Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske - Schwarzgrüner Gesetzentwurf ist ein Eingeständnis in das Scheitern der Schuldenbremse

Jan Schalauske
Jan SchalauskeCoronaHaushalt und Finanzen

In seiner 44. Plenarsitzung am 24. Juni diskutierte der Hessische Landtag darüber, dass die die benötigte 2/3-Mehrheit zur Aussetzung der Schuldenbremse abgeschafft werden soll. Nötig wir dies, da sich die Landesregierung mit Teilen der Opposition nicht auf ein gemeinsames Vorgehen für ein Corona-Hilfspaket einigen konnte. Dazu die Rede unseres haushaltspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Es ist noch nicht allzu lange her, da hat man uns im Hessischen Landtag bei jeder Haushaltsdebatte – vor allem die Mehrheit von CDU und GRÜNEN – gebetsmühlenartig erklärt, dass das Land Hessen keine neuen Schulden machen dürfe, dass mit Überschüssen sogar Schulden zurückzuzahlen seien, dass die schwarze Null das oberste Ziel aller Haushaltspolitik sein müsse, dass die Schuldenbremse sakrosankt sei und dass ihre Vorgaben unbedingt, strikt und immer eingehalten werden müssten.

Noch vor wenigen Monaten bezeichnete der auf tragische Weise verstorbene Finanzminister Dr. Thomas Schäfer in einem viel beachteten Gastbeitrag in der „FAZ“ die Schuldenbremse sogar als „Erfolgsmodell“. Kritische Ökonomen, Gewerkschafter, DIE LINKE und viele andere haben diese Position immer für falsch gehalten. Wir und viele andere haben Ihnen vorgehalten, dass die Errichtung von bezahlbaren Wohnungen, die Sanierung von Schulen und Krankenhäusern, die Finanzierung von Frauenhäusern, die Bekämpfung von Armut und günstigere Preise in Bus und Bahn für heutige und kommende Generationen viel wichtiger sind als ausgeglichene Haushalte.

(Beifall DIE LINKE)

Dafür sind wir in diesem Plenum – zu Unrecht, wie sich spätestens jetzt zeigt – nicht nur von CDU und GRÜNEN verlacht, verschrien und verspottet worden. Wenn man CDU und GRÜNE an ihren eigenen politischen Prinzipien messen würde, dann ist der hier vorliegende Dringliche Gesetzentwurf nicht weniger als ein Eingeständnis in das unmissverständliche Scheitern ihrer falschen Haushaltspolitik.

(Beifall DIE LINKE)

Misst man Sie an Ihren eigenen Maßstäben, dann hätten Sie es eigentlich mehr als verdient, dass Sie mit Ihren Plänen krachend scheitern werden. Ihre Haltung ist vor allem eines: absolut unglaubwürdig.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist aber noch viel mehr: Er ist aus unserer Sicht das Eingeständnis in das Scheitern der Schuldenbremse als solche und auch das Scheitern der konkreten Regelung in Art. 141. Da kommt jetzt die erste – zugegebenermaßen große – Krise; und die von Ihnen zu verantwortende Architektur der Schuldenbremse bricht jämmerlich in sich zusammen.

Werfen wir doch einmal einen Blick in die Geschichte. 2011 hat eine ganz große Koalition aus CDU, Freien Demokraten, SPD und GRÜNEN für die Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung getrommelt. Nach der Abstimmung konnte es vor allem der CDU und den Freien Demokraten nicht restriktiv genug gehen. Gegen den Rat vieler Experten verankerten CDU und Freie Demokraten eine unsinnige Zweidrittelregelung für die Aussetzung der Schuldenbremse in der Krise. Ich möchte daher auch noch einmal an die Worte des Abg. Pentz vom 25. April 2013 erinnern: In der Notsituation müsse ein Beschluss mit Zweidrittelmehrheit notwendig sein. Damit, so Abg. Pentz, solle sichergestellt werden, dass die Ausnahme nur mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit festgestellt werden könne.

(Zuruf: Hört, hört!)

Wenn man sich dies bei der Hessen-CDU anschaut, dann gilt bei dieser das Prinzip: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?

(Beifall DIE LINKE, Freie Demokraten und AfD)

Wie gesagt, wir haben die Zweidrittelregelung immer abgelehnt. Übrigens haben die Abg. Kaufmann und Schmitt, SPD, die Zweidrittelregelung in der Debatte vom 25. April scharf kritisiert. Abg. Schmitt von der SPD hat sogar Befürchtungen geäußert, sie sei mit der Verfassung unvereinbar. Es war ein anderer Abgeordneter, der damals feststellte: Eine Zweidrittelregelung, die mit einer einfachen Mehrheit geändert werden könne, sei ein ziemlich irrationaler Vorschlag, der wahrscheinlich nur irgendwem als Verhandlungsmasse dienen könne. Es war kein anderer als Willi van Ooyen, der dies sagte. Wie recht unser Willi doch damals hatte, wenn man auf die Debatten von heute blickt, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Doch damit nicht genug. Die Hardcore-Befürworter der Schuldenbremse wollten noch mehr. Innerhalb von sieben Jahren – es waren wohl Anthroposophen am Werk – sollen laut Ausführungsgesetz die Kreditaufnahmen getilgt werden. Welch ein Irrglaube, welch ein aberwitziger Zeitraum. Das scheint jetzt sogar die Regierung erkannt zu haben. Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf – ich zitiere –:

Einen Regelzeitraum von sieben Jahren für die vollständige Kreditrückführung ist mit den Herausforderungen einer schwerwiegenden Krise nicht vereinbar.

„Oh Mann“, muss man dazu sagen; denn diese Erkenntnis hätten Sie schon früher haben können, meine Damen und Herren. Dazu, wofür Sie Jahre und eine schwere Krise gebraucht haben, haben Ihnen die Experten doch schon im Jahr 2013 gesagt: In der Krise braucht Hessen einen handlungsfähigen Staat. – Die Schuldenbremse und die von Ihnen zu verantwortenden Regelungen haben sich als großes Hemmnis für ein entschlossenes Handeln in der Krise erwiesen. Deswegen müssen sie grundsätzlich überwunden werden.

(Beifall DIE LINKE)

Damit Sie sich nicht zu sehr damit brüsten – Sondervermögen in Höhe von 12 Milliarden €, Kreditermächtigungen usw. –, sage ich Ihnen: Ein schwarz-grünes Weiterwursteln in der Krise wird den Menschen und den von der Politik geschaffenen Problemen nicht gerecht. Das ist doch völlig klar. Was es jetzt braucht, ist ein sozial-ökologischer Neustart aus der Krise. Bei Ihnen finden sich nur PowerPointPräsentationen und Lippenbekenntnisse. Für einen sozialökologischen Neustart braucht es einen verbindlichen, einen rechtssicheren Plan, um Schulen und Krankenhäuser zu sanieren, preiswerte Wohnungen zu errichten, Kitas und Frauenhäuser zu finanzieren und endlich günstigere Tickets für Busse und Bahnen durchzusetzen.

Die Politik muss dringend weitere erforderliche Maßnahmen ergreifen, um Menschen in der Krise vor dem sozialen Abstieg zu bewahren, um prekär Beschäftigte, Solo-Selbstständige, Kulturschaffende sowie Erwerbslose besser zu schützen. Und ja, dafür muss mehr Geld in die Hand genommen werden – viel mehr Geld. Die notwendigen Investitionen für laufende Ausgaben können wir aus Krediten finanzieren; und wir können eine gerechtere Besteuerung der Reichen und Vermögenden durchsetzen. Und wenn Sie die Schulden unbedingt künftig wieder abbauen wollen, dann lassen Sie uns eine einmalige Vermögensabgabe nach dem Vorbild des Lastenausgleichsgesetzes durchsetzen, wie sie unter Konrad Adenauer galt. Meine Damen und Herren, das sind die Maßnahmen, die wir jetzt brauchen.

(Beifall DIE LINKE)

Abschließend: Für mindestens drei von zehn Hessen sowie für Gewerkschaften und soziale Verbände ist heute ein bemerkenswerter Tag. CDU und GRÜNE belegen heute mit ihrem Gesetzentwurf, dass alle Kritiker mit ihrer ablehnenden Haltung zur Schuldenbremse so falsch nicht gelegen haben können. Dies ist ein Etappensieg für alle, die schon im Jahr 2011 gesagt haben: Die Schuldenbremse ist ein Investitionshemmnis. Die Schuldenbremse bedeutet Sozialabbau und Austeritätspolitik. Das ist ein Konzept von gestern und kein Rezept für die Zukunft. – Sie alle können sich heute bestätigt sehen.

(Beifall DIE LINKE)

Lassen Sie uns also die Streiterei über Zweidrittelmehrheiten ein wenig beiseiteschieben; und lassen Sie uns schauen, wie wir die Schuldenbremse gemeinsam überwinden, z. B. mit einer parteiübergreifenden Initiative, um sie wieder aus unserer Hessischen Verfassung herauszuholen. Das wäre eine wichtige Antwort auf die Krise.

(Beifall DIE LINKE)