Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Hessen muss zurückkehren zu einem bürgernahen und bürgerfreundlichen Verfahren"

Hermann Schaus

Zur 1. Lesung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung:

 

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich war jetzt etwas überrascht, weil ich davon ausgegangen bin, dass die FDP sich auch noch zu Wort melden wird. Aber gut.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hast du die richtige Rede mitgenommen?)

Es ist schon angesprochen worden: Der Kern der vorliegenden Gesetzesänderung ist neben redaktionellen Änderungen die Änderung des § 16a. Hier geht es um die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, also eines Vorverfahrens vor einem Gerichtsverfahren. Ich möchte jetzt mit einem Zitat aus dem Juni 2002 beginnen, aus einer Diskussion hier im Landtag, als nämlich § 16a seinerzeit eingeführt wurde. Ich sage Ihnen dann im Anschluss, wer das gesagt hat, Herr Frömmrich.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das Widerspruchsverfahren wird weitestgehend abgeschafft. Was das mit Bürgerfreundlichkeit zu tun haben soll und damit, dass die Verwaltung effektiver arbeiten kann, bleibt mir ein Rätsel. Denn die Verwaltung ist immer noch für die Bürger da – und nicht umgekehrt. Das stammt aus der 111. Sitzung der 15. Legislaturperiode, Seiten 7717 bis 7718. Dieser richtige Satz stammt seinerzeit von der Abg. Priska Hinz von den GRÜNEN.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Damals waren Sie, Frau Hinz, noch in der Opposition.

(Ministerin Priska Hinz: Ja!)

Heute verantworten Sie als Mitglied der Landesregierung diesen Gesetzentwurf mit, in dem der § 16a mit einem erweiterten Anwendungsbereich erhalten bleiben soll. Das bedeutet also wieder einmal eine grüne Kehrtwende.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wann war das?)

– Das war 2002. Das können Sie gern nachlesen.

Meine Damen und Herren, das Widerspruchsverfahren hat vier wichtige Funktionen: die Selbstkontrolle der Verwaltung, die Information der Bürgerinnen und Bürger sowie umgekehrt auch die der Verwaltung, die Entlastung der Verwaltungsgerichte und einen effektiven außergerichtlichen Rechtsschutz.

Dabei ist der letzte Punkt, nämlich der außergerichtliche Rechtsschutz, ein ganz zentraler. Im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens erfolgt eine volle inhaltliche Überprüfung der ursprünglichen Entscheidung. Die gerichtliche Nachprüfung ist auf eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt. Das muss man in diesem Zusammenhang wissen. Im Rahmen dieser Rechtmäßigkeitskontrolle sind die Gerichte nicht befugt, ihre eigene Ermessensentscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Behörde zu stellen. Sie können lediglich auf Ermessensfehler hin überprüfen. Ob der Verwaltungsakt auch zweckmäßig ist, darum geht es in den Gerichtsverfahren also nicht. So ist ein Teil des Rechtsschutzes mit dem Wegfall des Widerspruchverfahrens flöten gegangen. Das darf aus unserer Sicht so nicht bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Widerspruchsverfahren ist bürgerfreundlich. Mithilfe des Widerspruchs haben die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich gegen einen belastenden Verwaltungsakt zu wehren oder den Erlass eines abgelehnten Verwaltungsakts zu erreichen, ohne sofort den Klageweg zum Verwaltungsgericht zu beschreiten. Im Widerspruchsverfahren finden klärende Gespräche zwischen der Behörde und den Adressaten eines Verwaltungsakts statt. So werden die Bürgerinnen und Bürger ernst genommen, können die getroffene Entscheidung eventuell verstehen und auch akzeptieren.

Wenn der Bürger oder die Bürgerin aber keine andere Wahl hat, als direkt ein teures Klageverfahren anzustreben, vielleicht noch mit einer Anwältin oder einem Anwalt vor einem Verwaltungsgericht, dann ist das nicht bürgerfreundlich, sondern bürgerfeindlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb sagen wir: Hessen muss zurückkehren zum Widerspruchsverfahren in allen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten, wieder hin zu einem bürgernahen und bürgerfreundlichen Verfahren. Meine Damen und Herren, das wollen wir auch sehr gern mit den Verbänden, also über den Rahmen der Verwaltung hinaus, diskutieren. Wir freuen uns auf das entsprechende Anhörungsverfahren im Innenausschuss.

(Beifall bei der LINKEN)