Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske – Sozialverträgliche Mobilitätswende ermöglichen

Jan SchalauskeVerkehr

In seiner 136. Plenarsitzung am 27. Juni 2023 diskutierte der Hessische Landtag über einen Entwurf der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Stärkung der Nahmobilität in Hessen. Dazu die Rede unseres unseres Fraktionsvorsitzenden und haushaltspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Man muss sich die verquere Logik des vorangegangenen Redebeitrags einmal ganz kurz vor Augen führen: Allgemein ist bekannt, dass Radfahren gesund, umweltfreundlich, klimaschonend und günstig ist und dass 30 % aller Autofahrten durch Radverkehr ersetzt werden könnten. Wenn jetzt die Unfallzahlen von Radfahrern, sowohl von Erwachsenen als auch von Kindern, ins Feld geführt werden, um damit gegen das Radfahren zu argumentieren, man aber nicht auf die Idee kommt und nicht mit einem Wort erwähnt, dass Radfahrer vielleicht mehr Platz im Straßenverkehr, mehr Sicherheit und mehr Maßnahmen bräuchten, zeigt das eigentlich nichts anderes als die ideologische Verblendung der Autofahrerpartei ganz rechts außen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD – Zuruf Stephan Grüger (SPD))

– Genau. – Jetzt will ich aber ernsthaft zu dem Thema kommen. Zweite Lesung des Entwurfs für ein Nahmobilitätsgesetz, Rad- und Fußverkehr sollen gestärkt werden: Daran, dass das mit diesem Entwurf wirklich erreicht wird, sind nach der Anhörung erhebliche Zweifel angesagt.

Ich will mich auch noch einmal mit den Stellungnahmen der Anzuhörenden befassen. Der Vertreter des ADFC sagte in der Anhörung, „dass der Gesetzentwurf in weiten Teilen keinen Gestaltungsanspruch … im Sinne einer beschleunigten Verkehrswende erkennen“ lasse. Der Vertreter von FUSS e. V. – Fachverband Fußverkehr Deutschland – sieht in dem Gesetzentwurf keine bedeutenden Verbesserungen. Ein weiterer Kritikpunkt vieler Anzuhörender war, dass der öffentliche Nahverkehr in diesem Gesetzentwurf gar nicht vorkommt, obwohl er – darin sollte eine Reihe von Fraktionen in diesem Hause einer Meinung sein – einen zentralen Baustein der sozial-ökologischen Verkehrswende darstellt.

Man kann es natürlich positiv formulieren: Inhaltlich ist in dem Gesetzentwurf nichts richtig falsch. Es gibt ein paar kleinere Stellschrauben, bei denen in die richtige Richtung gedreht wird. Zum Rad- und Fußverkehr gibt es ein bisschen hier und ein bisschen da. Vor allem gibt es viele mehr oder weniger konkrete Sollvorschriften, die nichts anderes als den bisherigen Stand der Technik wiedergeben. Zukunftsgewandt im Sinne einer Verkehrswende ist das allerdings nicht, und deswegen kommen wir mit diesem Gesetzentwurf der Verkehrswende auch nicht wirklich näher.

Ich möchte mich jetzt aber etwas ausführlicher mit einem Punkt beschäftigen, über den wir auch schon in der Debatte zum SPD-Gesetzentwurf diskutiert haben. Ich möchte ein paar Anmerkungen zur Entstehung dieses Gesetzentwurfs machen. Er entstand nämlich – darauf ist hingewiesen worden –, nachdem das Volksbegehren, der viel weiter gehende Entwurf für ein hessisches Verkehrswendegesetz, durch Schwarz-Grün abgeschmettert worden war. Dann haben Sie das Bündnis zu Gesprächen eingeladen. Bei der Vorstellung dieses Gesetzentwurfs feierte Schwarz-Grün das, was darin steht, als einen „gemeinsamen Erfolg von Zivilgesellschaft und Politik“. So ähnlich hat es der Verkehrsminister heute dargestellt. Sie wollten damit nichts anderes, als sich das Label des Volksbegehrens anzuheften und zu suggerieren, dass das Engagement der vielen Menschen doch ein gutes Ende gefunden habe.

Aber, Herr Al-Wazir, was Sie in der heutigen Diskussion nicht gesagt haben: Das Verkehrswende-Bündnis hat dieser Darstellung schon damals scharf und deutlich widersprochen.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Freie Demokraten)

Ich will noch einmal an die Stellungnahmen erinnern. In der Presserklärung von PRO BAHN – der Verband war Teil des Bündnisses – hieß es wörtlich:

Es war im gemeinsamen Gespräch der Verkehrswende Hessen und der Regierungsfraktionen nicht möglich gewesen, auf Augenhöhe miteinander in Diskurs zu treten.

„Auf Augenhöhe“.

„Im Ergebnis hätten … nur unbedeutende Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen werden können“, ...

Nicht einmal auf Augenhöhe haben Sie mit den Vertretern des Bündnisses gesprochen. Das ist die Bilanz dieser Gespräche. In der PE von PRO BAHN hieß es weiter:

Somit muss der Pressemitteilung der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN widersprochen werden, es hätte „einen konstruktiven Austausch mit den Vertrauensleuten des Volksbegehrens“ gegeben. Auch die hier genannten „sehr wertvollen Impulse der Initiative“ finden sich im Gesetzentwurf nicht wieder.

Meine Damen und Herren, klarer kann die Initiative doch nicht zum Ausdruck bringen, dass dieser Gesetzentwurf aber auch nichts mit dem Engagement und den Zielen der Verkehrswende-Initiative zu tun hat.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Freie Demokraten)

Wir haben als LINKE eine klare Vorstellung von einer sozial-ökologischen Verkehrswende. Für uns ist dabei der Ausgangspunkt der Anspruch jedes Menschen auf alltägliche Mobilität, auf soziale Teilhabe, ob in der Stadt oder auf dem Land, ob mit Geld oder ohne. Das alles soll nicht vom Besitz eines Autos abhängen. Nur so können die Klimaziele im Verkehrssektor erreicht und der vorhandene Platz in den Städten für die Menschen und für den Umweltverbund genutzt werden.

Wir sind der Meinung, dass man dafür nicht auf technische Innovationen, auf Phantasialand, warten sollte – Flugtaxis, Kernfusion usw. usf. –, sondern dass diese Ziele auch mit dem heutigen Wissen und der heutigen Technik erreichbar wären. Es bedarf aber auch neuer Finanzierungsansätze, um eine solche Aufgabe zu stemmen, und dafür gibt es eine Menge Ideen. Die finden sich aber nicht in diesem Entwurf für ein Nahmobilitätsgesetz; denn der öffentliche Nahverkehr ist dort einfach ausgespart worden.

Wir wissen, wie man den öffentlichen Nahverkehr gut finanzieren könnte: Nutznießerabgabe für Gewerbe, Arbeitgeberbeiträge zugunsten des ÖPNV. Natürlich – Sie warten alle darauf – könnte auch ein gerechtes Steuersystem, das diejenigen in dieser Gesellschaft, die mehr haben, stärker an den allgemeinen Aufgaben beteiligt, dazu beitragen, die Verkehrswende voranzubringen.

(Beifall DIE LINKE)

Nicht voranbringen wird die Verkehrswende allerdings das, was der RMV in diesen Tagen angekündigt hat, nämlich die Preise für Einzelfahrscheine um dramatische 8,2 % zu erhöhen. Das trifft dann vor allem diejenigen, die sich das Deutschlandticket für 49 € oder auch den Hessenpass mobil für 31 € pro Monat nicht leisten können. Wir finden das hochgradig ungerecht. Das ist der falsche Weg.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen: Was wir wirklich brauchen, ist eine Reform der Mobilitätsgesetze in Bund und Land. Wir wollen klare Kriterien, Regulierungen, messbare Ziele und ein Mindestangebot an Mobilität und Qualität in der Infrastruktur. Außerdem bräuchten wir ein echtes Landesklimaschutzgesetz mit einem klaren CO2-Abbaupfad auch für den Verkehrssektor.

Viel wichtiger allerdings als all diese Gesetzestexte wäre der politische Wille zu wirklicher Veränderung, also der grundsätzliche Wille, zu schauen, warum etwas geht, statt zu schauen, warum etwas nicht geht. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)