Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Hessen braucht eine neue Kommunalverfassung

Hermann Schaus

Rede zur 1. Lesung der Gesetzentwürfe der LINKEN zur Novellierung der HGO und HKO

Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren.

Hessen braucht eine neue Kommunalverfassung, denn Hessen ist im Vergleich mit anderen Bundesländern weit hinten, wenn es um die direkte Mitbestimmung der Menschen geht. Von wem und warum in Stadt, Kreis und Gemeinde oder ihren Unternehmen bestimmte Entscheidungen getroffen werden, ist für die Menschen zudem nicht transparent. Hinzu kommt, dass viele  Menschen mit Migrationshintergrund von Kommunalwahlen ausgeschlossen sind, selbst dann, wenn sie bereits jahrzehntelang mit uns hier leben.

Die Hessischen Kommunen werden in ihrer eigenen Wirtschaftstätigkeit, selbst im Bereich der Daseinsvorsorge, seit Jahren gegenüber der privaten Wirtschaft benachteiligt.
Öffentliches Eigentum soll demnach vorrangig privatisiert und an den Markt gebracht werden.

Wir haben deshalb ein Gesetz zur Stärkung von Bürgerbeteiligung, Transparenz sowie einer effektiven, bürgernahen und nachhaltigen Wirtschaftsordnung für die Hessischen Kommunen und Landkreise eingebracht. Wir halten diese Diskussionen angesichts der kommunalen Finanzkrise und auch angesichts einer demokratischen Krise, in der sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden, für dringend notwendig.

Unser Gesetzentwurf beinhaltet folgende Themenfelder:

Stärkung der Kommunalen Selbstverwaltung

  • Die Informationsrechte der gewählten Vertreter gegenüber  Gemeindevorstand und Magistrat sollen erweitert werden.
  • Ebenso sollen die Rechte der Beiräte, also der Ortsbeiräte, Ausländerbeiräte, Kinder- und Jugendbeiräte sowie der Frauenbeauftragten gestärkt werden. So sollen sie z. B. Antrags- und Rederechte zu ihren eigenen Anträgen im Kommunalparlament erhalten.
  • Ebenso wollen wir neue Mitwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten der Gemeindevertreterinnen in den Aufsichtsgremien kommunaler Unternehmen schaffen.

Wir folgen darin unserer Auffassung, dass, wenn man schon Gremien wählt und diskutieren lässt, diese auch tatsächlich etwas zu entscheiden haben müssen. Kommunale Selbstverwaltung ist keine Alibiveranstaltung.

Mehr Demokratie und Transparenz

  • Die in Hessen zu hohen Hürden für Bürgerbegehren und Bürgerentscheid wollen wir erheblich absenken. Dabei haben wir uns an Regelungen, die sich in Bayern bewährt haben, orientiert.
  • Meine Damen und Herren, wir sind dabei nicht nur an die Quoren herangegangen, sondern haben viele fortschrittliche und in anderen Ländern bewährte Instrumente mit aufgenommen, damit die Menschen besser entscheiden können: Es geht um Kompromissregelungen, die Verkleinerung der Ausschlusskataloge, Fairnessregeln und vieles mehr. Und natürlich auch um direkte Demokratie auf Kreisebene.
  • Darüber hinaus wollen wir aber auch den Gemeindeantrag sowie ein kommunales Petitionsrecht in Hessen einführen. Das sind sehr unmittelbare Beteiligungsrechte, die es in vielen anderen Bundesländern bereits gibt.
  • Verbessertes (weil erweitertes) Wahlrecht:
  • Das aktive kommunale Wahlrecht soll bereits ab 16 Jahren gelten. Diese Regelung gilt bereits in fünf anderen Bundesländern. Darüber hinaus sollen alle mindestens drei Monate in der Gemeinde lebenden Menschen, also auch alle nicht EU-Bürger/innen wahlberechtigt werden. Denn warum sollte eine Schwedin, die seit drei Monaten in einer Gemeinde lebt wählen, eine Norwegerin, die möglicherweise schon seit drei Jahrzehnten dort wohnt aber nicht? Auch hierzu gibt es in vielen anderen europäischen Ländern Vorbilder, wo Integration und Wahlrecht einander nicht ausschließen, sondern bedingen.

Haushalt und wirtschaftliche Betätigung

Die Aufsichtsbehörden nehmen zunehmend mehr Einfluss auf die einzelnen Haushalte. Dies schränkt die kommunale Selbstverwaltung erheblich ein. Wir wollen aber, dass Kommunen investierend tätig sein können, indem für die Ausgeglichenheit eines Haushaltes ein mehrjähriger Zeitraum zugrunde gelegt wird.

  • Die öffentliche Wirtschaftstätigkeit soll einen neuen Stellenwert erhalten, indem der Begriff "öffentlicher Zweck" erweitert und die Subsidiaritätsklausel entschärft wird.
  • Als neues Rechtsinstitut sollen „Kommunalunternehmen des öffentlichen Rechts“ eingeführt werden um weitere Privatisierungen oder Ausgliederungen in privatrechtliche Gesellschaften (GmbH oder AG) zu vermeiden.
  • Die Rekommunalisierung wollen wir durch den Eigenbetriebsvorbehalt fördern, die Privatisierung hingegen soll weitestgehend verhindert werden.
  • Damit künftig nicht länger im Geheimen und am Willen der Gemeindeangehörigen vorbei kommunales Vermögen veräußert werden kann, sollen solche Beschlüsse nur noch in öffentlichen Sitzungen der Gemeindevertretung gefasst werden.

Kommunaler Umweltschutz und Klimaziele

  • Zur Erreichung regionaler Klimaschutzziele und der Vermeidung von Umweltbelastungen sollen die neuen Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang dienen, damit die Gemeinden im Klimaschutz und Energieerzeugung aktiv werden können.
  • Darüber hinaus sollen die größeren Kommunen und die Kreise verpflichtet werden Umwelt- und klimaschutzbeauftragte zu bestellen, der konkrete Vorschläge zur Nutzung nationaler und internationaler Förderprogramme macht und lokale Klimaschutz- und Energieziele verfolgt.

Der Gesetzentwurf wurde unter Bezugnahme auf § 11a der HGO bewusst nur in weiblicher Schreibweise abgefasst!

Meine Damen und Herren, DIE LINKE will die Demokratie beleben, indem in den Kommunen und Menschen bessere Möglichkeiten zur direkten Teilhabe, zur Transparenz von Entscheidungen und für eine kommunale und nachhaltige Wirtschaft in öffentlichem Eigentum gegeben wird.