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Rede

Janine Wissler - Wie lange soll des Impfdesaster in Hessen noch weitergehen?

Janine Wissler
Janine WisslerCoronaGesundheit

In seiner 65. Plenarsitzung am 3. februar 2021 diskutierte der Hessische Landtag über das Impfchaos in Hessen. Dazu die rede unserer Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Forscherinnen und Forscher haben es in gerade einmal zehn Monaten geschafft, einen Impfstoff gegen Corona zu entwickeln. Da sollte man doch meinen, dass der Hessischen Landesregierung zwei Monate Vorbereitungszeit reichen, um für diesen Impfstoff eine geeignete Terminvergabe zu organisieren.

(Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten)

Es ist eigentlich keine Raketenwissenschaft, es hat aber bereits beim Impfstart im Januar nicht geklappt. Seit heute können die über 80-Jährigen in Hessen neue Impftermine vereinbaren, theoretisch zumindest. So wurde es auch überall beworben mit „Hessen krempelt die Ärmel hoch“.

Aber tatsächlich landen sie mitunter – so wurde es heute vielfach nicht nur in den Medien berichtet, sondern auch wir haben viele Anrufe und Beschwerden bekommen – bei Hotlines in anderen Bundesländern, wo sie abgewimmelt werden, oder sie kommen wie beim letzten Mal stundenlang einfach nicht durch. Da reden wir nicht einfach über längere Wartezeiten, sondern zum Teil über sechs bis acht Stunden, in denen Leute versucht haben, durchzukommen, und es nicht geschafft haben. Das sorgt für massiven Unmut und auch für große Verunsicherung.

(Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten – Zurufe)

Dass sowohl das Onlineportal als auch die Hotlines heute wieder zum Teil nicht erreichbar waren, das macht schon fassungslos, nachdem Innenminister Beuth und Sozialminister Klose doch Besserung gelobt haben, nachdem der Beginn des Impfstarts ein kompletter Ausfall war.

(Unruhe – Glockenzeichen)

Die Zusage, dass ab heute alles funktionieren sollte, die wir auch gestern gehört haben, hat sich als haltloses Versprechen erwiesen, und das, obwohl es diesmal genug Vorbereitungszeit gab, in der man doch aus den Problemen im Januar hätte lernen können. Es darf doch nicht sein, dass Menschen entnervt aufgeben,

(Unruhe – Glockenzeichen)

weil sie stundenlang nicht durchkommen und sich mit englischsprachigen Tonbandansagen herumärgern müssen. Während Gesundheitsämter mangels Digitalisierung Faxe schicken, sollen sich jetzt Menschen über 80 mit QRCodes und Links herumschlagen. Was ist das für ein Verfahren? Ich verstehe es nicht. Warum haben Sie ein so kompliziertes Verfahren gewählt? Warum ein mehrstufiges Anmeldeverfahren, das selbst jüngere Angehörige an den Rand der Verzweiflung bringt?

Mit einem vierseitigen Schreiben wurden damals alle über 80-Jährigen auf die kommende Impfterminvergabe ab Mitte Januar hingewiesen, verbunden mit den besten Grüßen von Ministerpräsident Bouffier. Das musste natürlich unbedingt mit hinein.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist ganz wichtig!)

Damals wurden zwei Wege zur Anmeldung skizziert: einmal telefonisch und zum anderen, dass man sich online registriert. Das Problem ist doch, dass auch bei der Onlineregistrierung die Daten aus dem Personalausweis abgefragt wurden und sie eingegeben werden sollten. Ja, das ist eine vermeidbare Hürde. Was ist da schiefgegangen? Es hat z. B. gehakt bei den Postleitzahlen. Es gab z. B. auch keine Sonderzeichen. Aber gerade Menschen mit nicht deutschem Namen mit Sonderzeichen im Pass konnten ihren Namen teilweise gar nicht eingeben.

Es gab nicht die Möglichkeit, dass Ehepaare ihre Termine gemeinsam ausmachen. Das muss man sich vorstellen. Hochbetagte Ehepaare sollen dann einzeln Termine ausmachen, d. h. doppelt in der Warteschlange hängen

(Unruhe – Glockenzeichen)

und auch noch zu zwei verschiedenen Terminen irgendwie in die Impfzentren fahren, die ein Stück weit entfernt sind.

Solche Probleme hätte man vermeiden müssen. Jetzt scheint es bei den Menschen, die sich vorher online registriert haben, so gewesen zu sein, dass sie nach einigem Warten im Warteraum einen Terminzugriff bekamen. Aber das ist eine hohe Hürde für hochbetagte Menschen. Damit sind die Menschen meistens auf die Hilfe von jüngeren Angehörigen angewiesen. Deswegen ist es ein Problem, wenn man auf ein solches Onlineverfahren setzt.

(Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten)

Wer versucht hat, sich telefonisch zu registrieren, der hatte das Nachsehen. Wenn das Innenministerium sagt, zwischen 8 und 20 Uhr waren 530 Telefonistinnen im Einsatz, dann sage ich, dass das angesichts von 300.000 potenziellen Anrufen ganz schön wenig ist. Herr Minister Beuth, da ist es ein bisschen arm, dass Sie die Mitarbeiter vorschieben und sich dahinter verstecken und so tun, als sei die Kritik, die hier geäußert wird, Kritik an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das ist doch lächerlich.

(Lebhafter Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten – Zurufe – Glockenzeichen)

– An wem denn sonst, fragt er. Ja, am Innenminister. Ihre Mitarbeiter können doch nichts dafür, dass sie zu wenige sind. Ihre Mitarbeiter können nichts dafür, dass Ihr System heute Morgen wieder nicht funktioniert hat.

(Zuruf: Das stimmt nicht!)

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können auch nichts dafür, dass das teilweise nicht barrierefrei möglich ist. Das ist doch nicht die Schuld der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ja, denen danken wir auch für ihren Einsatz unter schweren Bedingungen. – Sie haben dieses Verfahren gewählt. In anderen Bundesländern hat es deutlich besser geklappt, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten – Weitere Zurufe – Glockenzeichen)

Wir brauchen ein vernünftiges Verfahren, das barrierefrei ist, wo sich Ehepartner – das klappt offensichtlich auch noch nicht – gemeinsam anmelden können. Wir brauchen ein Verfahren, das hochbetagten Menschen nicht zumutet, sich vorher online zu registrieren. Viele haben uns gesagt: Wenn es da wenigstens ein Band gäbe, wenn man wenigstens auf Band seine Telefonnummer sprechen könnte und weiß, dass man irgendwann einmal zurückgerufen wird, wenn die Kapazitäten da sind. – Es müssen heute nicht alle einen Termin ausmachen. Aber die Leute wollen doch nicht sechs oder acht Stunden versuchen, durchzukommen, in dem Wissen, dass sie nicht einmal eine Telefonnummer hinterlassen können, sodass man sich bei ihnen meldet, um den Termin auszumachen.

(Unruhe – Glockenzeichen)

Das ist das Problem, und das muss man hier kritisieren. Denn wir brauchen ein schnelles Impfen. Dafür, dass es zu wenig Impfstoff gibt, kann diese Landesregierung nichts. Aber dafür, dass es erneut ein Chaos bei der Terminvergabe gibt, dafür können Sie etwas. Das haben Sie organisiert, und deswegen: Ducken Sie sich nicht wieder weg und verstecken sich hinter Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

(Anhaltender lebhafter Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten)