Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"AfD passt Wahlentscheidung der TU Darmstadt nicht ihr verqueres Weltbild - daran müssen Sie uns nicht teilhaben lassen!"

Janine Wissler
Janine WisslerWissenschaft

Neubesetzung der Präsidentenstelle der Technischen Universität Darmstadt (Antrag Aktuelle Stunde Fraktion der AfD, Ds. 20/423)

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Die AfD hat eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Neubesetzung der Präsidentenstelle der Technischen Universität Darmstadt“ beantragt. Um was geht es? – Vor einigen Wochen wurde Prof. Tanja Brühl als Präsidentin der TU Darmstadt gewählt, übrigens als erste Frau. Ich will ihr an dieser Stelle ganz herzlich zu dieser Wahl gratulieren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die „Neubesetzung“ war also eine demokratische Wahl an der autonomen Hochschule TU Darmstadt im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung und keine Entscheidung des Ministeriums. Der Universitätsversammlung der Technischen Universität Darmstadt gehören 61 stimmberechtigte Mitglieder an: 31 Mitglieder der Professorengruppe, 15 Studierende, 10 wissenschaftliche sowie 5 administrativ-technische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Von den 61 Stimmen entfielen 51 auf Tanja Brühl. Das mag der AfD jetzt komisch vorkommen,
nennt sich aber Demokratie und akademische Selbstverwaltung, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Nun diskutiert der Landtag üblicherweise nicht über Wahlen, die an Hochschulen stattfinden. Die AfD hat diese Aktuelle Stunde natürlich auch nicht beantragt, um Tanja Brühl zur Wahl zu gratulieren. Um was geht es Ihnen also? – Das haben wir uns wohl alle gefragt, als wir den Antrag auf diese Aktuelle Stunde gesehen haben. Offensichtlich steht Tanja Brühl für vieles, was der AfD suspekt bis zuwider ist – was aber nicht gegen Tanja Brühl
spricht.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Zum einen ist sie eine Frau, eine Frau in einer Leitungsfunktion. Wenn man sich in der AfD-Fraktion so umschaut
– 17 Männer, eine Frau – dann wird schon deutlich: Das kann der AfD nicht ganz geheuer sein – und Ihnen als Burschenschaftler offensichtlich erst recht nicht, Herr Dr. Grobe.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich will darauf hinweisen – erschrecken Sie jetzt bitte nicht –: Ab diesem Sommer werden übrigens drei der fünf
hessischen Universitäten von Frauen geleitet.

(Heiterkeit und vereinzelter Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Zudem ist Tanja Brühl promovierte Gesellschaftswissenschaftlerin, aber auch studierte Biologin. Darauf hat Kollege Grumbach schon hingewiesen. Der Fachbereich Gesellschaftswissenschaften ist ein großer Fachbereich an der TU Darmstadt. Aber der wissenschaftspolitische Sprecher der AfD hat ja heute wieder einmal deutlich gemacht, was er von Geistes- und Sozialwissenschaften hält. Dann beschäftigt sich Tanja Brühl auch noch schwerpunktmäßig mit Friedensforschung und internationaler Umweltpolitik – auch das sind beides nicht gerade Kernkompetenzen und Herzensthemen der AfD, um es ganz vorsichtig auszudrücken.

(Kai Klose (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ei, so was!)

Ich selbst habe Tanja Brühl als Dozentin an der Uni kennengelernt. Ich habe auch bei ihr Seminare besucht. Später
habe ich sie als Vizepräsidentin der Goethe-Uni Frankfurt erlebt, wo sie sich immer für die Belange der Studierenden, für gute Lehre, für soziale Durchlässigkeit, für mehr Wohnheimplätze und soziale Infrastruktur starkgemacht hat. Darauf sind natürlich gerade Studierende aus armen oder aus sogenannten bildungsfernen Elternhäusern besonders angewiesen. Tanja Brühl war zudem Schirmherrin des Academic Welcome Program für Flüchtlinge, das die Frankfurter Uni vor einigen Jahren ins Leben gerufen hat. Das Programm ermöglicht Flüchtlingen eine Chance für eine akademische Ausbildung. Es ist 2015 mit 30 Geflüchteten gestartet, und mittlerweile sind es 140 Geflüchtete.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So viele?)

Die Begründung der Uni lautet: „Weltoffenheit und Solidarität haben an der Goethe-Universität eine lange Tradition“. Tanja Brühl betonte die besondere Verantwortung vor dem Hintergrund, dass 1933 viele Menschen Frankfurt und die Universität wegen ihrer Herkunft oder ihres Glaubens verlassen mussten. Ich will an der Stelle auch darauf hinweisen, dass Tanja Brühl sich immer für die Aufarbeitung der NS-Geschichte der Frankfurter Uni engagiert hat. Als Parteilose gehörte sie dem Schattenkabinett der SPD bei der letzten Landtagswahl an. Das kritisiert die AfD. Das war aber allen bekannt, die sie gewählt haben. Das ist auch nicht völlig außergewöhnlich. Die Präsidentin der Goethe-Universität in Frankfurt war zuvor z. B. Wissenschaftsministerin in Sachsen-Anhalt. Ich hoffe, ich habe Sie damit nicht auf die Idee für weitere Aktuelle Stunden gebracht, falls diese Information für Sie neu gewesen sein sollte.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Ich halte fest: Frau, Friedensforscherin, Umweltpolitik, engagiert sich für Flüchtlinge, tritt für Erinnerungskultur ein
– für die meisten eine angesehene Wissenschaftlerin, aber aus Sicht der AfD offenbar die Personifizierung der vermeintlich links-grün versifften Universitätslandschaft. Ich will darauf hinweisen, dass sich im Landtagswahlprogramm der AfD fast nichts zur Hochschulpolitik findet, nicht einmal eine Seite. Es findet sich aber der bemerkenswerte Satz: „Die Autonomie von Hochschulen und Universitäten muss erhalten bleiben.“ – Was denn nun? Wenn eine autonome Hochschule aber eine Wahlentscheidung trifft, die Ihnen nicht gefällt, dann ist ganz schnell Schluss mit der Autonomie. Deswegen will ich noch einmal deutlich machen, dass Ihre Aktuelle Stunde und Ihre Rede ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit und auf die akademische Selbstverwaltung der Hochschulen sind. Es ist auch ein Versuch, Menschen aufgrund ihrer politischen Haltung zu denunzieren und öffentlich an einen Pranger zu stellen. Das haben Sie mit den Denunziationsportalen für Lehrer gemacht, jetzt knüpfen Sie sich die Hochschullehrer vor. Das ist mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und vereinzelt CDU)

Wir können nachvollziehen, dass sich die AfD mit ihrem verqueren Weltbild über diese Wahlentscheidung der TU
Darmstadt nicht freut. Aber daran müssen Sie uns nicht teilhaben lassen. Verschonen Sie uns also zukünftig mit einem derartigen Unsinn. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)