Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Christiane Böhm: Kita-Personal entlasten, mehr Kita-Plätze schaffen

Christiane BöhmFamilien-, Kinder- und Jugendpolitk

In seiner 84. Plenarsitzung am 30. September 2021 diskutierte der Hessische Landtag zu Platz- und Fachpersonal-Mangel in den hessischen Kitas. Dazu die Rede unserer familienpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben jetzt schon einiges zur Realität in den Kitas gehört. Ich kann an die Ausführungen von Lisa Gnadl anschließen. Der Kita-Personalcheck von ver.di hat uns deutlich gezeigt – immerhin 2.300 Kolleginnen und Kollegen allein in Hessen haben da Auskunft gegeben –, wie die Situation in den Kitas ist. Ich will auf ein paar wesentliche Erkenntnisse aus dieser Debatte eingehen.

Bei 40 % der hessischen Kitas herrscht ein Fachkräftemangel, was dazu führt, dass die Gruppen zu groß sind und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stark belastet werden. Hinzu kommt eine hohe Personalfluktuation. In 70 % der Kitas sind im letzten Jahr Kolleginnen und Kollegen ausgeschieden, oft wegen der schlechten Arbeitsbedingungen. 90 % der Beschäftigten berichten von unbezahlter Mehrarbeit.

Viele Beschäftigte erhalten keine Zeitkontingente für die mittelbare pädagogische Arbeit oder für Anleitungsaufgaben. Die Kommunen haben überhaupt keine Idee, wie sie im nächsten Jahr die Freistellungen für Anleitungen realisieren sollen – ohne die Erzieherinnen und Erzieher und ohne finanzielle Mittel, da sie vom Land nur mangelhaft ausgestattet werden.

Frau Anders, Sie sind darauf eingegangen, dass das eine Aufgabe der Kommunen sei. Vor dem Hintergrund frage ich mich schon: Bekommen Sie gar nicht mit – das kann doch gar nicht sein; denn auch Sie haben doch Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in Ihren Reihen –, welche Eiertänze die Kommunen zurzeit aufführen müssen, um die Finanzierung der Kindertagesstätten auf den Weg zu bringen?

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

In vielen Kommunen ist der überwiegende Teil der Mittel im Haushalt für die Kindertagesbetreuung vorgesehen. Deshalb sind die Kommunen finanziell eindeutig überfordert. Es kann doch nicht sein, dass Sie so blind sind und das überhaupt nicht sehen – außer, Sie wollen es nicht sehen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD – Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde das schon sehr ärgerlich; denn die Kommunen setzen sich nicht hin und sagen: Wir wollen gar keine KitaPlätze und keine Erzieherinnen und Erzieher haben, und wir wollen denen auch kein Jobticket geben. – Das ist keine Sache des Wollens, sondern eine Sache des Könnens. Daher brauchen die Kommunen vom Land mehr Geld.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Die 25 % der Kolleginnen und Kollegen, die nach der ver.di-Umfrage keinerlei Freistellung für die Anleitung erhalten, hätten sich sehr gefreut, wenn Schwarz-Grün im letzten Jahr unseren Gesetzentwurf zur praxisgerechten Anleitung in Kitas nicht einfach ignoriert hätte. Eine verbesserte Anleitung ist wirklich entscheidend für den Verbleib der Kolleginnen und Kollegen nach der Ausbildung im Beruf. An der Stelle möchte ich an die Ausführungen des Kollegen René Rock anknüpfen. Ein zentrales Problem der Kindertagesstätten ist: Sie verlieren viel zu viele Erzieherinnen und Erzieher kurz nach der Ausbildung, teilweise schon während der Ausbildung. Wenn diese die Realität des Berufes sehen, wenden sie sich anderen Betätigungen zu. Hieran müssen wir etwas ändern. Das ist doch das Entscheidende. Es nützt nichts, wenn wir immer und immer wieder anwerben und ausbilden, aber die Leute gehen nach kurzer Zeit wieder weg. Da stimmt doch etwas nicht. Ich denke nicht, dass das an den Kolleginnen und Kollegen oder an den Kita-Leitungen liegt, sondern es liegt an der finanziellen und organisatorischen Ausstattung der Kindertagesstätten.

Nebenbei gesagt: Unser Gesetzentwurf ist nicht exklusiv für DIE LINKE, sondern wir stellen ihn gerne Ihnen allen zur Verfügung.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD – Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur schlechten Personalsituation kommt ein eklatanter Mangel an Kita-Plätzen hinzu. Unsere 26 Kleinen Anfragen zum Thema haben nicht viel Aufklärung gebracht, weil die Landesregierung, wie immer, nichts weiß. Die Antworten auf unsere Anfragen zeigen zumindest, dass wir in den Kommunen weit von einer flächendeckenden Versorgung für alle Kinder im Kindergarten- und im Krippenalter und ihre Eltern entfernt sind.

Da die Landesregierung gar nicht so genau weiß, wie es um die Kitas steht, hat sie auch keinen Plan, wie sie die Probleme zusammen mit den Kommunen angehen will. Sie delegiert die Aufgaben ganz einfach. Sie kann uns noch nicht einmal sagen, wie hoch der Investitionsbedarf für den Kita-Ausbau und die Kita-Sanierung im Land ist – wobei ich denke, dass das Problem nicht an den Investitionen, sondern am mangelnden Personal liegt. Ich denke, hieran wird es besonders deutlich. Geben Sie doch endlich zu, dass das Land hier viel zu wenig unterstützt und in viel zu geringem Umfang finanziert.

Werbekampagnen reichen nicht aus; da hat die Kollegin Gnadl sehr recht. Aber viel mehr kann ich bei SchwarzGrün nicht erkennen. Als meine Fraktion in den letzten Haushaltsanhörungen beispielsweise beantragt hat, die Zahl der Stellen für die praxisintegrierte vergütete Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern auf 1.000 pro Jahr zu erhöhen, haben Sie von den Koalitionsfraktionen, wie üblich, dagegen gestimmt. Wenn ich mir aber Ihren Haushaltsentwurf für das nächste Jahr anschaue, dann sehe ich: Sie reduzieren die Zahl der geförderten Stellen von 600 auf 400. Da frage ich mich wirklich: Ist die Diskussion völlig an Ihnen vorbeigegangen? Merken Sie gar nicht, dass es notwendig und sinnvoll ist, mit der praxisintegrierten vergüteten Ausbildung weiterzumachen? Die Kommunen wünschen sich das auf jeden Fall, können es aber selbst nicht finanzieren. Das wäre eine sinnvolle und notwendige Herausforderung. Bauen Sie die Förderung dieser Ausbildungskapazitäten aus, statt sie zu reduzieren.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Mehr ausbilden, eine bessere Anleitungspraxis, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne und ein besseres Personalkonzept – ich denke, das sind die entscheidenden Anreize, die für eine bessere Ausstattung der Kindertagesstätten notwendig sind. Wenn man der Einrichtung eines runden Tisches, die wir fordern, eine Anhörung vorschalten will, habe ich nichts dagegen. Deshalb kann ich dem zustimmen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)