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Rede

Jan Schalauske über die Einführung des Gebäudetyps E

Jan SchalauskeEnergieHaushalt und FinanzenUmwelt- und KlimaschutzWohnen

In seiner 138. Plenarwoche am 29.06.2023 diskutierte der Hessische Landtag über die Einführung eines Gebäudetyps E. Dazu unser wohnungspolitischer Sprecher und Fraktionsvorsitzende Jan Schalauske

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Vom „Gendergaga“ und dem „Great Reset“ kommen wir zur Grunderwerbsteuer, zum Gebäudeenergiegesetz und zum „Gebäudetyp E“. Je näher nämlich die Landtagswahl rückt, desto mehr entdeckt die AfD anscheinend ihr Herz für die Wohnungspolitik. In den viereinhalb Jahren zuvor hatten Sie dazu gar nichts anzubieten. Es gab keine Konzepte, keine Vorschläge, keine Anträge – einfach nichts.

Die einzigen wohnungspolitischen Inhalte – wenn man das denn so nennen möchte – waren die immer gleiche Leier, dass die Geflüchteten an dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum schuld seien, und das Nachbeten von marktradikalen, neoliberalen Positionen der Immobilienlobby, wie sie mitunter auch von der FDP zu hören sind. Das Lamento war: weg mit dem Mietendeckel, weg mit der Mietpreisbremse, weg mit dem sozialen Wohnungsbau. Stattdessen sollte es vor allem eine Politik für Großeigentümer und ein blindes Vertrauen in den Markt geben.

Jetzt, wenige Monate vor der Wahl, glauben Sie plötzlich – oder suggerieren es –, ein Herz für die Mieterinnen und Mieter in diesem Land zu haben. Konzepte gibt es zwar weiterhin keine, aber plötzlich warnen Sie vor steigenden Mieten und vor einem Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Meine Damen und Herren, das ist komplett lächerlich. Das ist ein billiges Wahlkampfmanöver, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt schauen wir uns Ihren Antrag noch einmal genau an. Mit dem Vorschlag, einen „Gebäudetyp E“ einzuführen – „E“ für einfach, experimentell – greifen Sie tatsächlich eine Debatte auf, die vielerorts geführt wird. Wie schon gesagt, der Vorstoß im Zusammenhang mit der Bauordnung kam von der Bayerischen Architektenkammer. Die Hoffnung ist, durch den Verzicht auf gewisse Standards und Normen innovativer und kostengünstiger zu bauen. Gleichzeitig – aber das ist auch sehr wichtig – sollen Schutzregelungen in der Bauordnung, Feuer- und Umweltschutz, nicht außer Kraft gesetzt werden.

Die Idee eines „Gebäudetyps E“ hat tatsächlich nicht nur die bayerische Landesregierung aufgegriffen; auch in Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und anderswo wird darüber diskutiert. Auch im sogenannten Bau-Booster der marktradikalen extremen Mitte, nämlich der FDP-Fraktion, war schon der „Gebäudetyp E“ enthalten.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Einer hat wenigstens die Presseerklärung gelesen!)

Aber – jetzt kommt es – bei all diesem Geboostere will die AfD nun auch mitmachen. Anstatt einen eigenen Vorschlag vorzulegen, schreibt sie aber einfach nur das ab, was sich andere ausgedacht haben. Man kann das so machen; ein eigenes wohnungspolitisches Konzept ist das allerdings noch nicht.

(Beifall Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Jetzt will ich aber zu einem Punkt kommen, den Sie beim Abschreiben der Ideen von anderen offensichtlich vergessen haben, nämlich sich eingehender mit der Materie zu beschäftigen. Ansonsten wäre Ihnen aufgefallen, dass die eigentliche Idee des „Gebäudetyps E“ an einem entscheidenden Punkt allem, aber auch wirklich allem widerspricht, was Sie und manchmal auch die Kollegen von der FDP hier so in Sachen Wohnungspolitik erzählen.

Hören wir uns an, was die Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, Frau Prof. Haack, als zentrale Motivation zur Einführung eines „Gebäudetyps E“ angibt. Ich möchte aus einem öffentlichen Fachgespräch im Bayerischen Landtag zitieren. Sie sagt:

Die Klimawende muss jetzt schnellstmöglich vorangebracht werden. Weder das Nachjustieren von Normen noch zahlreiche Bausenkungskommissionen haben bisher greifbare Ergebnisse erzielt. Wir sind davon überzeugt, dass die Bayerische Bauordnung für das Gelingen der Klimawende ein wertvolles Instrument darstellt, derzeit jedoch noch zu wenig Gestaltungsspielraum für innovative Denkansätze bietet.

Der Ausgangspunkt der ganzen Diskussion ist also nicht irgendein Klagen über viel zu viel Bürokratie oder das Abfeiern der Innovationskraft der freien Wirtschaft, wie es von der AfD und der FDP so gern kommt. Nein, es ist etwas ganz anderes: allem voran der Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel – den es für die AfD eigentlich gar nicht gibt. Deswegen noch einmal Frau Haack:

Beim Bauen heißt auf das Wesentliche zu reduzieren, suffizient, nachhaltig und qualitätsorientiert zu handeln. Dafür stehen die Architektinnen und Architekten aller Fachrichtungen mit ihrer Innovationskraft und Expertise bereit. Dabei haben sie als gesellschaftliche Aufgabe vor allem auch den Gebäudebestand im Blick, der nicht nur nachhaltig und qualitätvoll weiterentwickelt, sondern auch weiterhin bezahlbar bleiben muss.

(Beifall DIE LINKE)

– Ja, bei einer solchen Einschätzung kann man eigentlich nur klatschen. – Der „Gebäudetyp E“ ist also ein Versuch, die Ziele des Klimaschutzes und des bezahlbaren Wohnraums miteinander in Einklang zu bringen und dabei architektonische und städtebauliche Lösungen zu finden. Es geht hier eben nicht um die platte Parole vom „Bauen, bauen, bauen“, sondern es geht um maßvolles Umbauen im Bestand und um Neubau auf der Höhe der Zeit. Das ist etwas ganz anderes als das, was die Immobilienlobby und ihre Fans von der AfD und der FDP hier immer wieder im Blick haben.

Dazu passt auch, dass der „Gebäudetyp E“ zunächst einmal nur für erfahrene, sachkundige Bauherren möglich sein soll, womit explizit öffentliche Bauherren und große Wohnungsbaugesellschaften gemeint sind und eben nicht die kleinen Privaten oder das Wohnungsbau-Start-up. Wenn man es so versteht, kann die Einführung eines „Gebäudetyps E“ aus unserer Sicht natürlich sinnvoll sein – als einer von mehreren Schritten, den Umbau im Bestand und den weiterhin notwendigen Neubau möglichst klimaschonend, nachhaltig und bedürfnisorientiert zu gestalten, ohne dabei aber grundlegende Schutzregelungen außer Kraft zu setzen.

Natürlich gibt es da auch noch Fragezeichen: Wie ist das z. B. mit der Barrierefreiheit? Das wird aber von den Architektinnen und Architekten, die diese Ideen voranbringen, offen kommuniziert. Es müssen Minimalstandards definiert werden, und es braucht Änderungen in den entsprechenden Bauordnungen, auf Bundesebene, im Zivilrecht und natürlich auch eine Erprobungs- und Evaluierungsphase.

Das bedeutet aber auch, wie man sieht, wenn man das alles noch einmal zusammendenkt: Der „Gebäudetyp E“ ist eben alles andere als eine kurzfristige Lösung für die Baukrise und den eklatanten Mangel an bezahlbarem Wohnraum in unserem Land. Ohnehin hat das eine mit dem anderen weniger zu tun, als Sie in Ihrem Antrag behaupten.

Die Mieten sind doch in den letzten zehn bis 20 Jahren nicht deswegen so explosionsartig gestiegen, weil das Bauen so teuer war, sondern vor allem deswegen nimmt die Zahl an verfügbaren Wohnungen ab, weil zu wenig gebaut wurde, weil das, was neu gebaut wurde, für Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen komplett unbezahlbar war und weil die Wohnungspolitik viel zu wenig getan hat, um bezahlbare Wohnungen im Bestand zu schützen. Wir wissen, wir haben in Hessen einen historischen Tiefstand bei der Zahl der Sozialwohnungen.

Über all das müssen wir doch reden. Das sind wohnungspolitische Zusammenhänge, über die wir diskutieren müssen, statt irgendwelche Fabelgeschichten der Immobilienlobby und der FDP nachzubeten, wie es die AfD heute hier tut.

Mein letzter Punkt. Wenn wir daher in Hessen schnell und wirksam etwas gegen die Wohnungskrise unternehmen wollen, müssen wir alle landesrechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, Mieterinnen und Mieter im Bestand zu schützen. Das macht die schwarz-grüne Landesregierung nicht. Wir müssen alles tun, um bezahlbaren Wohnraum zu schützen und wiederherzustellen. Wir brauchen ein Gesetz gegen Leerstand und Wohnraumzweckentfremdung.

Vor allem brauchen wir dauerhaft bezahlbaren Wohnraum. Wir wissen durch die Antworten auf unsere Kleinen Anfragen, dass im Bestand, im Neubau und auch beim Ankauf von Belegungsrechten fast zu 90 % die nicht profitorientierten Akteure zuständig sind: kommunale Wohnungsbaugesellschaften, öffentliche Wohnungsunternehmen, Genossenschaften, gemeinschaftliche Wohnprojekte, soziale Träger. Sie alle sind die Eckpfeiler der sozialen Wohnraumförderung. Wir müssen uns auf sie für die soziale Wohnraumförderung fokussieren. Wir müssen sie dabei unterstützen, mehr Wohnungen zu schaffen und dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu sichern.

Dass das geht, haben wir z. B. an dem vorgestern veröffentlichten Votum der Expertenkommission in Berlin gesehen, die festgestellt hat, dass eine Vergesellschaftung von großen Wohnungskonzernen mit Grundgesetz und Länderverfassungen in Einklang zu bringen ist.

Deswegen wäre mein Vorschlag an die AfD – auch wenn ich wenig Hoffnung auf Realisierung habe –: Wenn Sie einmal wieder auf der Suche nach wohnungspolitischen Ansätzen sind, die Sie abschreiben können, dann machen Sie das bei der Kommission in Berlin. Das wäre ein Gewinn für die wohnungspolitischen Debatten im Landtag. Das ist aber von Ihnen nicht zu erwarten.

(Beifall DIE LINKE)