Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Elisabeth Kula - Sprachförderung: Hessen braucht endlich ein Gesamtkonzept

Elisabeth Kula
Elisabeth KulaBildung

In seiner 53. Plenarsitzung am 29. September 2020 diskutierte der Hessische Landtag über eine Änderung des hessischen Schulgesetzes, welche Sprachvorlaufkurse nun verpflichtend regeln will. Dazu die Rede unserer bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Heute soll ein Gesetzentwurf der regierungstragenden Fraktionen verabschiedet werden, für den die Opposition eine Anhörung einfordern musste, weil CDU und GRÜNE eine solche für nicht notwendig erachtet haben. Im Nachhinein muss man sagen: Gut, dass wir zumindest auf einer schriftlichen Anhörung bestanden haben; die Stellungnahmen fast aller Anzuhörenden haben das gezeigt. Sie waren nämlich kritisch, wie die Vorrednerinnen und Vorredner gesagt haben.

(Beifall Manuela Strube (SPD))

Ob das der Personalrat war, die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte oder Gemeinsam leben Hessen – überall dort gab es substanzielle Kritik am Gesetzentwurf.

Ich finde es schon bezeichnend, dass Herr Schwarz von der CDU-Fraktion dann im Ausschuss davon spricht, dass der Gesetzentwurf dem politischen Willen der regierungstragenden Fraktionen entspreche. Damit bringt er nämlich zum Ausdruck, dass ihm inhaltliche Argumente völlig egal sind. Vielmehr ist das Ihr politischer Wille, und dann wird das so gemacht. Das halte ich aus einer parlamentarischen Perspektive für sehr problematisch, aber es wirft vor allen Dingen ein schlechtes Licht auf Sie als regierungstragende Fraktion; damit müssen Sie dann umgehen.

GRÜNE und CDU wollen mit diesem Gesetzentwurf die bereits existierenden schulischen Vorlaufkurse für KitaKinder, die ein Jahr vor der Einschulung nicht die notwendigen Deutschkenntnisse mitbringen, verpflichtend machen. Das ganze Vorhaben ist eingebettet in die Kampagne des Kultusministeriums zur Förderung der Bildungssprache Deutsch.

Bisher besuchen schon 95 % der Kinder, bei denen im Rahmen des Schulaufnahmeverfahrens ausreichende Deutschkenntnisse nicht festgestellt wurden, ebendiese Vorlaufkurse. Es geht jetzt also nur um die 5 %, die das freiwillige Angebot noch nicht wahrnehmen. Sie sagen selbst, das sind ganze 692 Kinder.

Wenn man feststellt, dass nicht alle an einem freiwilligen Angebot teilnehmen, wäre es erst einmal notwendig gewesen, dieses Angebot zu evaluieren: Wie laufen diese Vorlaufkurse eigentlich? Warum nehmen denn diese fast 700 Kinder nicht daran teil? Was muss man an diesem Instrument vielleicht verändern? Möglicherweise nehmen diese 5 % nicht an den Vorlaufkursen teil, weil ihre Eltern keine Möglichkeit haben, ihre Kinder vormittags aus der Kita abzuholen und in eine Schule zu fahren, um sie anschließend wieder in die Kita zu bringen. In welcher Form wird überhaupt für diese Vorlaufkurse geworben? Gibt es die entsprechenden Infomaterialien in den notwendigen Sprachen, die die Eltern vor Ort sprechen? Gibt es vielleicht in der Kita andere Angebote der Sprachförderung, sodass die Notwendigkeit, zusätzlich einen schulischen Vorlaufkurs zu besuchen, nicht gegeben ist? Mit all diesen Fragen der praktischen Umsetzung dieser Vorlaufkurse hätte man sich im Rahmen einer richtigen Evaluation auseinandersetzen müssen, bevor man ein Gesetz auf den Weg bringt.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Stattdessen setzt man jetzt auf Zwang – ich finde sehr interessant, dass die GRÜNEN ein Zwangsinstrument gutheißen –, ohne zu wissen, wo es wirklich klemmt. Das haben die Anzuhörenden Ihnen wirklich um die Ohren gehauen. Der Kultusminister musste in der letzten Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses zugeben, dass er die Gründe dafür, dass diese 5 % nicht am freiwilligen Angebot teilnehmen, nicht kennt. Das würde man ja dann sehen, wenn man die Teilnahme verpflichtend gemacht hat.

(Heiterkeit Christiane Böhm (DIE LINKE))

Das ist eine perfide Logik: Wir wissen nicht, welche Gründe es gibt, dass Eltern ihre Kinder nicht in die Vorlaufkurse schicken; aber wir sanktionieren sie jetzt mit Bußgeldern. – Das kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein, meine Damen und Herren von der Koalition.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich fand sehr interessant, was Frau Anders gesagt hat; ich habe sehr gut zugehört. Scheinbar weiß sie mehr als wir, oder sie behauptet, etwas zu wissen, was wir nicht wissen. Diese Vermutungen, was die Eltern davon abhält, fand ich sehr interessant. Ich würde mir an Ihrer Stelle genauer darüber Gedanken machen, ob alles, was Sie gerade gesagt haben, so in Ordnung ist.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die Anzuhörenden haben auch fachlich manches an der Umsetzung der Vorlaufkurse auszusetzen. Es war fast einhellige Meinung, dass Sprachförderung im Sinne des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans am besten in der Kita aufgehoben ist.

(Christiane Böhm (DIE LINKE): Bravo!)

Die Vorlaufkurse in der Schule werden von vielen der Anzuhörenden eben nicht als die beste Möglichkeit der Sprachförderung gesehen. Stattdessen wünscht sich z. B. das Evangelische Büro Hessen bessere Arbeitsbedingungen und Fachkraft-Kind-Relationen in den Kitas.

Außerdem wurde oft darauf hingewiesen, dass in den vergangenen Jahren an einigen Stellen schon eine enge Kooperation zwischen Kitas und Grundschulen entstanden ist, die als Best-Practice-Beispiele gelten können und ausgeweitet werden müssen. In diesen Fällen findet nämlich ein Vorlaufkurs an der Kita selbst statt, und es gibt eine enge pädagogische Zusammenarbeit zwischen Erzieherinnen und Grundschullehrkräften. In diesen Fällen werden die Kurse dann eben auch besser von den Eltern angenommen. Also wäre doch auch hier ein Hebel, um das Angebot noch attraktiver zu machen.

Insgesamt kann man festhalten: Ja, Sprachförderung im Vorschulalter ist wichtig und kann ein Instrument für mehr Bildungsgerechtigkeit sein, aber eine vorgelagerte Schulpflicht – maßgeblich für Kinder aus migrantischen Familien, wie von Frau Anders gerade bestätigt wurde – ist kein geeignetes Instrument dafür. Im Gegenteil: Eine verpflichtende Teilselektion unter Androhung von Bußgeldern wird nicht dazu beitragen, dass die betroffenen Kinder bessere Bildungschancen haben. Es kann sich sogar negativ auf die Bildungsbiografie auswirken.

Stattdessen braucht es in Hessen endlich ein fachliches Gesamtkonzept zur Sprachförderung, das auf Inklusion setzt und die Systeme Kita und Grundschule eng miteinander verzahnt. Dazu gibt es bereits ein Kooperationsprojekt mit der Pädagogischen Hochschule Heidelberg – es heißt „Landkarte sprachlicher Bildung und Förderung in Hessen“ –, welches noch bis 2023 läuft. In diesem Rahmen werden eine tiefgreifende Bestandaufnahme durchgeführt und Bedingungen erarbeitet, unter denen gute Sprachförderung gelingen kann. Zumindest diese fachliche Expertise, die Sie selbst in Auftrag gegeben haben, gilt es doch abzuwarten, bevor man gesetzgeberisch aktiv wird. Ansonsten fragt man sich: Warum gibt es dieses Kooperationsprojekt? Warum wird dafür Steuergeld ausgegeben?

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Anstelle eines Alleingangs von Herr Lorz hätte es also einer intensiven Evaluation und Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium bedurft, um die vorschulische Sprachförderung wirklich zu verbessern.

(Christiane Böhm (DIE LINKE): Da müssen die doch miteinander reden!)

– Ja, das ist schon schwierig, das stimmt.

Dass jetzt für diese 692 Kinder noch 210 neue Lehrerstellen geschaffen werden sollen, zeigt noch einmal, dass Sie bereit sind, für eigene Prestigeprojekte Mittel zur Verfügung zu stellen, die an anderer Stelle hart erkämpft werden müssen. Eine Schüler-Lehrer-Relation von 1 : 3 – welch utopische Zustände, wenn es der politische Wille der Landesregierung ist. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)