Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske – Aktuelle Stunde zum Auto: Für eine echte Verkehrsmittelfreiheit in Stadt und Land

Jan SchalauskeUmwelt- und KlimaschutzVerkehr

In seiner 144. Plenarsitzung am 21. September 2023 diskutierte der Hessische Landtag zur Aktuellen Stunde: „Zulassungszahlen belegen: Das Auto ist bei jungen hessischen Menschen beliebt wie nie. Politik gegen das Auto beenden. Mobilität ist Freiheit!." Dazu die Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Jan Schalauske.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Wenn man sagt, dass Mobilität Freiheit ist, dann muss man auch dafür sorgen, dass alle Menschen die Freiheit haben, mobil zu sein, auch wenn sie sich kein Auto leisten können oder kein Auto haben wollen.

Aber darum geht es der FDP in dieser Debatte überhaupt nicht. Die Zulassungszahlen von Autos steigen; deswegen meint die FDP, man muss mehr Platz für Autos schaffen. Das folgt einer doch sehr bekannten Logik aus dem 20. Jahrhundert: Immer mehr Autos – bauen wir halt mehr Straßen. Immer größere Autos – bauen wir halt breitere Parkplätze. Das führte in der Vergangenheit zu neuen Abkürzungen, Umgehungsstraßen, Parkplätzen, Stadtautobahnen.

(René Rock (Freie Demokraten): Es werden in Hessen seit zehn Jahren keine Straßen gebaut!)

Dem Auto wurde es so richtig schön gemacht. Die Leute merken, dass man nur mit dem Auto bequem und schnell irgendwohin kommt. Das kann man eine selbsterfüllende Prophezeiung nennen. Mittlerweile ist es aber vielfach erwiesen: Mehr Straßen verursachen mehr Verkehr. Wenn es mit der neuen Umgehungsstraße noch schneller in die Stadt geht, dann nimmt man eben wieder einmal das Auto statt der Bahn und fährt auch häufiger dorthin – ist ja alles so schön schnell und einfach. Doch eines ist begrenzt: der öffentliche Raum. Die Flächen wachsen nicht mit. Deshalb hat das Auto gerade in den Städten in den letzten Jahrzehnten unglaublich viel Raum eingenommen – Raum, von dem das Auto jetzt hier und da kleine Stücke abgeben soll.

Dann sollte man doch auch einmal genau sagen, worüber wir hier reden. In einzelnen Großstädten werden zwei Fahrspuren für das Auto auf eine reduziert, von denen die eine wiederum meistens ohnehin zugeparkt war. In weiten Teilen von Hessen gibt es von dem hier beschworenen Kulturkampf gegen das Auto doch überhaupt keine Spur. Da wird gebaut, asphaltiert, werden Wälder für Autobahnen gerodet und alles zugeparkt wie eh und je.

Als Marburger will ich zum Thema „MoVe 35“ sagen: Da kann man tatsächlich vieles kritisieren, aber die Richtung stimmt doch wenigstens. Es ist ein gutes Recht von CDU und FDP, ein Bürgerbegehren anzustrengen. Aber ich bin und bleibe optimistisch, dass sich gerade in Marburg eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für die Verkehrswende entscheiden wird, weil es mehr Lebensqualität für alle Menschen in Marburg bedeutet.

(Beifall DIE LINKE)

Aber, da das Auto an einigen Stellen eben etwas abgeben soll, ist es so wie an anderen Stellen, wo Kulturkämpfe von rechts ausgerufen werden. Wenn man Privilegien gewöhnt ist, fühlt sich das Bemühen um Gleichberechtigung wie Diskriminierung an. Sascha Lobo nannte das einmal „ausgedachte Benachteiligung“. Das ist die eine Seite der Medaille. Klar ist aber auch: Wer den Autoverkehr wirklich reduzieren will, muss natürlich zuallererst die Alternativen stark machen. Dann stellen wir die Debatte doch einmal wirklich vom Kopf auf die Füße.

Wenn immer mehr junge Menschen ein Auto anmelden, heißt das nicht zwangsläufig, dass sie alle Autofahren so geil finden. Es weist darauf hin, dass heute im Alltag mehr Mobilität und mehr Wege notwendig sind. Das ist erzwungene Mobilität; so haben wir das in der Enquetekommission gelernt: kein Laden mehr im Dorf, keine Sparkasse mehr im Ortsteil, kein Facharzt mehr in der Kleinstadt. Das ist aber kein Naturgesetz. Das ließe sich politisch beeinflussen. Es bedingt eben einander. Wenn die Leute eh ein Auto haben, dann kann man auch die Nahversorgung für fünf Ortschaften auf einen großen Parkplatz in der Mitte verlegen. Aber so zementiert man den Autozwang in der Raumplanung.

Das Auto ist das, worauf die Mobilität jenseits der Großstadt ausgerichtet ist, während man zu Fuß häufig nichts erreichen kann und die Radwege jahrzehntelang vernachlässigt wurden – gerne auch einmal ohne Straßenreinigung, Beleuchtung oder Winterdienst, wenn sie denn tatsächlich irgendwohin führen. Natürlich erscheint da das Auto vielen Menschen alternativlos. Aber der Schluss muss doch sein, gerade dann die Alternativen stark zu machen und für alle Menschen zugänglich.

(Beifall DIE LINKE)

Denn einige sind auf den Autoverkehr angewiesen. Dann hilft es nicht, den zu verteuern, ohne zuvor Alternativen zu schaffen. Das ist bei vielen Familien, Alleinstehenden, wo das Geld knapper wird, nicht möglich, während die Reicheren ihre Mobilität einfach so weiternutzen können. Das ist nicht unsere Vorstellung von einer sozial-ökologischen Verkehrswende.

Deswegen: Verkehrswende heißt Mobilität tatsächlich für alle – Freiheit für alle, die Verkehrsmöglichkeiten auch selbst zu wählen, Klima und Umwelt zu schützen, Verkehrssicherheit zur Priorität zu machen, Städte und Dörfer lebenswert zu machen. Dafür gibt es viele große und kleine Stellschrauben. Das haben wir in der Enquetekommission diskutiert: der Nulltarif für Bus und Bahn, Reaktivierung von Bahnstrecken, Radwege – –

Vizepräsidentin Karin Müller:

Herr Abg. Schalauske, die Aufzählung müsste jetzt enden und der letzte Satz kommen.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Möglichkeiten, die Verkehrswende voranzutreiben, gibt es genug. Leider hat die schwarz-grüne Landesregierung zu wenig gemacht. Deswegen werden wir weiter für eine Verkehrswende und für echte Freiheit in der Mobilität streiten.