Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Christiane Böhm über das Gendern

Christiane BöhmFrauen

In seiner 78. Plenarsitzung am 17. Juni 2021 debattierte der Hessische Landtag zum Thema Gendern. Dazu die Rede unserer frauen- und gleichstellungspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Ministerinnen und Staatssekretärinnen, sehr geehrte Kolleginnen, liebe Zuschauerinnen am Livestream! So würde meine Begrüßung im generischen Femininum klingen. Ich habe mir heute vor meiner Rede überlegt, ob ich meine ganze Rede so halte, aber sieben rechte Männer dauerhaft zu Frauen aufzuwerten, kann ich dem Feminismus auf keinen Fall antun.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,

SPD und Sabine Bächle-Scholz (CDU))

Was sich aber so schön zeigt – Ihr Wutschnauben bestätigt das ausdrücklich –: Mitgemeint-Sein, wie es das generische Maskulinum angeblich umsetzt, führt nur zu Ungerechtigkeiten und Ungenauigkeiten. Deshalb entscheiden sich immer mehr Menschen – Frauen wie Männer –, bewusster mit der Sprache umzugehen und die Wirkung patriarchaler Machtverhältnisse in unserer und durch unsere Sprache deutlich zu machen. Ich begrüße das ausdrücklich. Das geschieht freiwillig und ganz ohne Zwang – im Gegensatz zu dem, was uns die Rechtsaußenfraktion heute erzählen möchte.

Was Sie privat machen, ist Ihre Entscheidung – auch Ihre, Frau Claus, es ist Ihre Entscheidung. Ich denke aber, dass deutlich darauf hingewiesen worden ist – es ist auch zitiert worden –, dass es für die Landesregierung natürlich keine private Entscheidung gibt. Es gibt ein Hessisches Gleichberechtigungsgesetz, das deutlich macht, dass es auch in dieser Frage Aufgabe des Landes ist, beide Geschlechter sowie nicht binäre Personen mit zu meinen und mit zu bezeichnen. Keinem Menschen entstehen gesellschaftliche Nachteile, wenn er oder sie auf das Gendern verzichtet. Es gibt nur eine Seite hier, die Zwang ausüben möchte. Das sind die Konservativen mit ihren Verbotsforderungen und ‑fantasien, will ich sagen.

Das ist nicht Ihr einziges Problem, wenn ich ein bisschen weiter in die andere Richtung gehe. Friedrich Merz ist heute schon erwähnt worden, der auch gerne ein Verbot fordert. Wir haben es gemerkt: Es gibt auch in der CDULandtagsfraktion deutliche Probleme, wie ernst man das mit diesem Gendersternchen und dem Umgang damit, dass alle Geschlechter gemeint werden sollen, nimmt, wie man das umsetzt und ob man das überhaupt umsetzen kann.

(Robert Lambrou (AfD): Hört, hört!)

Wer es Menschen verbieten will, aus freien Stücken geschlechterbewusste Sprache zu verwenden, der hat ganz deutlich einen Minderwertigkeitskomplex. Das illustriert auch Ihr Antrag. Sie wollen in Punkt 4 tatsächlich, dass der Landtag Ihnen dazu gratuliert, nicht zu gendern. Sie haben es nötig, um die Anerkennung der Altparteien, wie Sie sie titulieren, zu buhlen. Das ist übrigens bezeichnend, dass das konservative Establishment und der rechte Rand massiv um ihre Hegemonie in Wertefragen fürchten. Sie wissen ganz genau, dass Sie diesen Kampf über kurz oder lang verlieren werden, weil insbesondere viele junge Menschen keinen Bock mehr auf Ihren Sexismus und die Allüren alter weißer Männer haben, die bei Ihnen konstituierend sind.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wir erleben aktuell, dass der jahrhundertealte Standard, dass Männer glauben, allen anderen die Welt erklären und die Regeln bestimmen zu können, endlich ins Wanken gerät. Obwohl diese Männer glauben, dass der Feminismus und alles, was damit zusammenhängt, ein schlechter Witz seien, müssen sie doch unbewusst zur Kenntnis nehmen, dass es ihre, zumindest für sie selbst, schöne alte Zeit nie wieder geben wird. Gegen diese Bedrohung ihrer eigenen Männlichkeit teilen sie nun in alle Richtungen aus, und das ist der heute vorliegende Antrag.

(Lachen Robert Lambrou (AfD))

Wissen Sie, warum sich der Typus des alten weißen Mannes so über das Gendern empört? Nicht, weil, wie es immer wieder behauptet wird, unser Kulturgut Sprache verhunzt wird. Jedes Kulturgut unterliegt fortwährenden Veränderungen oder Neuinterpretationen. Sonst geht es unter und verliert jegliche Relevanz. Gebäude werden restauriert, Gedichte und Bilder neu interpretiert, Musikstücke neu gemixt. Sprache entwickelt sich weiter.

Nein, Sie haben Angst vor einer geschlechterbewussten Sprache, weil sie funktioniert. Dazu gibt es zahllose Untersuchungen. Nadine Gersberg ist vorhin darauf eingegangen. Das brauche ich nicht zu wiederholen.

Sprache löst bei uns allen Assoziationen aus. Gendergerechte Sprache macht die Vielfalt unserer Gesellschaft sichtbar und hörbar, eine Vielfalt, die Sie als Rechtsaußenfraktion ablehnen und deshalb sprachlich verbieten wollen.

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin Böhm, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Lambrou?

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Auf keinen Fall. Ich werde von dieser Fraktion niemals eine Zwischenfrage gestatten.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD – Zurufe)

– Selbst nach einer Geschlechtsumwandlung nicht. – Das generische Maskulinum grenzt die Mehrheit der Bevölkerung aus, nämlich alle Frauen und alle Menschen, die sich nicht dem starren binären Geschlechtsbild unterordnen wollen oder können. Das ist nur ein weiteres Herrschaftsinstrument des Patriarchats.

Das ist aber nur ein kleiner Baustein. Die Ausbeutung und Sexualisierung des weiblichen Körpers ist damit genauso wenig aufgehoben wie die ökonomische und sonstige gesellschaftliche Schlechterstellung von Frauen.

Geschlechtergerechte Sprache kann das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten erhöhen. Sie löst aber nicht die Diskriminierung und Missachtung auf. Sie reduziert auch keine sexualisierte Gewalt.

Deshalb ist es die wirkliche Aufgabe dieses Landtages, die patriarchalen Macht- und Eigentumsverhältnisse weiter aufzubohren. Warum sitzen denn in diesem Landtag gerade einmal ein Drittel Frauen? Warum glaubt ein grüner Wirtschaftsminister, dass es in Ordnung ist, auch noch zwei Männer zu Staatssekretären zu machen?

(Beifall DIE LINKE)

Warum finden sich im Verhältnis nur wenige Frauen in Führungspositionen, sei es in der Wirtschaft oder in den Ministerien? Warum kommen von dieser Landesregierung bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention vorwiegend Ausflüchte und Worthülsen statt wirkliche Taten? Warum glaubt noch immer ein Teil dieser Gesellschaft, dass das Equal Pay Gap, das Equal Pension Gap und das Equal Care Gap hinnehmbare Zustände seien?

Das Vermögen der 2.000 Milliardäre der Welt ist in einem Jahr um 54 % gestiegen. Männer besitzen davon 50 % mehr Vermögen als Frauen. Das hängt zusammen mit der unbezahlten Arbeit in der Pflege und Fürsorge.

Warum glaubt ein Hedgefonds-Manager immer noch, dass sein gesellschaftlicher Beitrag wertvoller sei, weswegen er Hunderte Male höher zu vergüten sei als die Pflegekraft, die seine Eltern pflegt, als die Erzieherin, die seine Kinder aufzieht, oder als die Reinigungskraft, die sein Haus und sein Büro putzt? Es gibt keine Rechtfertigung dafür. Insofern ist es dringend Zeit, diese falsche Geschlechterordnung endlich umzustürzen.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Dr. Frank Grobe (AfD))

– Nein, einen Umsturz. – Ich habe eine schlechte Nachricht für alle Machos dieser Welt inklusive dieser Rechtsaußenfraktion: Ihr werdet scheitern.

(Beifall DIE LINKE – Lachen AfD)

Unsere feministische Bewegung ist lustvoll, solidarisch, schön und mitreißend. Es sind unsere Körper und unsere Leben, die wir selbstbestimmt gestalten wollen und werden. Wir wollen lieben, Händchen halten und Sex haben ohne moralische Kategorien, und ohne euren vermeintlich eindeutigen Geschlechtsbildern unterworfen zu sein.

(Zuruf Robert Lambrou (AfD))

Wir befreien Frauen, trans- und intergeschlechtliche Menschen und auch Männer aus stereotypen Rollenbildern und Klischees. Gegen diese Versprechen werden alle Verbotsfantasien über kurz oder lang machtlos sein.

Ich danke allen Feministinnen und schließe mit dem Motto der Bildungsinitiative Pinkstinks: „Die Zeiten gendern sich“. – Ich füge hinzu: ob es Ihnen passt oder nicht. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)