Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske – Unterbringung von Geflüchteten und Obdachlosen – keine Vorschläge der Landesregierung in Sicht

Jan SchalauskeMigration und IntegrationSozialesWohnen

In seiner 141. Plenarsitzung diskutiert der Hessische Landtag am 20.07.2023 über den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE in zweiter Lesung „zur vorübergehenden Unterbringung von Geflüchteten und Asylsuchenden und zur Abwendung von Obdachlosigkeit“. Dazu unser Fraktionsvorsitzender Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Als meine Kollegin Saadet Sönmez für die Fraktion DIE LINKE vor einigen Monaten unseren Gesetzentwurf in der ersten Lesung eingebracht hat, klagten die Kommunen über massive Probleme, Geflüchtete menschenwürdig unterzubringen. Es hat sich gerächt, dass die Kommunen, das Land und der Bund nicht vorausschauend agiert und Formen von flexiblen Unterbringungskonzepten und Kontingente für einen Anstieg von Zuzugszahlen geschaffen haben. Statt gewappnet zu sein, hatte man in Hessen in den vergangenen Jahren reihenweise Gemeinschaftsunterkünfte geschlossen. Das war ein großer Fehler der Landesregierung.

(Beifall DIE LINKE)

Das fiel und fällt jetzt vor allem den Kommunen, aber auch uns allen auf die Füße. Auch wenn sich die Unterbringungssituation in Hessen an einigen wenigen Orten mittlerweile etwas verbessert hat, sehen wir, es besteht weiterhin Handlungsbedarf. Auch Obdachlosigkeit bleibt ein großes Problem. Wir sind der Auffassung, kein Mensch sollte in Zelten, in Turnhallen oder in Containern untergebracht werden. Deshalb fordern wir als LINKE die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für alle Menschen in unserem Land.

(Beifall DIE LINKE)

Während in den letzten Monaten klar wurde, dass die Kommunen in die Lage versetzt werden müssen, ihren verfassungsrechtlich möglichen Spielraum zu nutzen, wollen wir mit unserem Gesetzentwurf den Kommunen die Möglichkeit geben, im Falle eines Unterbringungsnotstandes ungenutzte Liegenschaften für eine begrenzte Zeit sicherzustellen, um Asylsuchende oder Geflüchtete unterzubringen und auch um Obdachlosigkeit abzuwenden.

Die Eigentümer dieser Liegenschaften würden dafür eine Entschädigung erhalten. Das wäre dann ein Instrument, das wir den Kommunen in die Hand geben, um Unterbringung sicherzustellen. Wenn es nicht zur Anwendung kommen muss, weil keine Notwendigkeit besteht, ist es umso besser. Aber vielleicht würde es helfen, und so wurde es in der Anhörung auch gesagt, die Bereitschaft zu steigern, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen.

Für uns LINKE bleibt es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn einerseits in Frankfurt über 1 Million m2 Bürofläche leer stehen und sich andererseits für Geflüchtete oder Obdachlose keine geeigneten Unterkünfte finden.

(Beifall DIE LINKE)

Es darf doch auch niemanden verwundern, dass sich die Probleme weiter verschärfen, wenn sich der Bestand an Sozialwohnungen in Hessen unter Schwarz-Grün um 25 % reduziert hat und der Bestand der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft stagniert, andererseits keinerlei Maßnahmen getroffen werden, um Flüchtlinge und Obdachlose menschenwürdiger unterzubringen.

Bei der Einbringung unseres Gesetzentwurfs gab es einen zentralen Vorwurf: Unser Gesetzentwurf sei verfassungswidrig. Hierzu will ich sagen – ich war ja bei der Anhörung anwesend –: Das hat die Anhörung eindeutig widerlegt. Es hat sich gezeigt, dass die in der ersten Lesung hier im Plenum von vielen Fraktionen geäußerten Bedenken wegen der Verfassungswidrigkeit unseres Gesetzes völlig haltlos waren, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Als Beleg möchte ich dafür die Äußerung von Prof. Goldhammer von der European Business School, wie ich denke, einer Universität, die linker Umtriebe unverdächtig sein sollte,

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): European Business School!) ins Feld führen. Denn er hat eindeutig klargemacht, dass es sich bei der Maßnahme, die wir vorschlagen, nämlich der Maßnahme der Sicherstellung, nicht um eine Enteignung, sondern vielmehr um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung handelt, die auch in Art. 15 unseres Grundgesetzes vorgesehen ist.

(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Hört, hört!)

Es ist eben gerade keine Enteignung, da es sich um eine abstrakt generelle Regelung handelt. Prof. Goldhammer hat auch klargestellt, dass dies durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, der höchsten juristischen Instanz in unserem Land, seit den Achtzigerjahren geklärt ist. Es gebe eben, so Prof. Goldhammer, kein vorstaatliches Eigentum. Eigentum sei das, was der Gesetzgeber innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes festlege. Damit, so hat es der Professor ausgedrückt, wurde Eigentum „jenseits der extremen Grenzen von Enteignung oder der gänzlichen Abschaffung von Eigentum demokratisiert“. Er hat auch noch einmal betont, dass das Alltag in der Bundesrepublik ist, dass das in gängiger Weise tagtäglich passiert, z. B. wenn der Staat Bestimmungen zum Denkmalschutz erlässt oder wenn Bauland über Nacht durch politische Beschlüsse im Rahmen des Rechtsstaats seinen Charakter verändert, also Ackerland zu Bauland wird, und sich dadurch der Wert und der Gebrauch des Eigentums völlig verändert.

Meine Damen und Herren, das ist juristischer, politischer und gesellschaftlicher Alltag in diesem Land. Deswegen ist die Empörung, die Sie hier, vor allem von der rechten Seite des Hauses, mit dem Verweis auf Rechtsstaatlichkeit in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes zur Schau getragen haben, bestenfalls – aber wirklich bestenfalls – mit Unwissenheit zu erklären.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Ha, ha!)

Und die sollte sich nach der Anhörung dann doch gelegt haben, wie ich hoffe.

(Beifall DIE LINKE)

Also, was ich sagen will: Sicherstellungen, auch solche, wie wir sie in unserem Gesetz vorschlagen, werden bereits vorgenommen. Es handelt sich um die Positivierung dessen, was polizeirechtlich ohnehin bereits möglich ist. Aber wir glauben, dass das Gesetz trotzdem notwendig ist, um die Handlungssicherheit für Kommunen zu erhöhen.

Auch die Anzuhörenden, etwa vom Hessischen Flüchtlingsrat,

(Dr. Frank Grobe (AfD): Ganz wichtig!)

sind bei der Anhörung zu dem Schluss gekommen, dass der vorliegende Gesetzentwurf ein Baustein sein kann, um einer akuten Unterbringungsnot zu begegnen. Deswegen appellieren wir an Sie, Ihre ideologischen Scheuklappen fallen zu lassen und den Kommunen eine Maßnahme, die gängig und verfassungskonform in der Bundesrepublik ist, als weiteres Werkzeug an die Hand zu geben und dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Die Kommunen werden es Ihnen danken.

(Beifall DIE LINKE)