Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Neonaziterror bekämpfen – Demokratie und Toleranz fördern

Hermann Schaus

Zum aktuellen Setzpunkt der Linksfraktion

Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

wir haben das Thema Neonazi-Terror erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Zudem liegt ein Antrag der LINKEN vor mit dem Titel: "Neonazi-Terror bekämpfen – Demokratie und Toleranz fördern".

Es ist für DIE LINKE nicht nur ein Skandal, dass in Deutschland und auch in Hessen rechte Terroristen über ein Jahrzehnt lang ungehindert mindestens 10 Morde, 2 Bombenanschläge und 14 Banküberfälle mit Dutzenden weiteren Opfern verüben konnten.

Sondern es ist ein weiterer Skandal, dass das offenkundige Versagen der Sicherheitsbehörden, der Justiz und der Politik nun herunter gespielt wird. Wir reden hier nicht von einem bedauerlichen Betriebsunfall, sondern von Mord und Terror.

Seit 1990 sind in Deutschland über 180 Menschen durch Neonazis umgebracht worden. Die Opfer wurden von den Behörden nicht einmal gezählt, sie fehlen in offiziellen Statistiken. Die nun erst bekannt gewordenen Verbrechen der Zwickauer Terrorzelle werfen ein Schlaglicht darauf, wie das passiert: Gegenüber Neonazis war man offensichtlich blind. Das Problem wurde bei Ausländern gesucht. Die Opfer wurden zu Tätern erklärt.

Wir alle sind deshalb sehr dringend gefordert, dies endlich abzustellen. Damit unser Land endlich ehrlicher wird!

Ehrlicher bei der Benennung der braunen Gefahr, ihrer Strukturen und ihres Nährbodens.

Ehrlicher bei der Anerkennung der Opfer von rechter Gewalt.

Und ehrlicher darin, dass es bei uns tief sitzende Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund gibt.

Das ist nicht nur eine Verantwortung aus der Deutschen Geschichte. Es ist auch unsere politische Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes.

Alle Fraktionen des Hessischen Landtags haben ihr Mitgefühl mit den Opfern ausgedrückt. Das war richtig und wichtig. Aber es reicht natürlich bei Weitem nicht aus. Es gibt bislang kaum erkennbare Konsequenzen. Die Politik ist bis jetzt nicht ehrlicher geworden und das macht mich wütend.

Wer am vergangenen Montag die ARD-Reportage über die Opfer des braunen Terrors und ihrer Familien gesehen hat, der muss vor Scham im Boden versinken. Man hat den Familien gesagt, ihre Söhne, Ehemänner und Eltern seien kriminell gewesen. Man hat die Familien kriminalisiert und ihre wirtschaftliche Existenz bedroht. Der Bruder eines Opfers wurde in Abschiebehaft genommen und ausgewiesen.

Jahrelange Verdächtigungen und Verhöre der Opfer, aber als die wahren Täter endlich feststanden, haben die Behörden die Familien nicht einmal informiert. Geschweige denn, sich entschuldigt. Das ist doch ein Unding!

Der Bürgermeister des kleinen Ortes, aus welchem die von den Nazis erschossene Polizistin Kiesewetter stammte, sagte, die Opfer und ihre Familien würden von den Behörden noch einmal zu Opfern gemacht. Denn das Bundeskriminalamt hat sich nun erdreistet, öffentlich über Verbindungen der Familie Kiesewetter zu Nazis zu spekulieren. Ein weiteres Hirngespinst des BKA. Aber die Familie und der ganze Ort mussten Verdächtigungen, Befragungen und Medienrummel über sich ergehen lassen.

Statt Opferhilfe, Opferbestrafung. Diese fortgesetzte Unfähig- und Verantwortungslosigkeit der sogenannten Sicherheitsbehörden muss uns doch die Schames- und Zornesröte ins Gesicht treiben. Wie lange soll das denn weitergehen, bis endlich Konsequenzen gezogen werden?

In der ARD-Reportage – sie heißt "Acht Türken, ein Grieche und eine Polizistin" – wurde eine für mich zentrale Frage angesprochen, nämlich:

Was wäre gewesen, wenn Ausländer über ein Jahrzehnt lang Deutsche kaltblütig ermordet hätten? Ich will das hier aufgreifen weil es den Finger in die Wunde legt. Wir müssen es uns fragen.

Was wäre die Reaktion der Politik, wenn in Deutschland Türken oder Deutsche mit türkischen Wurzeln über ein Jahrzehnt lang unerkannt gemordet hätten? Mit zahlreichen Unterstützern in politischen Parteien und Organisationen? Wenn Geheimdienste in sehr fragwürdigen Konstellationen mit dieser Szene in Verbindung gestanden hätten?

Man weiß es nicht, aber man kann es sich vorstellen:

Ich glaube, es hätte eine ganze Reihe von Rücktritten in Politik und Behörden gegeben

Ich glaube man hätte die Opfern umfassend unterstützt

Ich glaube man hätte das Unterstützerumfeld verhaftet, deren Organisationen verboten, Behörden durchfilzt, Berufsverbote erlassen und wäre dabei nicht zimperlich vorgegangen.

Ich glaube man hätte weitgehende Sicherheitsgesetze aufgelegt.

Ich will nicht sagen, dass ich das alles für angemessen hielte. Im Gegenteil: Ginge es um Täter ausländischer Herkunft, würde vermutlich weit über das Ziel hinaus geschossen.

Man erinnere sich: Als in Hessen eine einzige Frau ankündigte, in Zukunft verhüllt im öffentlichen Dienst zu arbeiten, da hat Herr Rhein eine sofortige Verordnung erlassen. Das war zwar nur eine Provokation,  keine konkrete Bedrohung. Und trotzdem, wurde blitzschnell gehandelt, sofortige Verordnung, Null-Toleranz in ganz Hessen.

Aber jetzt? Sofortmaßnahmen lehnt Herr Rhein rundweg ab. Man müsse besonnen vorgehen heißt es. Ein NPD-Verbot und Abzug der V-Leute lehnt Herr Rhein auch ab, man brauche V-Leute weiterhin in der Szene. Personelle oder politische Konsequenzen? Gott behüte. Es wurde ja nichts falsch gemacht.

Nur im Detail muss nachgeschaut und vielleicht nachgebessert werden. Aber bloß nicht öffentlich, weil Geheimdienstarbeit muss geheim bleiben, Skandal hin oder her. Das müssen die Öffentlichkeit und Opfer schon verstehen und Rücksicht nehmen auf unsere tollen Behörden.

Im Bundestag verweigerten CDU/CSU, SPD und FDP die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Aufklärung wäre Sache der Länder, heißt es, weil der Bund nichts falsch gemacht hat. Aber auch die Länder wollen nichts falsch gemacht haben und zeigen zurück nach Berlin.

Als einzige bisherige Konsequenz sollen nun ausgerechnet die Geheimdienste noch mehr Kompetenzen erhalten. Dabei hatten die doch seit Jahren alle Kompetenzen. Sie sind aber offenkundig nicht willens oder in der Lage gewesen, den braunen Sumpf auszutrocknen. Das ist doch das Problem.

Nicht nur die Opfer und ihre Familien haben also gute Gründe zu fragen, warum in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen wird. Sondern wir haben die Pflicht, endlich Antworten zu geben.

Wir als LINKE haben regelmäßig, für alle nachlesbar, im Innenausschuss und hier im Parlament die Gefahren durch Neonazis thematisiert.

Aber die Innenminister Bouffier und  Rhein haben genau wie wie CDU und FDP Fraktionen regelmäßig die Gefahren herunter geredet.

Drei kurze Beispiele:

Erstens: Der sogenannte "Schlitzer von Eschzell" stellt einen Treffpunkt für Neonazis aus der ganzen Region her. Er versetzt den ganzen Ort in Angst und Schrecken und hat seinen Partykeller zur Gaskammer umgebaut. Für die Landesregierung ein normaler Nachbarschaftsstreit, kein Rechtsextremismus.

Zweitens: Der NPD-Funktionär Udo Pasteurs hat öffentlich hier in Wiesbaden den Bundestag als "Knesset an der Spree", den deutschen Staat "als Spottgeburt aus Hohn und Dreck" und Barack Obama als "Medien-Affen" bezeichnet. Aber Herr Bouffier meint noch vor wenigen Tagen, die NPD trete seit Jahren sehr zurückhaltend auf. Lesen sie keine Zeitung? Das sind Unterstützer des braunen Terrors! Wo sehen sie denn da Zurückhaltung?

Drittens: Der militante Neonazi Kevin S. wurde zwar vom Verfassungsschutz beobachtet. Er konnte aber völlig ungestraft in Videos der NPD wörtlich zum "Krieg" aufrufen. Er hat dann im Terrorumfeld von Jena Menschen gefährlich verletzt, dann ein paar schwere Übergriffe im Schwalm-Eder Kreis. Alles ungestraft! Es kam zu keiner einzigen Gerichtsverhandlung. Warum beobachtet der Verfassungsschutz den denn über Jahre, ohne zu intervenieren? Der wurde doch sogar in Jena gesucht! Man ließ ihn weiter machen, bis er zuletzt ein 13 jähriges Mädchen nachts schlafend in einem Zeltcamp halb tot geschlagen hat.

Die Freien-Kräfte Schwalm-Eder haben in 2 Jahren zig Straftaten, darunter schwerste Gewalt begangen. Wir haben gefragt, warum ermittelt man nicht wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung? Ginge nicht, hat Herr Bouffier gesagt, ohne zu erwähnen, dass bei denen sogar über 60 Anleitungen zum Bombenbau gefunden wurden. Das haben sie auch wieder einmal verschwiegen. Und natürlich hätte man dann wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermitteln können und müssen! Stattdessen hieß es: keine festen Strukturen, alles spontane Einzeltäter, da kann man nicht ran. Sie haben das wieder einmal runter gespielt, die Unwahrheit gesagt und nun erklären sie doch mal, warum! Das würde mich interessieren.

Ich sage für DIE LINKE: Man hätte in Hessen viel früher und viel konsequenter handeln müssen. Wir haben das hier zig mal eingebracht und wurden von ihnen immer abgeblockt und beschimpft. Erklären sie doch mal, warum! Ich denke, das könnte auch die Öffentlichkeit interessieren.

Wir haben hier erneut einen Antrag mit einer ganzen Reihe wichtiger Vorschläge zum Thema eingebracht. Wir wollen eine ehrliche und offene Aufklärung der Versäumnisse und wir schlagen auch wieder geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung des braunen Terrors vor.

Ich finde den Antrag der SPD zu diesem Thema eine hervorragende Ergänzung. Ich möchte die SPD aber bitten, dementsprechend auch die bestehenden Blockaden bei Kolleginnen und Kollegen im Bund mit aufzulösen. Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss.

Und zuletzt: Dass die Hessen-CDU selbst angesichts von Nazi-Terror keinen Anlass für eine einzige konkrete Maßnahme und angesichts des völligen Versagens von Politik und Sicherheitsbehörden keinen Anlass zur Überprüfung der eigenen Politik sieht, ist eine Schande für Hessen.