Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske zu Autobahnausbauplänen

In seiner 135. Plenarsitzung am 25.05.23 diskutierte der Hessische Landtag über die Forderung den Autobahnausbau zu beschleunigen. Dazu unser Vorsitzender und haushaltspolitischer Sprecher Jan Schalauske

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Tatsächlich: „Beschleunigen statt blockieren“, das müsste das Motto der Mobilitätspolitik im Bund und Land sein, allerdings nicht so, wie es die FDP mit dieser Debatte und mit diesem Antrag hier im Landtag versteht. Die hessische FDP will nicht weniger als die beschleunigte Betonierung der wahnwitzigen Autobahnprojekte von Verkehrsminister Wissing. (René Rock (Freie Demokraten): Nein, das sind die Projekte, die Hessen angemeldet hat!)

Stattdessen bräuchten wir eine mutige und fortschrittliche Politik zugunsten einer sozial-ökologischen Verkehrswende, zugunsten von Bussen und Bahnen, um Mobilität für alle Menschen zu gewährleisten, unabhängig von ihrem Einkommen und unabhängig davon, ob sie sich ein Auto leisten können oder wollen.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten))

Der Ausbau von Autobahnen ist jedenfalls das Gegenteil einer Verkehrswende und hilft uns überhaupt nicht dabei, die Probleme von heute und morgen zu lösen. Die Alternativen dazu müssen gestärkt werden, aber davon war von Ihnen wenig zu hören.

Bereits heute – das verschweigen Sie – besitzen Deutschland und Hessen eines der dichtesten Straßennetze der Welt. Deutschlandweit gibt es sage und schreibe mehr als 13.000 km Autobahn. Auch Hessen ist von einer Vielzahl von Autobahnen durchdrungen. Es mag in Deutschland und in Hessen an vielem fehlen – bezahlbarer Wohnraum, Busse und Bahnen, sanierte Schulen und Sportstätten –, wenn es aber an einem nicht fehlt, dann sind es doch Autobahnkapazitäten.

(Beifall DIE LINKE)

Aber in einem Punkt hat die FDP völlig recht. Viel zu viele Menschen sitzen und stehen tagtäglich auch in Hessen im Stau. Das Problem aber nur: Der Ausbau von Autobahnen oder Autobahnkapazitäten wird daran überhaupt nichts ändern. Im Gegenteil: Wie vielfach empirisch erwiesen, führt der Bau von mehr Straßen zu immer mehr Straßenverkehr. Wer meint, Stau mit Straßenausbau zu bekämpfen, der wird vielleicht ganz kurzfristig die eine oder andere Entlastung erreichen. Langfristig wird er aber wieder mehr Stau produzieren. Aber mit langfristigem Denken hat es die kurzatmige FDP ja eher nicht so.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten))

Breitere Autobahnen führen zu mehr Verkehr, weil sie die Kapazität erhöhen, mehr Autos aufnehmen. Das führt zu einer höheren Nachfrage nach Autofahrten und somit zu mehr Verkehr; und das hilft keinem Pendler im Lande Hessen.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen gilt am Ende doch die ganz einfache Erkenntnis: Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten. Das können wir uns in Zeiten der Klimakrise weder als Gesellschaft noch als Individuen leisten. Für alle Pendlerinnen und Pendler und für alle Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind, müssen wir die Alternativen ausbauen, müssen wir in Busse und Bahnen investieren, müssen wir mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene holen. Aber von alldem ist von der FDP wenig zu hören.

Aber auch bei der Ampel im Bund ist das noch nicht wirklich angekommen. Es gab diese viel genannte Koalitionsausschusssitzung Ende März, über die aber aus meiner Sicht inhaltlich noch viel zu wenig gesprochen wurde. Da gab es nämlich einen beachtlichen Kuhhandel.

Da geht es um die Kategorie für Projekte mit dem Namen „überragendes öffentliches Interesse“. Dieses überragende öffentliche Interesse beschleunigt Planungsverfahren, weil par ordre du mufti von oben festgelegt wird, dass nichts wichtiger sein kann als dieses Interesse. Deswegen werden Prüfungen stark abgekürzt, etwa beim Naturschutz. Eigentlich wurde das einmal für Klimaschutzvorhaben in der Energiewende eingeführt. Man kann auch sagen: durchaus zu Recht. Es geht um Klimaschutz, um überragendes Interesse der Menschheit – alles in Ordnung. Dass dieser Passus jetzt aber ausgerechnet dafür genutzt wird, um Stauschwerpunkte zu beseitigen, ist doch nichts anderes als die Perversion der ursprünglichen Idee.

(Beifall DIE LINKE)

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion ist also aus dem Vorhaben, den Ausbau der Bahn zu priorisieren, auf einmal die Beschleunigung des Autobahnausbaus geworden. Es ist schön, dass die GRÜNEN immerhin noch hineinverhandelt haben, dass es neben den Autobahnen jetzt auch Solaranlagen geben soll. Das ist eine Form pragmatischer Politik, wie wir sie nicht nur von den GRÜNEN in Berlin, sondern auch in Hessen kennen. So sind sie, so lieben wir sie.

Die Vereinbarungen zum Klima im Koalitionsausschuss sind aber ein Angriff auf die Klimaziele, auf das Klimaschutzgesetz. Das Ministerium von Herrn Wissing kann die Klimaziele wiederholt nicht einhalten. Dabei trägt der Verkehr zu den klimarelevanten Emissionen einen Großteil bei, bundesweit mehr als ein Fünftel; in Hessen ist der Anteil noch höher. Der Verkehrssektor reißt seit Jahren die Klimaziele, und jetzt bekommt Herr Wissing noch einen Blankoscheck. Hier hat die Politik der Ampel nichts, aber auch gar nichts mit Fortschritt in Sachen Klimaschutz zu tun.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt hat die Ampel – das ist hier das Begehren der FDP – ganze 30 Autobahnausbauprojekte vorgelegt, die zum überragenden öffentlichen Interesse erklärt werden.

(Zuruf: In Hessen?)

– Ja, in Hessen. – Die gute Nachricht ist: Die Länder haben ein Mitspracherecht. Die schlechte Nachricht: Der grüne Verkehrsmister Al-Wazir gibt 23 von 30 Autobahnausbauprojekten des Bundes einfach so grünes Licht.

Das wundert mich nicht, denn schon beim Ausbau der A 49 – auch so ein Planungsdinosaurier aus der Mitte des letzten Jahrhunderts – haben die GRÜNEN nicht nur einen gesunden Mischwald, sondern letztlich auch den Klimaund Trinkwasserschutz zugunsten milliardenschwerer wirtschaftlicher Interessen geopfert. Wir bleiben dabei: Der Bau der A 49 durch ein Trinkwasserschutzgebiet war und bleibt – das zeigt sich an den Schad- und Giftstofffunden – ein gravierender Fehler. Ein sofortiger Baustopp wäre jetzt das Mindeste, so lange, bis ein Konzept vorliegt, wie der Wasserschutz einer ganzen Region gewährleistet werden kann.

(Beifall DIE LINKE)

Also, zu sieben Projekten an hessischen Autobahnen hat der grüne Verkehrsminister Bedenken angemeldet. 23 von 30 Projekte will er mehr oder weniger durchwinken. Gut, über den Ersatzbau an den Talbrücken der A 49 kann man reden. Das geht noch in Ordnung. Über den Umbau von Autobahnkreuzen rund um Frankfurt kann und muss man sehr kontrovers diskutieren. Aber die A 3 Offenbach–Hanau und die A 5 vom Nordwestkreuz bis nach Friedberg achtspurig auszubauen, ist wirklich aus der Zeit gefallen. Was ist denn die Konsequenz? In der Folge gibt es weitere Blechlawinen; es wird weiterhin asphaltiert und betoniert; und das Problem ist, dass Menschen, die zur Arbeit müssen, nicht genug Alternativen haben.

Statt die ohnehin am Verkehrsinfarkt leidende Rhein-MainRegion weiter zuzubetonieren, sagen wir: Die Schiene muss Vorrang bekommen. Bus- und Bahnverkehr sollten ausgebaut werden. Auch da müssen wir konstatieren, dass in zehn Jahren grüner Regierungsbeteiligung nicht eine Bahnstrecke im ländlichen Raum ausgebaut worden ist.

(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): So ist es!)

Ich möchte zum Schluss noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, der die Republik in diesen Tagen sehr bewegt: Gestern fand gegen die Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ eine Razzia statt. Der Vorwurf lautet: Bildung einer terroristischen Vereinigung.

(Demonstrativer Beifall AfD)

– Ja, dass dies bei Ihnen rechts außen Beifall findet, glaube ich. Die CSU-Politiker überbieten sich seit Wochen mit Vorwürfen. Es wird von einer „Klima-RAF“ schwadroniert; es wird von Terrorismus gesprochen. Man kann und muss über die Aktionen der „Letzten Generation“ streiten. Ich kann jeden verstehen, der sich ärgert, weil er deswegen nicht zur Arbeit kommt. Aber – das will ich deutlich sagen – Menschen, die sich für ein Tempolimit auf Autobahnen, für ein 9-€-Ticket und für einen gesellschaftlichen Klimarat einsetzen, mit Terroristen gleichzusetzen, ist unverhältnismäßig. Das verschärft gesellschaftliche Konflikte und führt in eine Spirale immer weiterer Eskalation.

(Zuruf DIE LINKE: Ja!)

Wir dürfen nicht vergessen, dass uns die „Letzte Generation“ daran erinnert, dass es das Pariser Klimaabkommen gibt, dass es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz gibt. Wer über etwaige Rechtsbrüche von Klimaaktivistinnen und -aktivisten redet, darf über die Brüche dieser wichtigen Verträge nicht schweigen.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, dann sagt der grüne Verkehrsminister Al-Wazir zur „Letzten Generation“ – Zitat –: „Hört bitte auf mit dem Quatsch“. Er sorgt sich um die Radikalität der Klimabewegung. Wir LINKE – das haben wir wiederholt gesagt – sorgen uns mehr um die Radikalität des Klimawandels, um das Unvermögen der Politik im Bund und im Land, der Erderwärmung Einhalt zu gebieten.

Aber ich sage Ihnen, Herr Staatsminister Al-Wazir: Hören Sie auf mit dem Quatsch, Autobahnen auszubauen und die Klimabewegung zu verunglimpfen.

In einem Punkt könnten sich die GRÜNEN in Hessen und die hessische FDP sogar ein Beispiel am wahnwitzigen Wissing nehmen, keinesfalls an seinem Faible für beschleunigten Betonausbau, sondern an seiner Bereitschaft, den Dialog mit der „Letzten Generation“ zu suchen. Ich fordere die schwarz-grüne Landesregierung auf: Laden Sie die Aktivistinnen und Aktivisten zu einem Gipfel in die Staatskanzlei, in das Wirtschaftsministerium oder meinethalben sogar in die FDP-Parteizentrale ein. Reden Sie mit den jungen Leuten.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Herr Schalauske, Sie müssen jetzt ganz radikal zum Schluss kommen.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Genau, ich komme zum Schluss. – Wenn Sie uns schon nicht glauben, dann werden Sie vielleicht im Gespräch mit den jungen Leuten verstehen, warum wir im 21. Jahrhundert vieles für den Fortschritt tun müssen, aber eines sicherlich nicht: Autobahnen ausbauen.

(Beifall DIE LINKE)