo sein kann. Was vor der Krise Normalität war, ist Teil des Problems. Was wir brauchen, ist ein Neustart, auch eine sozial-ökologische Transformation.

Es mag bizarr klingen, in diesen harten Zeiten mehr als die sogenannte Normalität erreichen zu wollen, doch in der Gesellschaft wird der Ruf nach mehr Mut und mehr Visionen für die Zeit nach der Krise lauter. So haben 50 zivilgesellschaftliche Organisationen, unter anderem Greenpeace, Amnesty International, European Youth Forum und der Europäische Gewerkschaftsbund, kürzlich eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Darin heißt es – aus dem Englischen übersetzt –:

Solidarität muss der Grundstein der europäischen Antwort auf die Krise sein: Solidarität, um die Pandemie zu bekämpfen und die Menschen zu schützen, um die sozialen und ökonomischen Folgen zu managen, um die Demokratie zu verteidigen. Die Europäische Union versucht, auf diesen Notfall zu reagieren, aber die bisherigen Maßnahmen gehen nicht weit genug. Wir fordern die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten auf, diesen Moment zu nutzen, um auf einen fundamentalen Wechsel in unserem sozialen, ökonomischen und politischen System hinzuarbeiten. Wir stehen bereit für die Transformation, weg vom jetzigen sozial-ökonomischen Modell, das Ungleichheit und ökologische Zerstörung befördert und uns unvorbereitet auf Krisen lässt. Wir fordern die europäischen Entscheidungsmacher auf, zusammenzukommen, über Grenzen hinweg, um mutig und visionär Europa auf den Pfad einer nachhaltigen Zukunft zu bringen, einer Zukunft von belastbaren Demokratien, gebaut auf Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Menschenrechten und

Rechtsstaatlichkeit.

Diesen Forderungen kann ich mich nur von ganzem Herzen anschließen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)