Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Allein in Hessen gab es in den vergangenen zwölf Monaten Hunderte Fälle rassistischer, antisemitischer, fremdenfeindlicher und neonazistischer Bedrohung und Gewaltdelikte"

Hermann Schaus
Hermann SchausAntifaschismusInnenpolitik

Für die konsequente Bekämpfung jedweder Form des Extremismus (Dringlicher Entschließungsantrag Fraktion der AfD, Ds. 20/1283)

 

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Fälle von Bedrohung und Gewalt durch extreme Rechte haben in Deutschland und in Hessen ein schreckliches Ausmaß erreicht, sodass eine gesellschaftliche und politische Reaktion dringend nötig ist.

(Beifall DIE LINKE)

Seit 2015 ist ein dramatischer Anstieg der Zahl von Bedrohungen und Gewalttaten durch Rechte zu verzeichnen. Allein in Hessen gab es in den vergangenen zwölf Monaten Hunderte Fälle rassistischer, antisemitischer, fremdenfeindlicher und neonazistischer Bedrohung und Gewaltdelikte. Sogar im Bericht des Geheimdienstes, der bekanntlich nicht gerade die Speerspitze im Kampf gegen die extreme Rechte ist, ist nachzulesen, dass die Zahl politischer Straftaten der extremen Rechten die Zahl aller anderen politischen Straftaten zusammengenommen um mehr als das Dreifache übersteigen. Dies zeigt den Ernst der Lage.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Im Internet gab es einen dramatischen Anstieg von Fällen der Hasskriminalität. Nach Angaben der Landesregierung wird das strafrechtlich aber nur in den seltensten Fällen geahndet. Wir haben nachgefragt: Von 350 Beleidigungen und Drohungen, die alleine vor dem Mord an Dr. Walter Lübcke ausgesprochen wurden, hat die Justiz nur zehn Fälle verfolgt und am Ende nicht einen einzigen Fall geahndet. Wie kann das sein? In Hessen gibt es zunehmend Bomben- und Gewaltdrohungen gegen Amtsgebäude und Amtsträger. Der Hessische Rundfunk hat jüngst dargestellt, wie groß das Ausmaß der
Bedrohung von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern ist. Es gibt Hunderte von Betroffenen. Seit nunmehr über einem Jahr gibt es Morddrohungen gegen eine Frankfurter NSU-Opferanwältin und ihre Familie. Die Drohungen werden stets mit „NSU 2.0“ unterschrieben. Sie enthielten Behördendaten, abgerufen von einem Polizeicomputer des 1. Polizeireviers in Frankfurt. In der rechten Szene kursieren diverse Listen mit bis zu 25.000 flüchtlingsfreundlichen Personen. Eine „Atomwaffendivision“ droht mit apokalyptischen Gewaltfantasien. Ein sogenanntes Staatsstreichorchester verspricht Attentätern Geld, um bestimmte Personen zu töten. Flüchtlingsunterkünfte, Flüchtlingshelfer, Wohnprojekte und Einrichtungen in Hessen wurden bedroht und angegriffen. So schlimm und abscheulich schon all das ist, es bleibt leider nicht bei Drohungen: der Mord an dem Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, der Mordversuch am Eritreer Bilal M. in Wächtersbach, der Beschuss von Migrantinnen und Migranten mit Stahlkugeln in Taunusstein. Das sind schwerste Straftaten gegen das Leben, die offenkundig von Neonazis und Rassisten begangen wurden, und zwar nur aus einem Grund: Hass auf Menschen mit anderem Aussehen oder anderer Herkunft. Das ist unsagbar schäbig und niederträchtig.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wir müssen die Täter stellen und das Neonaziumfeld austrocknen. Seit einem Jahr reißen auch die Berichte über inzwischen mehrere Dutzend hessischer Polizistinnen und Polizisten nicht ab, die sich rassistisch und ausländerfeindlich betätigt haben sollen. Auch die Zahlen gehen leider weiter in die Höhe. Hessen hat sich als Reaktion auf den Terror des sogenannten NSU vorgenommen, dafür zu sorgen, dass Vergleichbares nie wieder passiert. Die Realität ist aber: Es laufen aktuell mehrere Prozesse und Ermittlungsverfahren in Hessen, Bayern und beim Generalbundesanwalt gegen die militante Neonazivereinigung Combat 18, gegen die militante Neonazivereinigung Aryans, gegen den hessischen Bundeswehrangehörigen Franco A. und sein Umfeld in Hessen sowie gegen das Umfeld des mutmaßlichen Lübcke-Mörders Stephan E. Das wird immer größer. Rechter Terror ist in Hessen leider Realität, auch nach den NSU-Morden. Auch die Berichte und die Verfahren gegen neonazistische Gruppen innerhalb anderer Behörden reißen nicht ab. Von besonderer Bedeutung sind die sogenannten Kreuzgruppen, in welchen sich Soldaten und Polizisten zusammen mit Neonazis organisiert haben, um Anschläge an einem Tag X zu verüben. Meine Damen und Herren, das war eine lange Auflistung, und sie ist schrecklich; aber es ist nötig, klar auszusprechen, wie ernst, konkret und alltäglich die Bedrohung und die schwere Gewalt durch die extreme Rechte und durch Neonazis sind. Es ist nötig, die Fehler nicht zu wiederholen, die uns seit dem NSU-Komplex schmerzhaft begleiten. Deshalb führen wir diese Debatte hier und heute.

(Beifall DIE LINKE)

Alle Fraktionen müssten unserem Entschließungsantrag eigentlich zustimmen – alle außer der AfD natürlich, die für die Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas mit Verantwortung trägt.

(Robert Lambrou (AfD): Das stimmt nicht! Ausgrenzung! – Zuruf AfD: Das ist eine Unverschämtheit!)

Ich habe die Worte des Ministerpräsidenten vernommen, der sich wiederholt gegen rechte Hetze im Internet gewandt und intensive Strafverfolgung angekündigt hat.

(Robert Lambrou (AfD): Was haben wir damit zu tun?)

Ich habe den Innenminister gehört, der das Waffengesetz verschärfen will. Ich habe auch die Stimmen bei den GRÜNEN vernommen, die sich für eine weitere Aufarbeitung des NSU-Komplexes im Zusammenhang mit dem Lübcke-Mord ausgesprochen haben. Aber das muss jetzt auch passieren. Ankündigungen reichen uns nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Erstens. Wir fordern, dass Repräsentanten oder Mitglieder rechtsradikaler oder neofaschistischer Parteien in oder durch öffentliche Ämter nicht geehrt werden. Ich denke, hier ist klar, was wir meinen. Die Gemeinde Altenstadt wurde dadurch leider weltweit bekannt. Zweitens. Wir fordern, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Präventionsprogramme gegen Rechtsextremismus gestärkt werden müssen. Ich fordere alle auf, in den Haushaltsberatungen dafür einzutreten. Lassen Sie uns die Mittel und die Möglichkeiten dieser Programme weiter erhöhen. Drittens. Hass-Postings im Internet müssen verfolgt werden, wie jede andere Beteiligung und Bedrohung auch. Es kann nicht sein, dass hier faktisch keine Strafverfolgung stattfindet. Herr Ministerpräsident, ein Hashtag ersetzt keine Politik und keine Strafverfolgung.

(Beifall DIE LINKE und Marius Weiß (SPD))

Es braucht eine zentrale Meldestelle, eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die sich daransetzt, die Anzeigen abzuarbeiten. Konsequente Strafverfolgung nach den bestehenden Gesetzen ist und bleibt notwendig. Viertens. Wir fordern eine konsequente Strafverfolgung von rechter Bedrohung und Gewaltdelikten. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit. Wir haben die Zahlen abgefragt, und die sind unbefriedigend. Wir fragten nach Mord-, Gewalt- und Bombendrohungen durch Rechtsextremisten seit 2015. Als Antwort wurden uns 350 Fälle genannt. Aber wie kann das sein, wenn gegen Walter Lübcke
vor dem Mord alleine 350 Drohungen ankamen – dazu bei Hunderten Amtsträgern in Hessen, bei der NSU-Anwältin und bei Landrat Pipa? Das sind doch mehrere Hundert im Jahr. Entweder stimmt die Statistik nicht, oder wir haben eine riesige Dunkelziffer.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Deshalb wäre es so wichtig und richtig, die von den LINKEN und von der SPD so lange geforderte Dunkelfeldstudie endlich durchzuführen. Fünftens. Wir fordern, militante Neonazigruppen wie Combat 18 und Oidoxie endlich zu verbieten

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und AfD)

Sechstens. Auch bei dieser Forderung müsste eigentlich Einigkeit bestehen: eine konsequente Verschärfung des Waffen- und Sprengstoffgesetzes mit dem Ziel, Personen mit erkennbar menschenfeindlicher, rassistischer oder neonazistischer Orientierung sämtliche Zugänge zu Waffen und Sprengstoff dauerhaft zu verwehren. Wir wissen, der Waffenvermittler des Lübcke-Mörders ist selbst militanter Neonazi und konnte sich trotzdem legal Waffen besorgen und sich Zugang zu Sprengstoff verschaffen. Damit muss Schluss sein.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Siebtens. Wir fordern eine konsequente Disziplinierung und gegebenenfalls auch strafrechtliche Ahndung menschenfeindlicher, rassistischer und neonazistischer Äußerungen und Betätigungen im öffentlichen Dienst, insbesondere bei den Sicherheitsbehörden. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass hier erhebliche Versäumnisse vorlagen. Achtens. Das ist gerade aktuell: Wir brauchen endlich eine Offenlegung und Aufarbeitung der Erkenntnisse von Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Der NSU-Komplex und die politische Aufarbeitung haben tiefe Wunden hinterlassen. Die Geschichte scheint sich ständig zu wiederholen. Es ist doch offensichtlich – das hat der Innenminister nun auch eingeräumt –, dass die Einschätzung des Verfassungsschutzes des wahrscheinlichen Lübcke-Mörders und seines Neonaziumfelds im Jahr 2015 wieder falsch war. Die Akten hätten 2015 nicht aus dem
Verfassungsschutzsystem gelöscht werden dürfen. Sie hätten dem NSU-Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt werden müssen.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Herr Schaus, kommen Sie bitte zum Ende.

Hermann Schaus (DIE LINKE):
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Es ist gerade mitgeteilt worden, dass der Generalbundesanwalt den NSU-Bericht des Verfassungsschutzes, in dem Stephan E. elfmal genannt wird und in dem auf mögliche Zusammenhänge verwiesen wird, nach vier Monaten noch immer nicht bekommen hat, obwohl hier Mord- und Terrorermittlungen laufen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja!)

Zudem hat heute das Netzwerk „Exif – Recherche & Analyse“ mitgeteilt – hier ist das Foto, Herr Präsident – –

(Der Redner hält ein Foto hoch.)

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Sie müssen aber zum Schluss kommen.

Hermann Schaus (DIE LINKE):
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Hier ist das Foto, das den mutmaßlichen Mörder Stephan E. und Markus Hartmann zeigt, die am 1. September 2018 gemeinsam an einer berühmten Demonstration der AfD in Chemnitz teilgenommen haben. Das ist die Demonstration, bei der auf Polizisten und auf Ausländer eingeprügelt wurde.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:
Herr Schaus, bitte letzter Satz.

(Manfred Pentz (CDU): Das ist ein sehr langer Schluss!)

Hermann Schaus (DIE LINKE):
Insofern sind Sie mit in der Verantwortung für das, was hier alles passiert. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD – Robert Lambrou (AfD): Nein, das sehe ich anders! Sie machen es sich sehr einfach!)