Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske – Sozial-ökologische Verkehrswende: Entscheidend ist der politische Wille

Jan SchalauskeUmwelt- und KlimaschutzVerkehr

In seiner 142. Plenarsitzung am 19. September 2023 diskutierte der Hessische Landtag über den Gesetzentwurf der SPD mit dem Betreff „Gesetz zur Umsetzung der Verkehrswende (Verkehrswendegesetz)“. Dazu die Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Heute haben wir das Verkehrswendegesetz hier auf dem Tisch, das weitgehend den Forderungen des Bündnisses Verkehrswende Hessen und damit eines sehr erfolgreichen Volksbegehrens entspricht. Ich glaube, man muss sich wirklich noch einmal daran erinnern, dass das Bündnis Verkehrswende Hessen über 70.000 Unterschriften gesammelt hatte, eine Raddemo mit 12.000 Menschen organisiert hat und Verkehrsminister Al-Wazir diese ganzen Unterschriften überbracht hat – einem Verkehrsminister, der immer wieder den Begriff Verkehrswende im Munde führte. Der Herr Staatsminister bezeichnete dann das Verkehrswendegesetz sogar als Unterstützung seiner Politik und als „Rückenwind für die hessische Verkehrspolitik“.

Aber was passierte dann? Dann nahm er die Unterschriften und verschwand. Kurz nach Fristablauf des Volksbegehrens stellte die Landesregierung dann fest, dass das Volksbegehren leider, leider – heute Kollegin Walther auch: leider – formal fehlerhaft sei. Bauchschmerzen – das kennen wir natürlich von den GRÜNEN.

Also behandeln wir das Gesetz des Bündnisses Verkehrswende – weitgehend unverändert – hier und heute noch einmal im Landtag. Kurz vor der Wahl müssen Sie dann auch inhaltlich und in Form einer Abstimmung Farbe bekennen; und ich finde, das ist gut so.

(Beifall DIE LINKE)

Das gibt uns die Möglichkeit, auch noch einmal über das Gesetz und das Anliegen des Volksbegehrens Verkehrswende zu sprechen. In dem Gesetz steht viel Richtiges: Maßnahmen, die Bus-, Bahn-, Rad- und Fußverkehr attraktiver machen sollen, auch indem das Auto Raum und einige Privilegien abgeben oder teilen muss.

Eigentlich sind es doch Selbstverständlichkeiten, die das Gesetz im Wesentlichen regeln will: Das ÖPNV-Netz muss flächendeckend sein, Fahrzeiten sollten verkürzt werden, Takte dichter werden, zwischen 5 und 23 Uhr sollte überall wenigstens einmal in der Stunde der Bus kommen – so schlug das Verkehrswendebündnis das vor. Wir brauchen mehr Maßnahmen für die Verkehrssicherheit auf Schulwegen, ein Sicherheitsaudit, Risikoanalysen bei Umbauten oder verpflichtende Schulwegpläne, die auch entsprechend leicht zugänglich öffentlich gemacht werden können, ein hessenweites Radwegenetz, wo der Radweg nicht an der nächsten Gemeindegrenze endet – wenn nicht sogar schon früher –, und Straßen und Kreuzungen, die so gestaltet sind, dass zu Fuß Gehende, Radfahrende genug Platz haben und die Fahrbahn sicher überqueren können.

Wir sehen also, das Artikelgesetz dreht an vielen kleineren und größeren Stellschrauben, und es geht darum, Menschen eben nicht das Autofahren zu verbieten, sondern ihnen an vielen Orten erst einmal mit alltagstauglichen Angeboten, mit Bus und Bahn, mit attraktiven Radwegen, die auch irgendwo hinführen, und Fußwegen, die kein Hindernisparcours sind, Möglichkeiten zu eröffnen. Das sind Maßnahmen, die uns in der Verkehrswende weiterbringen würden.

Deswegen, weil das von der rechten Seite des Hauses so oft falsch kam: Das Verkehrswendegesetz schränkt nicht Freiheit ein, sondern es ermöglicht überhaupt erst Freiheit von anderen Verkehrsteilnehmern, die nicht den motorisierten Individualverkehr bilden. Das ist verantwortungsvolles Handeln gegenüber Menschen und auch gegenüber dem Klima.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Dass solche Forderungen hier überhaupt umstritten sind, als Gängelung, als Freiheitseinschränkung oder ähnlich bezeichnet werden, zeigt, wie weit der Weg noch zur nötigen Verkehrswende ist.

Die Kollegin Walther führte aus, Politiker, die sagten, was sie tun, und täten, was sie sagten, würden in Hessen gebraucht. Das würde ich auch sagen. Politiker, die von der Verkehrswende sprechen, sollten dann auch alles unternehmen, um die Verkehrswende voranzubringen. Allerdings müssen wir feststellen, dass bei Schwarz-Grün hierfür noch viel Luft nach oben ist. Wir brauchen die Verkehrswende, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen. Wir wollen lebenswertere Städte, weniger Unfälle, weniger Schadstoffe und weniger Lärm.

Einige hier sagen, der Gesetzentwurf sei nicht ernst gemeint und hätte rechtliche Probleme. Man kann sich an allem aufhängen oder eben auch nicht. Aber wir brauchen eine Verkehrswende aus einem Guss, die alle Verkehrsträger zusammendenkt, die Maßnahmen ergreift und konkrete Ziele festschreibt. Das hat die schwarz-grüne Landesregierung, die so viel von Verkehrswende vorträgt, nicht vorgelegt. Deswegen ist ein Verkehrswendegesetz mit den Zielen des Volksbegehrens dringend notwendig.

(Beifall DIE LINKE)

Für uns als LINKE ist für eine erfolgreiche Verkehrswende aber nicht nur die ökologische Frage, sondern auch die soziale Frage zentral: Mobilität muss für alle Menschen ermöglicht werden. Mobilität und soziale Teilhabe sind untrennbar verbunden.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Deswegen müssen wir im Sinne des Volksbegehrens Alternativen zum Auto stärken bzw. diese überhaupt erst ermöglichen.

Menschen mit geringem Einkommen müssen die Möglichkeit haben, am kulturellen Leben teilzunehmen, Bekannte und Verwandte zu besuchen, bequem zur Arbeit zu kommen oder auch in die Natur zu fahren. Deswegen fordern wir als LINKE, dass Bus und Bahn kostenlos genutzt werden können. Der Nulltarif wäre die konsequenteste Maßnahme für die Verkehrswende.

(Beifall DIE LINKE)

Anders, als von rechts außen behauptet wird, geht es nicht darum, das Autofahren zu verteuern, ohne zuvor die Alternativen zu schaffen, weil sonst bei Familien und Alleinstehenden das Geld knapper wird, während die Reicheren einfach so weitermachen können wie bisher. Ich will ausdrücklich sagen: Das ist nicht unsere Vorstellung von der Verkehrswende.

(Beifall DIE LINKE)

Die Bilanz muss heute angesprochen werden. SchwarzGrün ist bei der Verkehrswende ein Totalausfall. Nach zehn Jahren mit einem grünen Verkehrsminister stockt die Verkehrswende. Es gibt ein bisschen Herumdoktern im Bereich des Rad- und Fußverkehrs. Es gibt für einige Gruppen vergünstigte Tickets. Aber gleichzeitig soll man dem Auto bloß nichts wegnehmen, und die Fahrpreise werden für die meisten Menschen in unserem Land immer teurer.

Der Ausbau der Radwege an Landesstraßen bleibt Stückwerk. Er geht nur elend langsam voran; das hat der ADFC erst im Frühjahr noch einmal vorgerechnet: In keinem anderen Bundesland ist das Radwegenetz an Landesstraßen in den vergangenen neun Jahren so langsam gewachsen wie in Hessen.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Ja!)

In dieser Legislaturperiode wurde keine Bahnstrecke im ländlichen Raum reaktiviert, aber Ausbaupläne von hessischen Autobahnen werden durchgewinkt. Gesunde Mischwälder werden für eine Autobahn geopfert, die durch ein Trinkwasserschutzgebiet führt, und zubetoniert. Das ist die Verkehrswende, die die GRÜNEN in Hessen mitzuverantworten haben. Das ist der falsche Weg.

(Beifall DIE LINKE)

Was wäre aus unserer Sicht nötig? „Verkehrswende“ bedeutet für uns nicht nur, den Motor von Autos auszutauschen und sonst alles so zu lassen, wie es ist. Wir haben das auch schon im Rahmen der Enquetekommission Mobilität ausgeführt. Die Verkehrswende muss für uns vier Ziele erfüllen:

Sie muss erstens Mobilität für alle sicherstellen: für Menschen mit viel und wenig Geld, in Stadt und Land, mit und ohne Auto.

Zweitens ist der Klimaschutz zu beachten, Schadstoffe und Umweltfolgen sind zu reduzieren: Verkehr vermeiden, technisch verbessern und umweltfreundliche Verkehrsträger stärken.

Drittens lautet das Ziel „Vision Zero“, also null Verkehrstote: Sicherheit hat Vorrang für die Planung von Verkehrswegen und im Verkehrsrecht.

Viertens. Lebenswerte Städte und Dörfer für alle: den öffentlichen Raum umverteilen, Nahversorgung stärken, Mobilitätszwänge abbauen.

Wir haben auf diesem Weg – das hat die Enquetekommission gezeigt – kein Erkenntnisproblem. Auch in der Enquetekommission wurden reichlich Maßnahmen genannt, wie wir dieses Ziel voranbringen könnten. Notwendig wäre der politische Wille, und der ist bei Schwarz-Grün offenbar nicht vorhanden.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen haben wir heute hier drei Anträge vorgelegt, die konkret und exemplarisch zeigen, was man noch unternehmen könnte, um die Verkehrswende voranzubringen.

Zum einen kann damit die angekündigte Preiserhöhung von über 8 % im RMV noch abgewendet werden. Das Rhein-Main-Gebiet hat schon jetzt die höchsten Nahverkehrspreise in Deutschland. In Wiesbaden kostet eine Einzelfahrt 3,40 € und ist teurer als im mehr als zehnmal so großen Berlin. Offenbach ist im Verhältnis zur Stadtgröße sogar trauriger Spitzenreiter im bundesweiten Preisvergleich.

Den Hessenpass mobil haben die GRÜNEN lange bekämpft. Sie haben ihn, weil wir ihn immer eingefordert haben, jetzt, kurz vor der Wahl, eingeführt.

(Lachen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt, dass die Forderungen der LINKEN nach vergünstigten Tickets für Menschen mit geringen Einkommen wirken. Leider sind Sie aber nicht den Weg wie in Berlin gegangen. Da kostet das Ticket 9 €; bei Ihnen sind es noch immer 31 €. Frau Walther, wenn Sie beim Bürgergeld von einem Budget von 40 € oder 45 € für Mobilität sprechen, haben Sie dabei leider vergessen, dass dieses Budget nicht voll ausgeschöpft werden kann – aufgrund der immensen Preissteigerungen, die die Menschen zu ertragen haben, und weil das Bürgergeld noch immer nicht zum Leben reicht. Menschen mit geringem Einkommen brauchen die finanziellen Mittel auch für andere Sachen. Deswegen würde ich diese Zahlen als Faktor nicht heranziehen. Auch 31 € pro Monat im Abo sind noch immer zu viel Geld. Deswegen brauchen wir den Nulltarif – auch für Menschen mit geringem Einkommen.

Dass das Land mit Blick auf die Reaktivierung von Bahnstrecken – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –, einfach die Verantwortung den Kommunen belässt und sich einen schlanken Fuß macht, ist zu wenig. Deswegen haben wir zwei konkrete Bahnstrecken zur Reaktivierung vorgelegt. Stimmen Sie unseren Anträgen zu. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)