Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske zur Debatte um die europäische Wirtschaftspolitik

Jan Schalauske
Jan SchalauskeEuropaHaushalt und FinanzenWirtschaft und Arbeit

In seiner 59. Plenardebatte am 12. November 2020 diskutierte der Hessische Landtag auf Antrag der AfD über die europäische Wirtschaftspolitik in der Corona-krise. Dazu die Rede unseres finanzpolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Ich befürchte, dass der Redebeitrag des Mannes der Identitären Bewegung, Lichert,

(Andreas Lichert (AfD) schüttelt den Kopf.) eben nicht das Ergebnis eines nächtlichen Ausflugs in eine Shisha-Bar gewesen ist, sondern ein Beleg der verquasten Ideologie der Neuen Rechten, die mit ihm und der AfD in den Hessischen Landtag Einzug gehalten hat. Ich habe weniger Angst vor Ihren Worten, aber ich befürchte, viele Menschen müssen davor Angst haben, was passiert, wenn Sie irgendwann einmal an die Macht kommen. Aber das werden wir mit aller Kraft verhindern.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Freie Demokraten)

Leider kann ich nicht besonders versöhnlich weitermachen. Der Setzpunkt, den Sie uns vorlegen, den Sie „Politische Trittbrettfahrerei“ nennen, müsste eigentlich „Politische Trittbrettfahrerei – AfD will soziale Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Kapitalismus erhalten und verstärken“ heißen.

Angesichts der Pandemie ist Ihnen leider Ihr geliebtes Hauptthema, nämlich Hetze und Ausgrenzung Andersdenkender und Geflüchteter, abhandengekommen. Jetzt versuchen Sie es mit Trittbrettfahrerei.

(Zurufe AfD)

Im Einzelnen ist der Antrag gar kein Antrag mit einer sinnvollen und logischen Struktur. Vielmehr handelt es sich um eine Tirade quasi quer durch den Gemüsegarten. Aber das Problem ist: Das Ergebnis ist nicht allzu appetitlich. Sie mixen ideologisch getränkte Forderungen der Haushaltspolitik und Angriffe auf die Geldpolitik der EZB mit Forderungen, den Klimaschutz besser abzuschaffen, zu einem ziemlich unverträglichen Cocktail.

Man fragt sich natürlich – der Kollege Decker hat das auch gemacht –: Was wollen Sie eigentlich mit diesem Antrag? Ich bekomme den Eindruck, dieser Antrag ist der verzweifelte Versuch, mit Blick auf die Restfraktion der AfD den Laden irgendwie zusammenzuhalten und eine ideologische Brücke zwischen den neoliberalen und völkischen Rechten innerhalb der eigenen Partei zu schlagen. Schade nur, dass Sie dafür den Hessischen Landtag am Donnerstag um 18 Uhr bemühen müssen.

(Beifall DIE LINKE)

Nebenbei betreibt die AfD damit auch, wie ich gesagt habe, Trittbrettfahrerei; denn Sie versuchen, die Pandemie als Aufhänger dafür zu nehmen, Ihre antisoziale Wirtschaftsund Finanzpolitik zu propagieren.

(Zuruf Dr. Frank Grobe (AfD))

Aus meiner Sicht ist auch wichtig, wenn sich das Ganze hier schon abspielt, dass die Menschen wissen, welche antisozialen und antiökologischen Vorstellungen die AfD hiermit zu transportieren versucht. Sie beklagen die Tendenz, in der Krise zu hohe Ausgaben zu tätigen. Das sei gegen die Generationengerechtigkeit, und es müsse unbedingt Ausgabenbegrenzungen geben. Staatliches Handeln allgemein in der Wirtschaft solle begrenzt werden.

Ich übersetze das einmal. Die AfD fordert damit einen schlanken Staat für freie Bürger. Was Sie damit meinen, ist Sozialabbau und eine unternehmerfreundliche Umverteilung. Sie wollen eine verschärfte völkisch orientierte, neoliberale Wirtschaftspolitik propagieren, mehr Markt und weniger Staat. Sie setzen dabei auf die Ausgrenzung derer, die in Ihren Augen nichts leisten. Das können Arbeitslose sein oder, wie Sie es in Ihren Wahlprogrammen formulieren, „Sozialschmarotzer“ oder auch Flüchtlinge.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Was?)

Das machen wir nicht mit. Dem stellen wir uns deutlich entgegen.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Das ist nicht die Wahrheit!)

– Das ist Ihr Programm.

(Beifall DIE LINKE)

Zweitens. Sie nehmen kommende Generationen für Ihre neoliberale Haltung in Geiselhaft und wollen ihnen eine marode Infrastruktur, einen mangelnden Sozialstaat, bröckelnde Schulen, Straßen und Schienen hinterlassen. Das Problem ist, dass Sie mit Ihren antisozialen Wirtschaftsund Finanzvorstellungen nicht nur in den Fünfzigerjahren, sondern beim Stand der Wirtschaftswissenschaft aus den 1920er-Jahren hängen geblieben sind, als – ich habe es schon einmal gesagt – Hungerkanzler Brüning

Präsident Boris Rhein:

Herr Kollege Schalauske, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herr Lambrou zu?

Jan Schalauske (DIE LINKE):

– lasse ich nicht zu – in der Weltwirtschaftskrise 1929 stand. Die AfD ist nicht nur im Grundsatz, sondern auch finanzpolitisch auf dem Stand von vor 100 Jahren stehen geblieben. Schön, dass Sie das der hessischen Bevölkerung mit Ihrem Antrag noch einmal deutlich gemacht haben.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Sie beklagen eine Transferunion in der Europäischen Union. Der Wiederaufbaufonds der EU sieht tatsächlich erstmals direkte Zahlungen an die Mitgliedstaaten vor. Sie erwecken damit allerdings den Eindruck, dass damit zwangsläufig die kleinen Leute in Deutschland für viel reichere Länder zahlen müssen. Dazu möchte ich Ihnen sagen: so ein Quatsch. Schauen Sie sich die Lage in vielen Teilen Europas an, im Süden, im europäischen Osten. Schauen Sie sich an, zu welchen Löhnen die Menschen schuften, mit wie viel Arbeitslosigkeit sie konfrontiert sind.

Wir lassen es Ihnen nicht durchgehen, dass Sie versuchen, Menschen verschiedener Nationen und verschiedener Völker gegeneinander auszuspielen. Für uns jedenfalls verläuft die Grenze nicht zwischen den Menschen der Länder der Europäischen Union, sondern immer noch zwischen unten und oben.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Deswegen ist es auch völlig klar, dass Sie sich nicht dafür einsetzen, dass es ein gerechteres Steuersystem gibt – ein gerechteres Steuersystem in der Europäischen Union, in der es eine Harmonisierung der Unternehmensteuersätze nach oben und nicht nach unten gibt, in der Großkonzerne einen angemessenen Teil zur Finanzierung des Gemeinwesens zahlen und nicht nur von der öffentlichen Infrastruktur profitieren, in der Großunternehmen nicht die Löhne und die Sozialstandards verschiedener Länder gegeneinander ausspielen können. All das ist für Sie überhaupt kein Thema – natürlich auch dann nicht, wenn öffentliches Geld für Aufrüstung, für Militär und für kriegerische Interventionen ausgegeben wird. Das wundert mich auch nicht; denn Militarismus ist Teil Ihrer politischen DNA.

(Robert Lambrou (AfD): Das stimmt nicht!)

Auch das lehnen wir ab.

(Beifall DIE LINKE)

Die AfD wendet sich gegen die Geldpolitik der EZB. Klar, die bisherigen Maßnahmen der EZB werden nicht ausreichen, um Sozial- und Klimakrise wirksam zu bekämpfen. Im Gegenteil: Die Zinspolitik bescherte den Börsen immer neue Kursfeuerwerke und trieb Immobilienpreise in die Höhe. Damit wurde vielleicht der Euro gerettet, aber Mieter und Kleinsparer schauen in die Röhre.

Ja, bei der EZB muss etwas verändert werden, aber nicht so, wie Sie sich das vorstellen, sondern wir brauchen eine demokratisch kontrollierte EZB, weniger Preisstabilität, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, die Erreichung von Vollbeschäftigung und ausgeglichene Handelsbilanzen statt der Förderung der Exportorientierung. Das wären wesentliche Zielsetzungen, die die Europäische Zentralbank verfolgen sollte. Sie sollte öffentliche Investitionen finanzieren, um einen erfolgreichen sozialen und ökologischen Umbau zu gewährleisten. Den sehen Sie mit Ihrer antiökologischen Politik aber überhaupt nicht vor.

Die AfD – das passiert auch in diesem Antrag – wendet sich gegen die Ziele des Klimaschutzes und fabuliert von einer drohenden „grünen Planwirtschaft“. Antisozialismus ist auch Bestandteil Ihrer politischen Agenda – gerade so, als gäbe es nicht gerade in Zeiten der Klimakrise dringenden Bedarf, zu handeln. Es passt deswegen in das Bild einer Partei, deren Programm – manchmal möchte man sagen – eine Verachtung des menschlichen Lebens als solches mit sich trägt.

(Robert Lambrou (AfD): Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Wer Masken verweigert, wer Fremde hasst und wer die Konkurrenz zwischen den Menschen zum zentralen Prinzip erhebt, für den ist es auch nicht mehr weit hin, auch die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen als letzte Konsequenz in Kauf zu nehmen.

Die AfD macht mit diesem Antrag wieder einmal deutlich, dass Ihnen ein entfesselter Kapitalismus wichtiger ist als der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der soziale Schutz der Menschen, die nichts anderes haben, als ihre Arbeit zu Markte zu tragen. Der Antrag macht vor allem deutlich, dass die AfD für diese Menschen keine Alternative ist.

(Beifall DIE LINKE)