Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Hermann Schaus zum Untersuchungsausschuss im Mord an Walter Lübcke

Hermann Schaus
Hermann SchausAntifaschismusInnenpolitik

Der Antrag von SPD, FDP und LINKEN zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Hessischen Landtag zum Mord am ehemaligen Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke wurde am 25. Juni 2020 mit den Stimmen aller Abgeordneten des Hessischen Landtags angenommen. Dazu die Rede unseres Obmanns im neuen U-Ausschuss Hermann Schaus.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Der Mord an Dr. Walter Lübcke war in vielerlei Hinsicht eine traurige Zäsur. Rechtsradikale verübten zwar schon zuvor Morde und schwerere Angriffe auch auf Amtsträger, wie z. B. 2015 auf die Kölner Bürgermeisterin Henriette Reker. Doch mit Walter Lübcke töteten Nazis offensichtlich erstmals seit 1945 einen Politiker – und mit Dr. Walter Lübcke einen, der im besten Wortsinn christlich-demokratisch wirkte.

Wir als LINKE haben an der Trauer Anteil genommen und sprechen der Familie, den Hinterbliebenen und Freunden von Walter Lübcke, auch der Fraktion der CDU, erneut unser tiefstes Mitgefühl aus. Frau Claus, es war selbstverständlich – Sie hatten es in unseren Gesprächen angesprochen –, dass wir im Untersuchungsausschuss Rücksicht auf die Familie nehmen würden.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Es gab meiner Erinnerung nach nie eine Diskussion darüber, sie als Zeugen zu vernehmen. Für unsere Fraktion will ich erklären, dass wir auch nicht die Absicht haben – es sei denn, die Familie oder einer der Angehörigen möchten das selbst tun. Also, da kann ich Ihre Bedenken nicht teilen, weil es, wie gesagt, nie Gegenstand unserer Verhandlungen und unserer Gespräche war, und mir nicht erklären, woher das kommt.

Warum musste Walter Lübcke sterben? So schlimm es klingt: Er hat sich, besonders 2015, öffentlich gegen rechte Hetze gewehrt und sich für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen. Allein deshalb wurde er zur Hassfigur der politischen Rechten – von lupenreinen Neonazis und Wutbürgern über zahllose Blogs und Facebook-Gruppen der sogenannten Neuen Rechten bis hin zu AfD, Pegida und Erika Steinbach. Seit 2015 ergossen sich über ihn aus diesem Spektrum kübelweise Dreck, Hass und Drohungen.

Schon das ist schlimm genug als Zustandsbeschreibung für unser Land. Wir empören uns aber deshalb nicht nur über diejenigen, die über Jahre gehetzt haben, bis der Hass in Gewalt und dann in den Mord mündete, und diejenigen, die sogar zustimmend auf den Mord an Walter Lübcke reagierten, sondern wir müssen auch darauf aufmerksam machen, dass der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke bei einer Partei offenbar regelmäßig zu Gast war, dass er sie mit Spenden und sogar im Wahlkampf unterstützte und dass er sich für deren Oberfaschisten Björn Höcke so sehr begeistert hat, dass er über Jahre hinweg an dessen Veranstaltungen teilnahm.

Wir erinnern aber auch an die zahlreichen weiteren Gewalt- und Hassopfer von Stephan Ernst. Er hatte zuvor mindestens ein Haus einer türkischen Familie angezündet, mehrere Migranten aus purem Hass schwer verletzt, eine Bombe vor eine Asyleinrichtung gelegt und möglicherweise sogar weitere Mordversuche begangen. Auch der heimtückische Messerangriff auf Ahmed E. wird nun im Prozess in Frankfurt als Mordversuch angeklagt. Während der Täter irgendetwas mit Deutschland schrie, stach er ihn aus dem Hinterhalt nieder. Ahmed E. wurde so schwer verletzt, dass ein normales Leben bis heute kaum möglich ist. – Ihnen allen schulden wir nicht nur Aufklärung, sondern ein Versprechen, alles zu tun, damit sich Derartiges nicht wiederholt.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Freie Demokraten)

Hessen ist von dramatischen Folgen des Rechtsrucks seit 2015 besonders betroffen, Wir denken auch an die zahllosen Verfahren gegen Reichsbürger, Onlinehetzer, bis hin zu NSU-2.0-Drohungen, den rassistischen Mordversuch von Wächtersbach, die Rechtsterror-Verfahren gegen Combat 18 und die Aryans und an den rassistischen Anschlag von Hanau mit neun aus purem Rassismus getöteten Menschen, der uns alle erneut so schwer erschüttert hat. Der Mord an Walter Lübcke steht also in einem Kontext.

Es braucht mehr als strafrechtliche Aufklärung in Frankfurt. Es braucht auch viele Menschen, die entschieden gegen Gewalt und Hetze aufstehen und sich mit den Opfern solidarisieren.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD)

Es braucht einen Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag; denn es ist schlichtweg nicht zu begreifen, warum seit Jahrzehnten aktive und militante Neonazis, von NPD bis AfD, von Kameradschaften bis zu den Identitären, über Onlineforen bis Kagida, unbeobachtet aktiv auftreten konnten, gleichzeitig ein massives Strafregister samt Waffen- und Sprengstoffhinweisen hatten und bei denen Verbindungen zum NSU-Komplex vorliegen.

Warum ausgerechnet diese Personen angeblich vom Radar der Behörden verschwinden konnten und in den Jahren 2015, 2016 als „abgekühlte“ Rechtsterroristen bezeichnet wurden, ist vollumfänglich aufzuklären.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Stefan E. und Markus H. blieben auch nach dem Auffliegen des NSU aktive Neonazis. Inzwischen musste ja eingeräumt werden, dass über sie auch nach 2009 entsprechende Hinweise vorlagen. Dennoch wurden ihre Geheimdienstakten in den Jahren 2015, 2016 intern gelöscht. Gleichzeitig konnten sie sich bewaffnen, Schießübungen durchführen und zu den Urhebern der Hetzkampagne gegen Walter Lübcke werden. Selbst als Lübcke unter Polizeischutz gestellt wurde, hat niemand geprüft, wer die Hetzkampagne gegen ihn losgetreten hat, obwohl das ein Leichtes gewesen wäre.

Die Stadt Kassel bat um Hinweise, um Markus H. keine Waffenberechtigung erteilen zu müssen. Doch der Geheimdienst lieferte diese Hinweise nicht. Schon im NSU-Komplex wäre Markus H. 2006 intensiv zu prüfen gewesen, weil er sich auffällig verhielt. Doch auch das ist nicht geschehen.

Im NSU-Ausschuss habe ich 2015 explizit nach der besonderen Gefährlichkeit von Stefan Ernst gefragt. Ich habe auch gefragt, wo die Akten sind, ob er weiter aktiv ist und ob er als Rechtsterrorist in Betracht kommt. Aber man hat mich bei allen diesen Fragen ins Leere laufen lassen: keinerlei Erkenntnisse, alles zu lang her, keine Akten mehr da. – Dabei lag damals doch alles vor. Die Frage ist deshalb nicht mehr, ob, sondern, warum trotz des NSU-Desasters bei den Behörden schon wieder etwas schiefgelaufen ist.

Ich möchte, dass geklärt wird, wer dafür verantwortlich ist, wer die politische Verantwortung übernimmt und welche strukturellen Konsequenzen wir endlich daraus ziehen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Noch mehr Geld für den Geheimdienst und die Reden des Innenministers lösen das Problem offensichtlich nicht. Es geht um das ganze Umfeld der mutmaßlichen Täter sowohl in Bezug auf den Waffenhandel als auch auf die zahllosen, oftmals ungesühnten Straftaten in ihrem Umfeld.

Zuletzt will ich sagen: Schon im NSU-Ausschuss wäre es notwendig gewesen, dass alle Fraktionen an einem Strang ziehen. So war es aber leider nicht, und das hat tiefe Wunden und reihenweise offene Fragen hinterlassen, die sich nun erneut stellen. Wir haben im Vorfeld mit allen demokratischen Fraktionen über den Einsetzungsantrag beraten. Das war konstruktiv und wichtig.

Die CDU bricht erstmals mit einem Dogma, nämlich niemals einem Antrag zuzustimmen, auf dem DIE LINKE steht. Ich halte dieses CDU-Dogma zwar für absurd; denn Sie behindern sich damit nur selbst. Aber ich will anerkennen, dass Sie jetzt erstmals damit brechen. Der Anlass ist der richtige. Allerdings habe ich nach Ihrer Rede, Frau Claus, doch Zweifel. Das lässt mich Schlimmes befürchten. Es scheint so, als ob es eine Fortsetzung des Streits wie im NSU-Untersuchungsausschuss geben wird. Ihre konfrontative Rede lässt sicher nicht nur bei mir große Zweifel am Willen der CDU erkennen, das Behördenversagen rückhaltlos aufzuklären.

(Zurufe CDU: Hört, hört!)

Lassen Sie mich dennoch mit der Bitte schließen, dass der Untersuchungsausschuss zügig beginnt, dass die Akten schnell, lückenlos und ungeschwärzt vorgelegt werden und Verfahrensfragen nicht als Machtfragen ausgetragen werden. Die Antwort auf die Frage, ob Straftaten hätten verhindert werden können, ist wichtig. Aber sie muss endlich zu Konsequenzen für einen erfolgreichen Kampf gegen Hetze, Hass, Rassismus und Gewalt führen. Fangen wir also an.

(Beifall DIE LINKE und SPD)